Entscheidungsstichwort (Thema)

Bayerisches Landesblindengeld. blindheitsbedingte Mehraufwendungen bei hochgradiger Alzheimer-Demenz. Einwand der Zweckverfehlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aufwendungen für die allgemeine pflegerische Betreuung stellen keine blindheitsbedingten Mehraufwendungen dar; es muss sich vielmehr um blindheitsspezifischen Aufwand handeln.

2. Maßgeblich bei der Beurteilung der Frage, ob im konkreten Fall blindheitsbedingte Mehraufwendungen möglich sind, ist die objektive Situation des betroffenen blinden Menschen. Ob blindheitsbedingte Mehraufwendungen von dem Betroffenen tatsächlich getragen werden, ist dabei nur ein Indiz.

3. Zur Frage von blindheitsbedingten Mehraufwendungen bei einem an hochgradiger Demenz leidenden Patienten (Morbus Alzheimer).

 

Orientierungssatz

Für den gerichtlich überprüfbaren Einwand der Zweckverfehlung trägt die Behörde die Darlegungs- und Beweislast.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 26.10.2020; Aktenzeichen B 9 BL 2/20 B)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 20. November 2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) streitig.

Die 1943 geborene Klägerin leidet an einer schweren Alzheimer-Demenz. Am 12.09.2012 beantragte sie, vertreten durch ihren Sohn, beim Beklagten die Gewährung von Blindengeld, ferner die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl". Der Vertreter der Klägerin wies darauf hin, dass diese völlig hilflos, komatös und objektiv physisch wie geistig nicht in der Lage sei, noch irgendetwas sinnvoll wahrzunehmen oder zu verarbeiten. Die Klägerin ist seit 2004 in einem Pflegeheim untergebracht.

In seinem für den Beklagten angefertigten Gutachten vom 03.11.2012 stellte der Augenarzt Dr. K. die Diagnosen Cataracta senilis provecta, mäßige Arterienverkalkung, fortgeschrittene Alzheimer-Demenz. Die Sehschärfe lasse sich nicht prüfen, da die Klägerin auf Fragen nicht antworte. Aus dem objektiven Befund ergebe sich kein Nachweis einer Blindheit. Die Klägerin sei nicht transportfähig. Dem Gutachter gelang lediglich eine Augenuntersuchung, bei der er unter anderem eine positive Reaktion auf Licht, eine klare Hornhaut und eine mäßige Linsenkerntrübung feststellte. Blindheit sei nicht nachgewiesen, so der Gutachter.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. L. vom 30.01.2013 wurde darauf hingewiesen, dass keinerlei Anhalt für eine spezielle Schädigung der Sehstrukturen bestehe.

Mit Bescheid vom 26.02.2013 lehnte der Beklagte den Antrag auf Blindengeld ab. Bei der Klägerin, so die Begründung, bestehe eine sehr weit fortgeschrittene Demenz; eine Kommunikation sei nicht mehr möglich, Sinneseindrücke könnten nicht mehr verarbeitet werden. Aus der vorliegenden generellen zerebralen Funktionsstörung lasse sich Blindheit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 BayBlindG nicht ableiten. Es lasse sich auch nicht der objektive Nachweis führen, dass bei der Klägerin faktische Blindheit bestehe.

Hiergegen legte die Klägerin über den Bevollmächtigten am 03.03.2013 Widerspruch ein. Der Vertreter begründete den Widerspruch umfangreich im Schreiben von 14.04.2013 und wies dabei unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20.07.2005 (Az.: B 9 BL 1/05 R) hin. Er teilte mit, dass die Klägerin bereits auf einer sehr frühen Stufe des Prozesses visueller Wahrnehmung (Erkennen/Benennen) Objekte nachweislich schon nicht erkennen könne, weswegen eine bloße Benennungsstörung perzeptuell repräsentierter Objekte auszuschließen sei. Es ergäben sich zahlreiche Hinweise für eine "kortikale Agnosie", insbesondere bestehe kein optokinetischer Nystagmus (OKN). Die höhergelegenen Zentren, die für die Auswertung der visuellen Signale verantwortlich seien, sowie die Assoziativzentren temporal und frontal seien vom allgemeinen Hirnabbauprozess mitbetroffen. Die auf anderen Feldern der Sinneswahrnehmung verbliebenen Fähigkeiten seien ihrerseits nicht so weit herabgesetzt, dass der Leistungsunterschied zur fehlenden visuellen Modalität unbeachtlich wäre. Zudem sind weitere medizinische Unterlagen vorgelegt worden, wie ein Attest des Seniorenzentrums L. vom 05.03.2013.

In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 07.06.2013 wies die Ärztin Dr. P. des Beklagten unter anderem darauf hin, es bestehe kein Zweifel, dass die fortgeschrittene Alzheimer-Demenz eine schwere geistige Behinderung zur Folge habe. Beeinträchtigt seien dabei aber nicht nur die visuelle Wahrnehmung, sondern auch die Wahrnehmungen anderer Sinnesmodalitäten.

Daraufhin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.06.2013 den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Begründung stellte vor allem darauf ab, dass es trotz Einsatzes aller diagnostischen Möglichkeiten nicht gelungen sei, das genaue Ausmaß der bei der Klägerin offensichtlich vorliegenden Sehstörung festzustellen. Der Beklagte verwies au...

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