Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosenversicherung: Parallele Leistung von Krankengeld und Arbeitslosengeld

 

Leitsatz (amtlich)

1. Abweichung von BSG, 20. September 2001, B 11 AL 35/01 R.

2. Die Zuerkennung einer Leistung im Sinn von § 156 Abs. 1 SGB III darf nicht im Sinn des Beginns der laufenden Zahlungen verstanden werden.

3. Insbesondere fehlt es an einer Zuerkennung nicht schon deswegen, weil der vorrangig verpflichtete Leistungsträger Erstattungsansprüche des nachrangigen Leistungsträgers auf der Grundlage der §§ 102 ff. SGB X befriedigt.

4. Das Ruhen nach § 156 Abs. 1 SGB III entfaltet bei einer Nachzahlung der vorrangigen Leistung Rückwirkung.

5. § 107 Abs. 1 SGB X beinhaltet ein Verbot für den nachrangigen Leistungsträger, seine Leistungsbewilligung gegenüber dem Leistungsempfänger aufzuheben.

 

Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 19. November 2015 abgeändert. Die Bescheide der Beklagten vom 27. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2014 werden insoweit aufgehoben, als damit die Bewilligung von Arbeitslosengeld vor dem 1. Februar 2014 aufgehoben wird. Sie werden weiter insoweit aufgehoben, als damit die Bewilligung desjenigen Arbeitslosengelds für den Zeitraum 1. Februar bis 2. März 2014 aufgehoben wird, welches das parallel zustehende Krankengeld übersteigt. Die Beklagte wird verurteilt, für die Klägerin im Zeitraum 16. November 2013 bis 2. März 2014 Beiträge zu deren Altersvorsorge gemäß § 173 SGB III zu entrichten.

II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen zu 70 vom Hundert.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Das Berufungsverfahren betrifft die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (ALG) sowie die Übernahme von Beiträgen zur berufsständischen Versorgung.

Die 1965 geborene Klägerin ist gelernte Apothekerin. Seit 01.01.1993 ist sie gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 des Sechsten Buchs Sozialgesetzbuch von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit und Mitglied der Bayerischen Apothekerversorgung. Zuletzt war die Klägerin bei der T. GmbH, M-Stadt, als "Projektmitarbeiterin" abhängig beschäftigt. Bis einschließlich März 2013 betrug dort ihr Arbeitsquantum 24 Wochenstunden, ab April 2013 nur noch acht Wochenstunden.

Seit 09.09.2013 war die Klägerin arbeitsunfähig krankgeschrieben. Vom 22.10.2013 an erhielt sie Krankengeld von ihrer Krankenkasse, der Techniker Krankenkasse (TK). Allerdings stellte die TK die Krankengeldzahlungen mit Ablauf des 15.11.2013 bereits wieder ein. Dagegen legte die Klägerin am 06.11.2013 Widerspruch ein.

Am 18.11.2013 meldete sich die Klägerin mit Wirkung zum 16.11.2013 arbeitslos und beantragte die Gewährung von ALG. Der medizinische Dienst der Agentur für Arbeit R-Stadt bejahte die medizinischen Voraussetzungen für die Anwendung von § 145 des Dritten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB III). Mit Bescheid vom 20.12.2013 bewilligte die Beklagte ALG für 360 Tage bei einer Anspruchsentstehung am 16.11.2013; der tägliche Leistungsbetrag wurde auf 26,07 EUR festgelegt. Auf Seite 2 unten des Bewilligungsbescheids ist ausgeführt: "Die Agentur für Arbeit übernimmt die Beiträge für Ihre Altersvorsorge. Dies gilt nur bis zu dem Betrag, den die Agentur sonst an die gesetzliche Rentenversicherung zahlen würde."

In einer Anlage zum Bewilligungsbescheid erfolgte eine Berechnung der Beiträge zur Altersvorsorge gemäß § 173 SGB III. Für den Zeitraum November 2013 errechnete die Beklagte einen Betrag von 182,73 EUR, für die Folgezeit bis Oktober 2014 monatlich 365,47 EUR.

Mit Bescheid vom 20.02.2014 bewilligte die TK der Klägerin Krankengeld ab 16.11.2013 weiter, und zwar in Höhe von 12,58 EUR täglich. Sie schrieb, die Klägerin möge das Schreiben vom 17.10.2013 als gegenstandslos betrachten; die Agentur für Arbeit H-Stadt sei am gleichen Tag über die Weiterbewilligung informiert worden. In der Tat setzte die TK die Beklagte mit Schreiben vom 20.02.2014 davon in Kenntnis, die Klägerin habe einen über den 15.11.2013 hinausgehenden Anspruch auf Krankengeld. Die Beklagte möge baldmöglich ihren Erstattungsanspruch beziffern. In einer E-Mail vom 22.02.2014 teilte dann auch die Klägerin der Beklagten mit, am 20.02.2014 habe die TK sie wissen lassen, dass ihrem Widerspruch bezüglich der Einstellung der Krankengeldzahlungen stattgegeben werde.

Die Beklagte nahm dies zum Anlass, keine ALG-Zahlungen mehr zu leisten; die letzte Zahlung floss Ende Januar 2014. Mit Bescheid vom 27.02.2014 hob die Beklagte die Bewilligung von ALG wegen des Bezugs von Krankengeld ab 16.11.2013 auf der Grundlage von § 48 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III auf. Weiter wurde der Klägerin mitgeteilt, für die Zeit vom 16.11.2013 bis 31.01.2014 sei eine Überzahlung von ALG in Höhe von 1.955,25 EUR eingetreten. Die TK sei zur Erstattung aufgefordert und ermächtigt worden, die Überzahlung gegen den Anspruch auf Krankengeld zu verrechnen. De...

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