Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitssuchende: Frage im Antragsbogen nach dem Vorhandensein eines Partners in eheähnlicher Gemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
Die Frage im Antragsbogen für Alg II nach dem Vorliegen eines Partners in "eheähnlicher Gemeinschaft" bzw nach Bestehen einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft stellt eine Frage nach einem Rechtsbegriff dar und erfordert vom Antragsteller rechtliche Wertungen; sie stellt keine Frage nach Tatsachen dar.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 30.11.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Rücknahme im Zeitraum von Januar 2005 bis Juni 2013 bewilligter Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) sowie die Erstattung überzahlter Leistungen nebst Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung i.H.v. insgesamt 92.994,19 EUR.
Die 1971 geborene Klägerin zu 1 und ihr 2003 geborener Sohn, der Kläger zu 2, wohnten bis September 2007 zusammen in der H-Straße 45 in A-Stadt (Vermieter waren die Eheleute R. und U. R., im Folgenden: R), und seitdem in der E-Straße 1 in A-Stadt, wobei die Vermieterin H. B. die Mutter des späteren Ehemanns der Klägerin zu 1 ist. Nachdem sie zuvor Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bezogen hatten, bewilligte der Beklagte den Klägern vom 01.01.2005 bis 30.06.2013 - ergänzend zu Kindergeld und teilweise Landeserziehungsgeld, Unterhaltsvorschussleistungen und Arbeitslosengeld - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuzüglich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung und bis 31.12.2010 zur Rentenversicherung sowie dem Kläger zu 2 außerdem Leistungen für Bildung und Teilhabe mit den Bescheiden vom 13.12.2004, 30.05.2005, 07.12.2005, 06.06.2006, 09.01.2007, 14.06.2007, 03.12.2007, 01.07.2008, 10.12.2008, 19.01.2009, 18.06.2009, 01.12.2009, 13.01.2010, 07.05.2010, 08.06.2010, 24.11.2010, 20.12.2010, 18.05.2011, 23.05.2011, 21.11.2011, 30.01.2012, 07.03.2012, 12.01.2012, 24.05.2012, 18.10.2012, 07.11.2012, 22.11.2012, 24.11.2012 und 21.01.2013.
Im Erstantrag vom 08.10.2004, auf dem die Leistungsbewilligung für den Zeitraum von Januar bis Juni 2005 beruhte, gab die Klägerin zu 1 an, sie sei allein erziehende Mutter und seit 1996 geschieden. Bei den Fragen zu "den persönlichen Verhältnissen des Partners in eheähnlicher Gemeinschaft" trug sie nichts ein. Als weitere, in ihrem Haushalt lebende Personen führte sie den Kläger zu 2 auf. Auf dem Zusatzblatt 1 zur Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gab sie als im Haushalt lebende Personen nur sich und den Kläger zu 2 an. In den Folgeanträgen vom 25.05.2005, 29.11.2005, 31.05.2006, 29.12.2006, 23.05.2007 und 20.11.2007, welche der Leistungsbewilligung von Juli 2005 bis Juni 2008 zugrunde lagen, kreuzte die Klägerin zu 1 jeweils bei den Fragen nach Änderungen in den persönlichen Verhältnissen "keine Änderung" an.
Für den danach liegenden Zeitraum (Juli 2008 bis Juni 2013) beruhte die Leistungsbewilligung auf den Folgeanträgen vom 01.06.2008, 19.11.2008, 20.05./05.06.2009, 18./24.11.2009, 26.05.2010, 15./24.11.2010, 16.05.2011, 11.11.2011, 20.05.2012 und 19.11.2012. Dabei wurde nunmehr die Angabe der Personen in der Bedarfsgemeinschaft - unter Verweis auf nähere Erläuterungen in Ausfüllhinweisen - verlangt. Die Klägerin zu 1 trug jeweils nur sich und den Kläger zu 2 ein. In den - im Berufungsverfahren übersandten - Ausfüllhinweisen ("Zu 2f" bzw. "Zu 2e" und "Anlage VE") finden sich Ausführungen zur Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, zu Fällen, in denen diese gesetzlich vermutet wird, und zur Widerlegung der Vermutung.
Bereits im Februar 2012 erhielt der Beklagte eine anonyme Anzeige, wonach die Klägerin zu 1 seit Jahren mit einem in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Lebensgefährten gemeinsam wohnen solle. Bei einem daraufhin am 06.03.2012 durchgeführten Hausbesuch wurde kein Hinweis auf den ständigen Aufenthalt einer männlichen Person gefunden. Im März 2013 wurde dem Beklagten sodann anonym mitgeteilt, bei der Klägerin zu 1 lebe schon seit vielen Jahren nicht nur ihr Sohn, sondern auch ihr Freund J. S. (S), der aber offiziell bei seiner Mutter gemeldet sei. Dem Außendienst teilte die Klägerin zu 1 am 06.05.2013 hierzu mit, sie habe keinen Freund, bei S handle es sich um den Sohn ihrer Vermieterin, der sich um das Haus kümmere.
Anlässlich des Folgeantrags vom 18.05.2013, in dem weiterhin als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft nur die Kläger aufgeführt wurden, forderte der Beklagte die Klägerin zu 1 zur Vorlage der letzten drei Verdienstbescheinigungen von S auf. Die Vorlage lehnte die Klägerin zu 1 ab, weil sie zu S kein Verhältnis habe.
Am 27.06.2013 gaben Herr M. F. (F) und Herr H. P. (P), ehemalige Arbeitskollegen von S, gegenüber dem Beklagten an, S müss...