Entscheidungsstichwort (Thema)
Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung. Auferlegung von Missbrauchskosten auf den Staat. nachträgliche Beschränkung des Berufungsbegehrens auf die Aufhebung der Verurteilung zu Missbrauchskosten
Leitsatz (amtlich)
1. Die Berufung eines Beteiligten auf eine abweichende medizinische Beurteilung rechtfertigt nicht die Annahme rechtsmissbräuchlicher Rechtsverfolgung.
2. Die Ausfertigung von Missbrauchskosten kommt auch gegenüber dem die Gerichtshaltungskosten tragenden Staat in Betracht.
3. Die Zulässigkeit der Berufung entfällt nicht durch die nachträgliche Beschränkung des Berufungsbegehrens auf die Aufhebung der Verurteilung zu Missbrauchskosten.
Tenor
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 08.07.2004 in Ziffer IV aufgehoben.
II. Der Beklagte trägt die außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist noch, ob das Sozialgericht (SG) dem Beklagten zu Recht Missbrauchskosten in Höhe von 150,-- EURO auferlegt hat.
Der Beklagte stellte bei der 1945 geborenen Klägerin mit Bescheid vom 19.02.2002 idF des Abhilfebescheides vom 30.07.2002 einen GdB von 40 für die Behinderungen "Seelische Störung, Herzleistungsminderung bei Aortenklappeninsuffizienz, Bluthochdruck, Migräne, Schilddrüsenunterfunktion" fest. Der Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11.09.2002).
Im anschließenden Klageverfahren vor dem SG Nürnberg hat die Klägerin beantragt, einen GdB von mindestens 50 festzustellen. Das SG hat ärztliche Unterlagen der Klägerin beigezogen und Dr. H. sowie die Ärzte für Neurologie und Psychiatrie Dr. O. und Dr. J. gutachtlich gehört. Während Dr. H. in seinem Gutachten vom 05.06.2003 sich von einer schweren Erschöpfung mit Antriebsverlust nicht überzeugen konnte und deshalb einen Gesamt-GdB von 40 für angemessen erachtet hat, haben Dr. O. (Gutachten vom 12.08.2003) und Dr. J. (Gutachten vom 20.04.2004) wegen einer Persönlichkeitsstörung mit somatoformen und psychosomatischen Begleiterscheinungen bei ausgeprägten endoreaktiven depressiven Zuständen und erheblichem Leidensdruck allein für die seelische Störung einen GdB von 50 für angemessen erachtet.
Der Beklagte hat dieser Einschätzung unter Vorlage von Stellungnahmen der Fachärztin für Psychiatrie Dr. F. vom 10.09.2003 und des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie PD Dr. K. vom 24.05.2004 widersprochen. Beide Ärzte haben ausgeführt, aus dem Befund der Sachverständigen Dr. O. ergebe sich nur eine subdepressive Herabminderung ohne tiefgreifende Depression und Dr. J. habe die Stimmungslage als leicht bis mäßig depressiv ausgelenkt und die affektive Schwingungsfähigkeit als erhalten beschrieben. Aufmerksamkeit, Konzentration und Auffassungsvermögen hätten keine Auffälligkeiten gezeigt. Die Klägerin übe eine Tätigkeit am Empfang einer Modelleisenbahnfirma mit Publikumsverkehr, Telefonzentrale, Öffentlichkeitsarbeit und Werbungsaufträgen aus und befinde sich nicht in regelmäßiger nervenärztlicher Betreuung. Bei der beschriebenen leichten bis mäßigen depressiven Verstimmung, der anspruchsvollen Tätigkeit sowie dem Fehlen fachärztlicher Behandlung sei auch nicht vom Vorliegen mittelgradiger sozialer Anpassungsschwierigkeiten auszugehen. Der Einzel-GdB für diese Erkrankung betrage 30. Unter Berücksichtigung der Migräne (GdB 20) und der Aorteninsuffizienz Grad II und der Blutdruckwerte (eher GdB 10) liege der Gesamt-GdB weiterhin bei 40.
In der mündlichen Verhandlung vom 08.07.2004 hat die Vorsitzende der 12.Kammer des SG Nürnberg die Vertreterin des Beklagten auf die Möglichkeit der Verhängung von Verschuldenskosten gegen den Beklagten gemäß § 192 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hingewiesen. Nachdem zwei nervenärztliche Fachgutachten vorlägen, die einen Gesamt-GdB von 50 insbesondere aufgrund der seelischen Störung für angemessen hielten, sei die Aufrechterhaltung des Antrages auf Klageabweisung nicht nachvollziehbar.
Das SG hat den Beklagten mit Urteil vom 08.07.2004 verurteilt, als Behinderungen bei der Klägerin "schwere seelische Störung mit mittelgradiger sozialer Anpassungsschwierigkeit, Migräne mit Aura und Herzleistungsminderung bei Aortenklappeninsuffizienz, Bluthochdruck" mit einem Gesamt-GdB von 50 ab 08.11.2001 anzuerkennen und ihm gemäß § 192 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Verschuldenskosten in Höhe von 150,-- EURO auferlegt. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Gericht sei aufgrund der übereinstimmenden Fachgutachten zu der Überzeugung gelangt, dass der Klägerin die Schwerbehinderteneigenschaft zuzuerkennen sei. Bei ihr läge eine schwere seelische Störung mit mittelgradiger sozialer Anpassungsschwierigkeit vor, die nach den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (AHP) mit einem Bewertungsrahmen von 50 - 70 einzustufen sei. Bei der ausführlichen Beschreibung der vorgefundenen Auswirkungen der seelischen Störungen in den gerichtlichen Fachgutach...