Entscheidungsstichwort (Thema)
Streitgegenstand. Kosten der Unterkunft und Heizung. Warmwasserbereitung. Angemessenheit der Mietaufwendungen. Schlüssiges Konzept. Quadratmeterpreis. Mietspiegel. Baualtersklassen. Wohnfläche. Konkrete Unterkunftsalternative. Beweislast. Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung. Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen. Vollkost. Übergewicht. Diabetes mellitus. Rückwirkung. Amtsermittlung
Leitsatz (redaktionell)
1. Es liegt kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung des angemessenen Quadratmeterpreises vor, wenn der Grundsicherungsträger nach Baualtersklassen differenziert und auf diese Weise Hilfebedürftigen, die in einem Neubau wohnen, höhere Leistungen zubilligt als solchen in einem Altbau.
2. In Bayern ist für eine alleinstehende Person eine Wohnfläche von 50 m2 angemessen.
3. Der Grundsicherungsträger ist nicht befugt, isoliert über einen Mehrbedarf wegen Ernährung zu entscheiden, ohne zugleich eine Entscheidung über die sonstigen, nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB II zu erbringenden Leistungen zu treffen.
4. Die Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge vom 01.10.2008 sind auch auf Sachverhalte anzuwenden, die vor dem 01.10.2008 liegen.
Normenkette
SGB II § 6 Abs. 1 Nr. 1, §§ 20, 21 Abs. 5, § 22 Abs. 1 S. 1, § 41 Abs. 2
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.10.2006 (S 5 AS 293/06) aufgehoben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 23.12.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2006 und des Bescheides vom 15.11.2006 verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.03.2006 Alg II in Höhe von 801,00 EUR monatlich und für den Zeitraum 01.04.2006 bis 30.06.2006 in Höhe von 823,00 EUR zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin 2/3 der außergerichtlichen Kosten zu erstatten
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind die Höhe der von der Beklagten zu übernehmenden Kosten der Unterkunft und die Bewilligung eines ernährungsbedingten Mehraufwandes für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 30.06.2006.
Die1951 geborene, alleinstehende Klägerin bezog seit dem 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Mit den bis 31.12.2005 maßgeblichen Bewilligungsbescheiden bewilligte die Beklagte neben der Regelleistung (345,00 EUR) und einem Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung (51,13 EUR) die Unterkunftskosten für die 67,66 m² große Wohnung der Klägerin in der tatsächlich angefallenen Höhe (Miete: 316,65 EUR; Nebenkosten: 108,00 EUR). Die von der Klägerin darüber hinaus zu tragende Heizkostenpauschale von 40,00 EUR kürzte die Beklagte pauschal um den Anteil von einem 1/6 (= 6,67 EUR) für die Warmwasserzubereitung.
Mit Schreiben vom 16.06.2005 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass die Mietobergrenze (MOG) im Zuständigkeitsbereich der Beklagten - bezogen auf die Baualtersklasse, in die die Wohnung der Klägerin einzustufen sei (Baujahr bis 1959) - lediglich 250,00 EUR einschließlich kalter Nebenkosten (ohne Heizung) betrage. Soweit eine Äußerung nicht erfolge, werde ab dem 01.01.2006 lediglich diese MOG im Rahmen der Leistungsbewilligung berücksichtigt.
Die Klägerin übersandte daraufhin der Beklagten am 25.06.2006 eine Bescheinigung ihres Vermieters, dass in den Jahren 1990 und 2000 Sanierungsarbeiten durchgeführt worden seien.
Nach dem Fortzahlungsantrag vom 28.11.2005 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 23.12.2005 Alg II für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.06.2006 in Höhe von 705,03 EUR. Neben der Regelleistung (345,00 EUR) berücksichtigte sie Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 360,03 EUR, wobei 33,33 EUR auf die Heizung (40,00 EUR abzüglich einer pauschalen Kürzung von 6,67 EUR für die Warmwasserzubereitung) und 326,70 EUR auf die Unterkunftskosten (einschließlich kalter Nebenkosten) entfielen. Ein Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung berücksichtigte die Beklagte nicht mehr.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 04.01.2006 Widerspruch ein. Sie wohne seit 36 Jahren in der Wohnung und sei froh, dass ihre Tochter in der Nachbarschaft lebe und ihr die Angelegenheiten für sie erledige, die sie selbst nicht mehr bewältigen könne. Auch könne sie nicht nachvollziehen, aus welchen Gründen der Mehrbedarf gestrichen worden sei.
Am 16.01.2006 legte die Klägerin eine Bescheinigung ihrer behandelnden Hausärztin vor, dass sie wegen ihrer Hyperlipidämielipidsenkende Kost, wegen des bestehenden Diabetes mellitus IIa Diabeteskost, wegen einer Leberinsuffizienz eine eiweißdefinierte Kost, wegen einer Hypertonie eine natriumdefinierte Kost und wegen eines bestehenden Ulcus duodeni Vollkost wegen einer Magen- und Darmerkrankung benötige. Die Klägerin weise bei einer Körpergröße von 158 cm und einem Köpergewicht von 85kg einen BMI (Body Mass Index) von 35 ...