Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Reisekostenerstattung für die Wahrnehmung eines Beratungstermin. Ermessenentscheidung bzw -leistung. Festlegung einer Bagatellgrenze

 

Orientierungssatz

Die Festlegung einer Bagatellgrenze in Höhe von 6 EUR für die Erstattung von Fahrkosten nach Wahrnehmung eines Melde- bzw Beratungstermins durch Arbeitsuchende (§ 59 SGB 2 iVm §§ 309 Abs 4, 45, 46, 47 SGB 3, § 5 UBVAnO, § 4 Abs 6 FdAAnO 1989) ist rechtswidrig.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 06.12.2007; Aktenzeichen B 14/7b AS 50/06 R)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Mai 2006 sowie die Bescheide vom 25. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2005 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über die Anträge des Klägers vom 01. und 11. Juli 2005 zu entscheiden.

II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Ablehnung der Fahrkostenerstattung für die Anfahrt zu zwei Beratungsterminen in Höhe von insgesamt 3,52 EUR streitig.

Der 1950 geborene Kläger befindet sich bei der Beklagten seit 01.01.2006 im Leistungsbezug. Die Beklagte lud den Kläger zu zwei Beratungsterminen für den 01.07. und 11.07.2005 ein, die der Kläger auch wahrnahm. Jeweils am gleichen Tag beantragte der Kläger die Fahrkostenerstattung für die Anfahrt mit dem Pkw über 8 km (Hin- und Rückfahrt).

Mit Bescheiden vom 25.07.2005 lehnte die Beklagte die Erstattung ab, weil der Erstattungsbetrag in Höhe von jeweils 1,76 EUR unter der Bagatellgrenze von 6,00 EUR liege.

Mit dem Widerspruch machte der Kläger geltend, dass die Bagatellgrenze angesichts der niedrigen Regelsätze des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) nicht zu vertreten sei und es sich um eine willkürliche Grenzziehung handele. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2005 wies die Beklagte die Widersprüche als unbegründet zurück. Die Erstattung der Reisekosten stelle eine "Kann-Leistung" dar. Es gäbe daher keinen Rechtsanspruch hierauf. Im Rahmen ihres Ermessens erstatte sie bei Terminen der Arbeitsvermittlung in ihren Räumen nur Reisekosten, sofern diese einen Betrag von 6,00 EUR übersteigen. Der Kläger habe aber jeweils einen Betrag von "lediglich" 1,72 EUR geltend gemacht.

Zur Begründung der zum Sozialgericht Augsburg (SG) erhobenen Klage hat der Kläger erneut darauf hingewiesen, dass bei Arbeitslosengeld II (Alg II)-Empfängern die Leistungen sehr gering seien und die Kosten auch nicht durch den Regelsatz gedeckt seien. Es entstehe bei Alg II-Empfängern eine zwangsweise erzwungene Unterdeckung des Regelsatzes, unter anderem auch dadurch, dass bei Nichterscheinen erhebliche Sanktionen verhängt würden. Eine eventuelle Verweisung auf öffentliche Verkehrsmittel, die übrigens teurer seien, sei ihm nicht zuzumuten, da er an einer psychosomatisch bedingten Störung (Kinetose - bekannt als Reisekrankheit) leide, die sich dahingehend auswirke, dass sich bei bestimmten Verkehrsmitteln, hier Bus- und Straßenbahnfahrten, erhebliche Drehschwindelanfälle ergäben. Warum jemand Teile des gesetzlich definierten Existenzminimums für behördlich angeordnete Maßnahmen aufwenden müsse, sei nicht nachvollziehbar und willkürlich. Im Übrigen lägen Verstöße gegen das Grundgesetz (GG) vor.

Mit Urteil vom 22.03.2006 hat das SG die Klage abgewiesen und wegen grundsätzlicher Bedeutung die Berufung zugelassen. Nach § 59 SGB II sei bezüglich der Meldepflicht § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) entsprechend anzuwenden. Nach § 309 Abs.4 SGB III könnten die notwendigen Reisekosten auf Antrag übernommen werden. Die auf Antrag mögliche Übernahme der Reisekosten stehe im Ermessen der Beklagten. Die Übernahme könne daher zum Beispiel von der Höhe der Kosten abhängig gemacht werden und es könnten die Regelungen zu §§ 45 ff. SGB III entsprechend herangezogen werden. Auch bei § 45 SGB III handele es sich bezüglich der Reisekosten um eine Ermessensentscheidung der Behörde. Die Agentur für Arbeit habe von der Anordnungsermächtigung des § 47 SGB III Gebrauch gemacht (Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit zur Unterstützung der Beratung und Vermittlung vom 10.04.2003). In § 5 der Anordnung UBV sei eine Pauschalierung von Reisekosten nur für Zeiten intensivierter Betreuung bzw. auch verstärkter Eigenbemühungen geregelt. In der zwischenzeitlich weggefallenen Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Förderung der Arbeitsaufnahme vom 19.05.1989 sei für Leistungen (auch Reisekosten) eine Bagatellgrenze von 10,00 DM geregelt. Es sei somit nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Beklagte eine Bagatellgrenze für die Erstattung der Fahrkosten zu Beratungsterminen geregelt habe. Die Berechnung der Reisekosten sei zutreffend in entsprechender Anwendung des § 46 Abs.2 Satz 3 SGB III i.V.m. § 6 Abs.1 Bundesreisekostengesetz erfo...

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