Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Familienversicherung. häusliche Krankenpflege. Sachleistungsanspruch. Kind. Mutter. Leistungserbringer. öffentlich-rechtlicher Vertrag. Vertragsbruch. gemeinschaftliche Straftat zu Lasten der Krankenkasse. Schadensersatzforderung gegenüber Drittem. Widerklage. Fehlen eines öffentlich-rechtlichen Über-/Unterordnungsverhältnisses sowie vertraglicher Beziehungen. Rechtsweg
Orientierungssatz
1. Familienversicherte nach § 10 SGB 5 stehen in einem eigenen, rechtlich selbstständigen Versicherungsverhältnis zur Krankenkasse.
2. Erbringt eine Krankenkasse Sachleistungen für ein familienversichertes Kind und ergeben sich aus dem Vertragsverhältnis mit dem Leistungserbringer Streitigkeiten (hier: Strafverfahren wegen des Verdachts auf zu Unrecht abgerechneter Leistungen im Zusammenwirken von Mutter und Pflegedienst) kann sich die Krankenkasse nicht zu Lasten der Mutter des familienversicherten Kindes schadlos halten. Die verschiedenen Leistungsbeziehungen können nicht in der Weise miteinander verknüpft werden, dass nunmehr gegenüber einer dritten Person, die nicht Teil der Leistungsbeziehungen ist, im Wege eines Verwaltungsakts Schadensersatzforderungen beigetrieben werden.
3. Zur Unzulässigkeit einer Widerklage der Krankenkasse gegen die Mutter des familienversicherten Kindes.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Mai 2010 wird zurückgewiesen.
II. Die Widerklage der Beklagten wird als unzulässig verworfen.
III. Die außergerichtlichen Kosten trägt die Beklagte und Widerklägerin.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch der Beklagten gegenüber der Klägerin auf Zahlung von 30.157,85 Euro.
Die Klägerin ist die Mutter der 1998 geborenen gesetzlich familienversicherten A. Die Tochter leidet seit Geburt an Morbus Hirschsprung (angeborene Dickdarmerweiterung) sowie an dem sog. Undine-Syndrom (Hypoventilationssyndrom), bei dem jederzeit die Atmung aussetzen kann. ist daher beatmungspflichtig und schwerstpflegebedürftig Nach dem SGB XI ist in die Pflegestufe III eingestuft.
Seit dem 29.05.1999 gewährte die Beklagte der Tochter der Klägerin häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 1 SGB V. Zur Erbringung dieser Sachleistung hatte die Beklagte mit Herrn Dr. L. L. als Inhaber des Pflegedienstes C. einen entsprechenden öffentlich-rechtlichen Vertrag geschlossen.
Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 19.10.2005 forderte die Beklagte von der Klägerin die Zahlung von 30.157,85 Euro zuzüglich Verzugszinsen. Die Beklagte begründete ihre Forderung damit, dass sowohl aufgrund eigener Ermittlungen als auch aufgrund der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die Klägerin im Zusammenwirken mit Herrn Dr. L. über die Anzahl der geleisteten Pflegestunden getäuscht habe. Darüber hinaus seien nicht die im speziellen Fall erforderlichen sowie vertraglich vereinbarten qualifizierten Pflegefachkräfte zum Einsatz gekommen. Von den bei der Beklagten aufgrund dieses Sachverhaltes zu Unrecht abgerechneten Leistungen habe die Klägerin nach den im staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren getroffenen Feststellungen von Dr. L. Zahlungen in Höhe von 24.940,00 Euro erhalten. Die Schadensersatzforderung der Beklagten umfasse neben den für die Pflege erbrachten Leistungen auch Schadensermittlungskosten (Hotelübernachtungen, Bahntickets 1. Klasse usw). Insgesamt bezifferte die Beklagte ihre Forderung auf 38.196,84 Euro einschließlich Verzugszinsen. Die Klägerin solle der Beklagten den Betrag auf ein von ihr benanntes Konto überweisen. Gleichzeitig ordnete die Beklagte die sofortige Vollziehung an. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2006 zurück. Zur Begründung bezog sich die Beklagte auf die Gründe des Ausgangsbescheides. Ergänzend führte die Beklagte aus, dass die Klägerin die Beträge aufgrund unzulässig und rechtswidrig bezogener Leistungen erhalten habe und diese deshalb zurückzuerstatten habe. Hierfür sei der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch herangezogen worden. Dies sei nicht zu beanstanden. Aufgrund der Widerrechtlichkeit der Handlungen der Klägerin bestehe keine Möglichkeit, die Rückforderung aufzuheben. Auch die Höhe der gegenüber der Klägerin bezifferten Forderung sei nicht zu beanstanden. Die der Verwaltung der Beklagten entstandenen Sachermittlungskosten seien Bestandteil des Schadensersatzanspruches. Art und Umfang bestimme sich nach § 249 BGB. So erstrecke sich die Schadensersatzpflicht auch auf alle durch das schädigende Ereignis adäquat verursachten Folgekosten. Die Verwaltung der Beklagten habe die Kosten so gering wie möglich gehalten.
Mit Beschluss vom 18.05.2010 (S 43 KR/372/10 ER) hatte das Sozialgericht die von der Beklagten am 12.04.2010 angeordnete sofortige Vollziehung aufgehoben und die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den streitgegenständlichen Bescheid angeordnet. Die hierge...