Entscheidungsstichwort (Thema)
sozialrechtliches Verwaltungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Der Beginn der Handlungsfrist des § 45 Abs.4 Satz 2 SGB X für die rückwirkende Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes kann nicht durch Ermittlungen verzögert werden, die keinen Einfluss auf die Entscheidung haben.
2. Zum Vertrauensschutz bei fortgesetzter Leistungsbewilligung.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 17. Dezember 2002 und der Bescheid der Beklagten vom 30. September 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. April 1997 aufgehoben.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig sind die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe vom 29. Juni 1993 bis 25. Mai 1996 und die Rückforderung der Leistungen in Höhe von 39.056,90 DM sowie 11.024,73 DM Krankenversicherungsbeiträge in Euro.
Der 1960 geborene Kläger war von 1978 bis 1987 als Metallarbeiter bei der Firma S. AG, danach als Sägewerker, Monteur, Metallwerker, Maschinenschlosser, Lagerarbeiter und Gerbereiarbeiter, unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit, tätig. Vor seiner Arbeitslosmeldung am 29. Juni 1993 übte er vom 1. Februar 1991 bis 27. Juni 1993 eine Tätigkeit als Former aus. Ab 29. Juni 1993 erhielt er Arbeitslosengeld.
Auf seinen Antrag vom 1. Juli 1994 bewilligte die Beklagte ihm ab 9. Juli 1994 Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich 257,40 DM. Vom 23. Januar 1995 bis 31. März 1995 bezog er Unterhaltsgeld und anschließend wieder Arbeitslosenhilfe.
Am 20. Juli 1994 vermerkte die Beklagte, dass der Kläger von einem Bediensteten des Arbeitsamts öfters im Lokal "L." in A-Stadt gesehen wurde, auch beim Straßenkehren, und dass der PKW des Klägers auffällige Werbeaufkleber des Lokals trug. Aufgrund der Verfügung vom 7. Oktober 1994 führte das Arbeitsamt S. in dem Lokal eine Außenprüfung durch. Die Mitarbeiter trafen dort am 24. Februar 1995 den Kläger an. Er gab an, er sei seit Ende Juli 1994 je nach Arbeitsanfall als Aushilfskraft tätig und es würden alle anfallenden Tätigkeiten von ihm verrichtet. Im Durchschnitt sei er an drei Tagen in der Woche, täglich ungefähr zwei bis vier Stunden, tätig. Für die erbrachten Leistungen erhalte er kein Arbeitsentgelt, weil er die Arbeiten für seinen Cousin (E. K.) unentgeltlich verrichte. Er habe die Getränke frei, das Essen nehme er auf seine Kosten von zu Hause ein. Seit Ende Januar 1995 arbeite er jeden Tag von Dienstag bis Sonntag acht Stunden unentgeltlich bei freien Getränken.
Die weiteren Ermittlungen der Beklagten in der Gaststätte am 6., 7., 8. und 21. März 1995 ergaben, dass der Betreiber des Lokals E. K. sei, der in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma G. und R. in R. stehe und dort in der Spätschicht von 15:30 Uhr bis 23:30 Uhr arbeite. Während der Öffnungszeiten am Mittag werde das Lokal von E. K. und erforderlichenfalls von dessen Cousin, dem Kläger, betrieben. Der Kläger halte sich dort seit Ende Juli 1994 mittags etwa eine Stunde, insgesamt täglich zwei bis vier Stunden auf. Seit 29. Januar 1995 arbeite er täglich jeweils von 16:15 Uhr bis zum Eintreffen des Betreibers um circa 24:00 Uhr. Er sei mit dem Ausschank von Getränken, Zubereiten von Speisen und Ausfahren von Pizzen beschäftigt. Er erhalte kein Entgelt, es handle sich um eine Mithilfe für die Familie.
Am 3. April 1995 meldete sich der Kläger wieder arbeitslos und erhielt auf seine Anträge ab 1. April und 10. Juli 1995 Arbeitslosenhilfe. Nach den weiteren Ermittlungen der Beklagten am 26. Juli 1995 waren die Öffnungszeiten des Lokals Dienstag bis Sonntag 16:00 bis 1:00 Uhr, Montag war Ruhetag. Bei der persönlichen Vorsprache des Klägers bei der Beklagten am 29. August 1995 bestätigte er seine Angaben, dass er in der Gastwirtschaft seines Cousins unentgeltlich aus familiären Gründen mithelfe.
Das Landratsamt S. führte am 27. März 1996 in dem Lokal eine Lebensmittelkontrolle durch und traf dort den Kläger und dessen Cousin E. K. an. Dieser gab an (bestätigt durch seine Unterschrift), er sei Erlaubnisinhaber der Gastwirtschaft, übe das Gewerbe jedoch nicht aus. Sein Cousin, der Kläger, betreibe das Lokal selbständig. Aus ausländerrechtlichen Gründen und wegen der fehlenden Berechtigung des Klägers zur selbstständigen Gewerbeausübung habe er das Gewerbe auf seinen Namen angemeldet und auch die gaststättenrechtliche Erlaubnis erhalten. Tatsächlich habe er mit dem Betrieb wegen seiner Berufstätigkeit nichts zu tun. Der Kläger teilte mit, er sei im Zeitpunkt der Kontrolle für die Wirtschaftsführung des Lokals verantwortlich gewesen. Die Verträge seien von seinem Cousin K. geschlossen und die Buchhaltung werde von diesem erledigt. Noch an diesem Tag wurde das Lokal aus lebensmittelhygienischen Gründen vorübergehend geschlossen und das Landratsamt S. zeigte den Kläger bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht A. wegen Vers...