Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme vorgemerkter Beitrags- und Beschäftigungszeiten. Qualifikationsgruppe. Vertriebenenausweis. Bindungswirkung. Vertriebenenstatus. Vertreibungszeitpunkt. Vertriebeneneigenschaft. Verlassen des Vertreibungsgebiets. Erneuter Vertreibungstatbestand. Missglückter Aussiedlungsversuch
Leitsatz (redaktionell)
Die Bindungswirkung eines Vertriebenenausweises erstreckt sich auf die zur Feststellung des Vertriebenenstatus erforderlichen Voraussetzungen.
Normenkette
FRG §§ 14-16, 1a; SGB X § 45 Abs. 1; BVFG §§ 4, 1
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 27.01.2004 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten besteht Streit über die Rücknahme vorgemerkter Beitrags- und Beschäftigungszeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG).
Die 1962 geborene Klägerin reiste am 09.05.1976 zusammen mit ihrer Mutter aus Rumänien ins Bundesgebiet ein, kehrte aber mit dieser im Dezember 1976 wieder nach Rumänien zurück. Dort besuchte sie von 1977 bis 1981 ein Gymnasium und arbeitete anschließend vom 12.11.1981 bis 26.09.1987 als Laborantin. Am 22.01.1988 übersiedelte sie nach Jugoslawien und kam von dort am 18.06.1989 wider in das Bundesgebiet. Das Landratsamt A. stellte ihr am 29.06.1990 einen Vertriebenenausweis A aus.
Mit Bescheid vom 31.08.1995/Widerspruchsbescheid vom 09.05.1995 und Bescheid vom 21.11.1995 stellte die Beklagte die rumänischen Versicherungszeiten (Vertreibung und Flucht im Mai 1976, Pflichtbeiträge von Juli 1981 bis Mai 1986, Schwangerschaftszeiten, Pflichtbeiträge für Kindererziehung) bis September 1987 fest. Mit Bescheid vom 28.01.1997 hob die Beklagte die Bescheide bezüglich der Vormerkung der Zeiten vom 27.07.1981 bis 26.09.1987 wieder auf. Dieser Aufhebungsbescheid wurde Gegenstand des vor dem Sozialgericht Würzburg (SG) gegen die Bescheide vom 31.08.1995/21.11.1995 anhängigen Klageverfahrens - S 6 RJ 435/96 -. In diesem Klageverfahren erklärte sich die Beklagte am 14.10.1998 zur erneuten Verbescheidung bereit. Sie verpflichtete sich ferner, ein positives Ergebnis im ebenfalls anhängigen Klageverfahren der Mutter der Klägerin (S 4 RJ 438/96, L 19 RJ 205/98) auch dem Fall der Klägerin zugrunde zu legen. Mit Urteil vom 11.10.2000 entschied der 19. Senat des BayLSG, dass die von der Mutter der Klägerin nach der ersten Ausreise in Rumänien zurückgelegten Zeiten nicht zu berücksichtigen seien.
Anschließend hob die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 19.01.1999 die Feststellungsbescheide vom 31.08.1995 und 21.11.1995 bezüglich Anerkennung der Zeit vom 27.07.1981 bis 26.09.1987 erneut auf. Die nach dem 09.05.1976 zurückgelegten Zeiten könnten nicht nach dem FRG berücksichtigt werden. Aufgrund des 1976 für die Mutter ausgestellten Vertriebenenausweises sei ein abgeschlossener Vertreibungsvorgang zu bejahen. Die von der Klägerin geltend gemachte Mehrfachvertreibung liege nicht vor. Ohne Belang sei, dass die minderjährige Klägerin im Vetriebenenausweis der Mutter namentlich nicht erwähnt worden sei. Dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme sei der Vorrang einzuräumen. Ein etwaiges subjektives Vertrauen in den Bestand der aufgehobenen Bescheide habe die Klägerin nicht durch Verbrauch von Leistungen oder durch eine feste Vermögensdisposition realisiert. Der gegen diesen Bescheid erhobene Widerspruch war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25.10.1999).
Während der Rechtshängigkeit der vor dem SG erhobenen Klage hat die Beklagte den Bescheid vom 23.11.1999 erteilt, in dem nur Zeiten der Vertreibung, Flucht, Schulausbildung und für Kindererziehung vorgemerkt sind. Mit Urteil vom 27.01.2004 hat das SG die Klage - gerichtet auf Vormerkung der Beschäftigung von 1981 bis 1987 - abgewiesen. Der Vertriebenenstatus der Klägerin sei - unabhängig von einer eigenen Willensentscheidung - bereits mit dem Verlassen der Vertreibungsgebiete im Jahr 1976 eingetreten; somit sei das Vertreibungsgeschehen seinerzeit zu einem Abschluss gekommen. Ein weiteres Vertreibungsgeschehen habe bei der Klägerin nicht vorgelegen. Sie müsse sich auch die Entscheidungen der personensorgeberechtigten Mutter im Jahre 1976 zurechnen lassen. Nachdem die aufgehobenen Bescheide von vorneherein teilweise rechtswidrig gewesen seien, habe die Beklagte unter Anwendung der Vorschrift des § 45 SGB X die Bescheide insoweit aufheben können, auch wenn sie bereits rechtskräftig geworden seien. Im Anschluss an den im Verfahren S 6 RJ 435/96 geschlossenen Überprüfungsvergleich habe die Beklagte ihr Ermessen zutreffend ausgeübt. Auf Vertrauen könne sich die Klägerin nicht berufen.
Zur Begründung ihrer dagegen eingelegten Berufung trägt die Klägerin vor, die Rückkehr in das Vertreibungsgebiet schließe eine erneute Vertreibung rechtlich nicht aus. Ihre Mutter habe nämlich mit der besuchsweisen Rückkehr nach Rumänien im Dezember 1976 dort keinen neuen Wohnsitz begründet, da sie keinen ents...