Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Krankenversicherung: Medizinische Notwendigkeit für die Teilnahme an einem Rehabilitationssport in Gruppen bei einem Wirbelsäulenleiden
Leitsatz (amtlich)
1. Hinsichtlich der medizinischen Notwendigkeit für die Teilnahme an einem Reha-Sport in Gruppen ist auf den Einzelfall abzustellen und hierbei auf den Schweregrad der Beeinträchtigung unter Berücksichtigung des rehabilitativen Zwecks des Gemeinschaftserlebnisses, mit anderen vergleichbar Betroffenen Sportliches leisten zu können.
2. Der Übergang zwischen Reha-Sport und allgemeiner Wirbelsäulengymnastik in einem Sportverein oder der VHS ist fließend.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 1. August 2014 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 2012 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erstattung der Kosten für die Teilnahme am Rehabilitationssport (Reha-Sport) in Höhe von 250.- EUR.
Der 1947 geborene Kläger und Berufungsbeklagte beantragte am 8. Februar 2012, eingegangen am 24. Februar 2012, unter Vorlage einer Verordnung für Rehabilitationssport des Allgemeinarztes Dr. H. die erneute Kostenübernahme für Rehabilitationssport Gymnastik (auch im Wasser) / Schwimmen. Dies diene zum Erhalt der Beweglichkeit. Es handele sich um 50 Übungseinheiten.
2007 hatte die Beklagte und Berufungsklägerin einen entsprechenden Antrag genehmigt, 2009 abgelehnt.
Mit Bescheid vom 18. April 2012 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Nach der Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) gingen aus der Verordnung keine Gründe für eine nochmalige Kostenübernahme hervor.
Im Widerspruch verwies der Kläger auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Juni 2008 (B 1 KR 31/07 R) und vom 2. November 2010 (B 1 KR 8/10 R). Die Beklagte holte eine (erneute) Stellungnahme des MDK vom 18. Mai 2012 ein. Aus den vorliegenden Unterlagen gehe nicht hervor, dass eine außergewöhnliche Gesundheitsstörung entsprechend der Sonderregelung in der Rahmenvereinbarung zur Durchführung von Reha-Sport vorliege. Eine Weiterführung der aus medizinischer Sicht bei Wirbelsäulenleiden unzweifelhaft empfehlenswerten sportlichen Betätigung obliege der Eigenverantwortung des Klägers.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. Juni 2012 zurück.
Es sei, gestützt auf die Stellungnahme des MDK, eine medizinische Notwendigkeit für die weitere Kostenübernahme von Reha-Sport nicht gegeben. Der Kläger sei durch die bisherige Teilnahme in die Lage versetzt, erlernte Übungen eigenverantwortlich, ggf. auch auf eigene Kosten, durchzuführen. Das in der Widerspruchsbegründung zitierte Urteil des BSG vom 2. November 2010 finde in diesem Fall keine Anwendung. Vielmehr sei die medizinische Notwendigkeit jeweils im Einzelfall festzustellen.
Mit der Klage zum Sozialgericht Landshut hat der Kläger (weiterhin) Mittel zur Durchführung von Rehabilitationssport begehrt. Er hat sich nochmals auf die Rechtsprechung des BSG bezogen und Ausfertigungen weiterer sozialgerichtlicher Urteile übermittelt. Er hat ferner darauf hingewiesen, dass zu den bisherigen Leiden im August 2012 eine Thrombose und eine Lungenembolie hinzugekommen seien. Während des Klageverfahrens ist ferner ausgeführt worden, dass zu dem bereits bei der Verordnung bekannten Wirbelsäulenleiden eine starke Arthrose im Hüftgelenk, zwei versteifte Rückenwirbel sowie laut MRT-Bericht vom 15. Januar 2014 starke Verschleißerscheinungen an der Halswirbelsäule (HWS) hinzugetreten seien. Er befinde sich daher seit Dezember 2013 in orthopädischer Behandlung sowie in weiterer krankengymnastischer Behandlung - letztmalig seien im August 2013 Leistungen der physikalischen Therapie wegen Wirbelsäulenleidens beantragt worden.
Die Beklagte hat weiterhin die medizinische Notwendigkeit des Reha-Sports verneint. In diesem Sinne sei die Rechtsprechung des BSG zu verstehen. § 11 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) sei zu beachten. In einer erneuten Stellungnahme des MDK vom 17. Mai 2013 ist dieser nochmals zu dem Ergebnis gekommen, dass der Reha-Sport beim Kläger medizinisch nicht notwendig sei. Durch die verordnungsbegründende Diagnose "WS-Leiden" drohe weder eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit noch liege diese vor. Ein dem Reha-Sport gleichwertiger Effekt sei mit regelmäßigen Übungsstunden im Sportverein zu erzielen. Reha-Sport in Gruppen zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sollte sich, wie auch das BSG deutlich zum Ausdruck gebracht habe, auf Fälle beschränken, bei denen der rehabilitative Gruppeneffekt zu Lasten der Solidargemeinschaft medizinisch notwendig im Sinne des § 11 SGB X sei.
Das Sozialgericht hat die Beklagte mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 1. August 2014 unter Abänderung des Bescheides vom 18. April 2012 in Gestalt des Widers...