Entscheidungsstichwort (Thema)
Rehabilitation und Teilhabe. Zuständigkeitsklärung. Erstattungsanspruch des erstangegangenen Rehabilitationsträgers nach § 105 SGB 10 bei Leistungserbringung aufgrund einer Rücksendung des Teilhabeantrags durch den zweitangegangenen Rehabilitationsträger. Zuständigkeit des zweitangegangenen Rehabilitationsträgers. sachliche Zuständigkeit. Art 82 SGAG BY. Betreuung in einer Wohngemeinschaft. örtliche Zuständigkeit. § 98 Abs 5 SGB 12. Leistungen in betreuten Wohngemeinschaften. unterschiedliche Auslegung des Begriffs des betreuten Wohnens
Leitsatz (amtlich)
1. § 14 SGB IX ist lex specialis zu § 43 SGB I. Ein Zuständigkeitsstreit besteht bei Weiterleitung des Antrags nicht mehr.
2. § 98 Abs 5 SGB XII erfordert Formen des betreuten Wohnens sowie kein Überwiegen von Leistungen der Pflege oder anderer Eingliederungshilfe.
3. Der Landesgesetzgeber kann die sachliche Zuständigkeit nach dem Gesamtfallgrundsatz regeln und hier auf die Lebensformen der Betreuung in einer Wohngemeinschaft abstellen (hier: Art 82 AGSG Bayern - juris: SGAG BY).
4. Je nach Regelungszweck kann der Begriff des betreuten Wohnens unterschiedlich ausgelegt werden.
5. Bei gleichzeitiger Erbringung mehrerer Leistungen der Sozialhilfe in der Form des betreuten Wohnens genügt zur Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit bereits ein geringfügiger Anteil an Eingliederungshilfe, damit der überörtliche Träger zuständig ist (Art 82 Abs 2 AGSG Bayern); Anschluss an LSG München vom 21.2.2013 - L 18 SO 85/10 = EuG 2013, 387.
6. Der Schutz des Einrichtungsortes in Formen ambulanter betreuter Wohnmöglichkeiten gem § 98 Abs 5 SGB XII besteht nur, wenn nicht überwiegend Pflegeleistungen erbracht werden (Anschluss an BSG vom 25.8.2011 - B 8 SO 7/10 R = BSGE 109, 56 = SozR 4-3500 § 98 Nr 1).
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 12. August 2014 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten, beide überörtliche Träger der Sozialhilfe, streiten um die Erstattung von Kosten, die der Kläger im Zeitraum vom 3.10.2013 bis 30.6.2014 für Leistungen an die Hilfeempfängerin (Leistungsberechtigte S. S.) aufgewandt hat.
Die Leistungsberechtigte legte im Bezirk des Klägers im Jahr 2013 das Abitur ab und verzog am 20.9.2013 in das Gebiet des Beklagten. Dort studierte sie seit dem Wintersemester 2013/2014 an der Universität, die im Gebiet der Beigeladenen liegt.
Während der Schulzeit hatte der Kläger die Kosten eines Schulhelfers als Eingliederungshilfe übernommen. Denn die Leistungsberechtigte leidet von Geburt an an einer spinalen Muskelatrophie und kann nicht stehen oder gehen und nur bedingt frei sitzen. Für die Fortbewegung ist ein elektrischer Rollstuhl notwendig; die Armkraft ist stark eingeschränkt. Sie ist auch nachts auf ständige Hilfe angewiesen, muss insbesondere mehrmals umgelagert werden. Sie ist seitens der gesetzlichen Pflegeversicherung in die Pflegestufe III eingeordnet.
Den Umzug sowie die Aufnahme des Studiums hatte die Leistungsberechtigte dem Kläger unter Übersendung des am 10.5.2013 unterzeichneten Hilfeplanungs-, Entwicklungs- und Abschlussberichtsbogens (HEB-Bogen) vom 29.4.2013 mitgeteilt und am 16.5.2013 (Eingang) Leistungen beantragt.
Der Kläger übersandte dem Beklagten den Antrag am 21.5.2013, weil in dessen Bereich die Hochschule liege. Dieser sandte am 29.5.2013 den Antrag an den Kläger zurück, weil es sich um ambulant betreutes Wohnen handle. Nach § 98 Abs. 5 SGB XII sei danach der bisherige Sozialhilfeträger zuständig.
Nach Rücksprache mit dem Beklagten und der Beigeladenen bewilligte der Kläger mit Bescheid vom 13.9.2013 Eingliederungshilfe und ambulante Hilfe zur Pflege in Form von Hochschulhilfe und persönlicher Assistenz laut Kostenvoranschlag des Zentrums für selbstbestimmtes Leben Behinderter e.V. - Assistenzorganisation - ZSL - A-Stadt in Höhe von bis zu 16.202,93 € pro Monat und machte gleichzeitig gegenüber dem Beklagten und gegenüber der Krankenkasse einen Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X geltend. Mit Bescheid vom 29.11.2013 übernahm der Kläger auch die Kosten für ein Assistentenzimmer in Höhe von 100,00 € monatlich.
Zuvor erfolgten Schriftwechsel und Telefonate mit dem Beklagten. Gleichzeitig sandte der Kläger Schreiben in Kopie an die Beigeladene, damit diese über die beantragten ambulanten Hilfen zur Pflege ggf. in Absprache mit dem Beklagten entscheiden könne. Am 13.9.2013 erstellte der Sozialpädagogisch-Medizinische Dienst nach Durchführung eines Hilfeplangespräches eine fachliche Stellungnahme
Am 9.12.2013 hat der Kläger mit Schriftsatz vom 29.11.2013 Klage zum Sozialgericht Augsburg (SG) wegen der bisher angefallenen Kosten erhoben.
Mit Beschluss vom 4.7.2014 hat das SG die Stadt A-Stadt zum Verfahren beigeladen.
Durch Urteil vom 12. August 2014 hat das SG den Beklagten verurteilt, dem Kläger die im Zeitraum vom 3.10.2013 bis 30.6.2014 für die Leistungsberechtigte entstandenen Sozialhilfea...