Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente: Beurteilung des rentenrechtlich relevanten Leistungsvermögens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Für die Beurteilung des rentenrechtlich relevanten Leistungsvermögens kommt es weder auf die Diagnoseerstellung als solche an noch auf die Klassifizierung nach ICD-10. Entscheidend ist vielmehr, ob unter Berücksichtigung der üblichen Anforderungen der Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Versicherter trotz vorliegender Erkrankungen noch mindestens 6 Stunden täglich tätig sein kann, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen.

2. Ob ein derartiges Leistungsvermögen beim Versicherten noch besteht oder nicht, ist nicht anhand der subjektiven Überzeugung des Versicherten festzustellen, sondern durch ärztliche Sachverständige, die die objektiv vorliegenden, aus den gesundheitlichen Erkrankungen folgenden Funktionseinschränkungen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes festzustellen und subjektive Angaben und Überzeugungen des Versicherten in diesen objektiv festzustellenden Rahmen einzuordnen haben.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 15.07.2019; Aktenzeichen B 13 R 3/18 B)

 

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 11.04.2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente aufgrund ihres Antrags vom 04.05.2009 hat.

Die 1955 geborene Klägerin hat eine Ausbildung zur Industriekauffrau aufgenommen (01.08.1970 bis 28.06.1973), die Prüfung aber nicht abgelegt. Bis 30.11.2007 war die Klägerin mit Unterbrechungen in verschiedenen Beschäftigungen als kaufmännische Angestellte, Verkäuferin und Bürokraft versicherungspflichtig tätig, wobei parallel dazu zeitweise auch geringfügige, nicht versicherungspflichtige Tätigkeiten im Versicherungsverlauf vermerkt sind. Anschließend bezog sie Krankengeld bzw. Arbeitslosengeld.

Am 04.05.2009 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung von Erwerbsminderungsrente wegen Schlaflosigkeit, Erschöpfung und Herzrasen. Die Beklagte holte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. L. ein, der am 08.09.2009 zu dem Ergebnis gelangte, dass die Klägerin sowohl ihre letzte Tätigkeit als Industriekauffrau als auch Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen verrichten könne. Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 14.01.2010 eine Rentengewährung ab. Der hiergegen am 15.02.2010 eingelegte Widerspruch wurde nach Beiziehung ärztlicher Unterlagen, insbesondere der Hausärztin Dr. C. und eines Entlassungsberichts über eine stationäre Behandlung im Bezirksklinikum O. in der Zeit vom 20.04.2010 bis 04.05.2010, mit Widerspruchsbescheid vom 12.11.2010 als unbegründet zurückgewiesen.

Zur Begründung der hiergegen am 01.12.2010 zum Sozialgericht Bayreuth (SG) erhobenen Klage hat der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 17.01.2011 darauf hingewiesen, dass die Beklagte die gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin nur unzureichend berücksichtigt habe. Die behandelnde Hausärztin Dr. C. habe die Durchführung eines Klageverfahrens angeregt, da sie mit der Klägerin die Meinung vertrete, dass Erwerbsminderung vorliege. Sie lasse auf die massiven Gesundheitsstörungen verweisen, insbesondere seitens des Fibromyalgiesyndroms, der Wirbelsäule, der Angststörung, der Depressionen, der psychovegetativen Erschöpfung, der Vergesslichkeit, des Asthma bronchiale, der multiplen Allergien, der Hypertonie und des Schlafapnoesyndroms.

Das SG hat medizinische Unterlagen vom Schlaflabor FAZ C-Stadt, des Bezirksklinikums O. über den stationären Aufenthalt vom 20.04.2010 bis 04.05.2010 sowie Befundberichte der behandelnden Ärzte Dr. H., Facharzt für Orthopädie, Dr. R., Facharzt für Orthopädie, der Dipl. med. L. (Neurologin), des Arztes für Allgemeinmedizin K. und der Dipl.-Psych. R. beigezogen. Ferner hat es Auskünfte der aktuellen Krankenkasse der Klägerin, der DAK E-Stadt, der Agentur für Arbeit E-Stadt und des Zentrum Bayern Familie und Soziales - ZBFS - eingeholt.

Sodann hat das SG ein nervenärztliches Terminsgutachten von Dr. M. eingeholt, die am 03.05.2011 zu folgenden Diagnosen gelangt ist:

1. Angst und depressive Störung gemischt mit Somatisierung

2. Panikstörung

3. Schlafapnoesyndrom (übernommene Diagnose)

Die Klägerin könne noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten im Wechselrhythmus ohne besondere Stressbelastung, ohne Schicht- und Akkordtätigkeit mindestens sechs Stunden täglich verrichten. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Industriekauffrau sei weiterhin vollschichtig möglich. Es habe sich keine Veränderung gegenüber dem Vorgutachten ergeben.

Der anschließende Erörterungstermin wurde ohne Ergebnis vertagt. Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klä...

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