Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Diabetes mellitus. Hypertonie -Empfehlungen des Deutschen Vereins aus dem Jahr 2008. antizipierte Sachverständigengutachten. rückwirkende Anwendung. keine Verletzung des Art 20 Abs 3 GG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Empfehlungen des Deutschen Vereins (DV) zur Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (Stand: 1.10.2008) fassen die bereits seit den Jahren 2002 bzw 2004 vorliegenden ernährungsmedizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisse zusammen. Insofern stellen sie den Schlusspunkt einer langen wissenschaftlichen Diskussion dar, der es rechtfertigt, sie als allgemein anerkannten ernährungsmedizinischen und ernährungswissenschaftlichen Erkenntnisstand - zumindest - seit dem Inkrafttreten des SGB 2 am 1.1.2005 anzusehen.
2. Die Empfehlungen haben keinen rechtsnormähnlichen Charakter. Sie stellen eine Sammlung von Erfahrungssätzen dar, welche medizinischen und tatsächlichen Bewertungsmaßstäbe zu beachten sind, um einen erkrankungsbedingten Ernährungsmehraufwand quantifizieren zu können. Als tatsächliche Beurteilungsmaßstäbe finden sie auch Anwendung auf Sachverhalte, die vor dem 1.10.2008 liegen.
3. Im Hinblick auf ihre Aktualität stellen die Empfehlungen eine hinreichende Erfahrungsgrundlage dar, um den regelmäßigen Ernährungsaufwand für die dort genannten Krankheitsbilder typisierend zu bewerten. Den Nachweis eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes kann der beweisbelastete Leistungsempfänger nur im Wege einer Einzelfallbetrachtung führen.
Orientierungssatz
Unter Beachtung der in den Empfehlungen des DV aus 2008 enthaltenen antizipierten Sachverständigengutachten ist in der Regel für Erkrankungen wie Hypertonie und Diabetes mellitus (Typ I oder II) ein krankheitsbedingt erhöhter Ernährungsaufwand zu verneinen und Vollkost ausreichend. Vollkost lässt sich aus der Regelleistung finanzieren, so dass ein Mehrbedarf gem § 21 Abs 5 SGB 2 nicht anerkannt werden kann.
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichtes Würzburg vom 31.01.2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Bewilligung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes des Klägers.
Der Kläger lebt mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern (N.; geb. 1998 und N.; geb. 2006) in Bedarfsgemeinschaft und bezieht seit 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Mit dem Fortzahlungsantrag vom 04.06.2006 machte der Kläger erstmals einen Mehrbedarf für eine kostenaufwändige Ernährung geltend. Nach der ärztlichen Bescheinigung des Dr. P. (Facharzt für Allgemeinmedizin) vom 04.05.2006 leide er an Diabetes mellitus Typ II b und Hypertonie (bei Adipositas; Körpergröße 1,70 m; Gewicht 95 kg). Diese Erkrankungen erforderten eine natriumdefinierte Reduktionskost sowie eine Diabeteskost.
In der Folgezeit berücksichtigte die Beklagte bei der Ermittlung des Bedarfes für den Kläger einen ernährungsbedingten Mehrbedarf in Höhe von 25,56 EUR monatlich (Bewilligungszeitraum 01.08.2006 bis 31.01.2007).
Anlässlich des Fortzahlungsantrages für die Zeit ab dem 01.02.2007 (Antrag vom 30.01.2007) legte der Kläger keine neue Bescheinigung über das Bestehen eines ernährungsbedingten Mehrbedarfes vor. Mit Bescheid vom 05.02.2007 bewilligte die Beklagte dem Kläger (und den mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Familienmitgliedern) Leistungen in Höhe von 1.174,06 EUR (monatlich) für die Zeit ab dem 01.02.2007, für Mai 2007 in Höhe von 1.151,06 EUR und für Juni 2007 bzw. Juli 2007 in Höhe von jeweils 1.148,50 EUR. Hierbei berücksichtigte die Beklagte für die Zeit ab dem 04.05.2007 keinen ernährungsbedingten Mehrbedarf des Klägers mehr.
Den Widerspruch vom 22.02.2007 begründete der Kläger damit, dass nicht nachzuvollziehen sei, aus welchen Gründen die Leistungen ab Mai 2007 gemindert würden.
Mit Bescheid vom 02.06.2007 berücksichtigte die Beklagte die Anpassung der Regelleistungen zum 01.07.2007, wodurch sich der Anspruch für Juli 2007 auf 1.152,50 EUR erhöhte.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.2007 zurück. Ein ernährungsbedingter Mehrbedarf bestehe nicht, denn eine natriumdefinierte Reduktionskost, d.h. kochsalzarme Ernährung sei nach den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. (DV) nicht teurer als eine Normalernährung. Auch bedürfe der bestehende Diabetes mellitus Typ II b keiner kostenaufwändigeren Ernährung, denn die Ernährungstherapie für Übergewichtige ziele auf eine kontinuierliche und anhaltende Gewichtsreduktion ab. Die hierzu erforderliche Reduzierung der Energiezufuhr führe nicht zu ernährungsbedingten Mehrkosten. Ein Anspruch auf eine Krankenkostzulage habe daher zu keiner Zeit bestanden.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 27.06.2007 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Wegen seines ärztl...