Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bildung und Teilhabe. Schülerbeförderungskosten. Besuch einer anderen als der nächstgelegenen Schule. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Schülerbeförderungskosten stellen als zusätzliche Leistung zu Regelbedarf und Kosten der Unterkunft das Existenzminimum sicher. Dies ergibt eine verfassungskonforme Auslegung im Sinn des BVerfG der einschlägigen Vorschriften im SGB 2.
2. Besucht ein nach dem SGB 2 leistungsberechtigtes Kind nicht die nächstgelegene Schule, so verliert es seinen Anspruch auf Schülerbeförderungskosten nicht, wenn Fahrtkosten in gleicher Höhe oder höher zu der anderen Schule entstehen.
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31. Januar 2014 wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitgegenständlich sind als Leistungen nach dem SGB II Kosten der Schülerbeförderung für den Kläger in Höhe von monatlich 66,50 EUR für den Zeitraum September 2012 bis einschließlich Juli 2013 durch den Beklagten.
Der 2000 geborene Kläger lebt mit seiner Mutter und seinem 1993 geborenen Bruder in einer Bedarfsgemeinschaft, die seit Jahren Leistungen nach dem SGB II bezieht.
Nachdem die Bedarfsgemeinschaft im Jahr 2008 von B. in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten gezogen war, besuchten der Kläger und sein Bruder zunächst die Schule in B-Stadt. Im Frühjahr 2011 bestand der Kläger die Aufnahmeprüfung an der staatlichen Realschule in B-Stadt nicht.
Im Mai wechselten der Kläger und sein Bruder dann zu Schule in W., wobei er eine Klasse zurückgesetzt wurde, er also nochmals die 6. Klasse absolvierte. Die Fahrtkosten für das Schuljahr 2011/2012 wurden dem Kläger und seinem Bruder auf Grund eines im Verfahren L 7 AS 62/12 vor dem Senat geschlossenen Vergleichs vom 15.06.2012 dergestalt erstattet, dass der Beklagte für die Brüder die Fahrtkosten für die monatliche Schülerbeförderungskarte zur nächstgelegenen Schule nach B-Stadt übernahm, abzüglich der im Gesetz vorgesehenen fünf Euro monatlich.
Am 20.08.2012 beantragten der Kläger und sein Bruder für das Schuljahr 2012/2013 erneut die Übernahme von Fahrtkosten für den Besuch der Schule in W., wobei sie ihren Antrag jedoch in der Höhe beschränkten auf Kosten für Schülermonatskarten zur nächstgelegenen Schule in B-Stadt in Höhe von 71,50 EUR monatlich, abzüglich der im Gesetz vorgesehenen fünf Euro, also 66,50 EUR monatlich.
Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 05.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2013 die Übernahme von Beförderungskosten für das Schuljahr 2012/2013 vollumfänglich ab.
Auf Grund der hiergegen erhobenen Klage verurteilte das Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 31. Januar 2014 den Beklagten, für den Kläger und dessen Bruder Kosten der Schülerbeförderung in Höhe von 66,50 EUR monatlich für den Zeitraum September 2012 bis einschließlich Juli 2013 zu übernehmen.
Der Kläger und sein Bruder hätten nach § 28 Abs. 4 SGB II Anspruch auf Übernahme von Schülerbeförderungskosten in Höhe von 66,50 EUR monatlich. Bei der Schule in W. handle es sich zwar nicht um die nächst gelegene Schule eines Bildungsganges im Sinne von § 28 Abs. 4 SGB II. Die W.Schule als solche stelle keinen eigenen Bildungsgang dar. Da sich im nur 15 Kilometer entfernten B-Stadt staatliche Schulen jedes Bildungsganges befänden, welche grundsätzlich für den Kläger und seinen Bruder in Frage kämen, handle es sich bei der W.Schule nicht um die nächstgelegene Schule des "Bildungsganges" im Sinne von § 28 Abs. 4 SGB II.
Dass nicht die nächstgelegene, sondern eine weiter entfernte Schule besucht werde, schließe den Anspruch nach § 28 Abs. 4 SGB II jedoch nicht aus. Das in Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich gewährleistete elterliche Erziehungsrecht, das insbesondere auch die Wahl der Schule mit einschließe, lasse eine Auslegung dahingehend, dass beim Besuch einer weiter entfernten Schule gar keine Leistungen gewährt werden, nicht zu. Auch der Zweck des Gesetzes spräche gegen einen vollständigen Ausschluss. Die Vorschrift des § 28 Abs. 4 SGB II sei eingeführt worden, weil Kosten, die für einen Schulweg anfallen, nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht aus dem Regelbedarf bestritten werden sollten. Darauf liefe es aber hinaus, schlösse man Kinder vom Anspruch nach § 28 Abs. 4 SGB II vollständig aus, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht die im Sinne der landesrechtlichen Regelung nächstgelegene Schule besuchten. § 28 Abs. 4 SGB II solle Lücken in den Gesetzen der Länder für Leistungsberechtigte nach dem SGB II zu schließen.
Eine mit dem Gleichheitssatz unvereinbare ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber Nichtleistungsempfänger sehe das Gericht bei einer solchen Auslegung von § 28 Abs. 4 SGB II nicht. Der Grund für die unterschiedliche Behandlung von Leistungsempfängern und Nichtleistungsempfängern läge gerade in der Hilfebedürftig...