Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Fußhebersystem mit Neurostimulator als Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich bei Vorliegen einer Multiplen Sklerose
Leitsatz (amtlich)
Ein Fußhebersystem mit Neurostimulatur (Myoorthese) stellt bei Vorliegen einer Multiplen Sklerose ein technisch weiterentwickeltes Hilfsmittel dar. Es steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer neuen Behandlungsmethode, sondern dient dem unmittelbaren Behinderungsausgleich.
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23.03.2017 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin und Berufungsbeklagte begehrt die Erstattung der Kosten für die Leihgebühr und des Kaufpreises für eine Orthese "Walk Aide" in Höhe von 4.790,39 EUR.
Die 1963 geborene Klägerin beantragte am 22. Dezember 2014 unter Vorlage eines Kostenvoranschlags der Orthopädie-Technik K. GmbH vom 17. Dezember 2014 die Übernahme bzw. Erstattung der Kosten für die Miete eines Hilfsmittels "Walk Aide" - einer Fußheberorthese der Firma P. - in Höhe von 855,48 EUR durch die Beklagte. Es handelt sich um das Gerät Walk Aide WA-5000. Dem lag eine Verordnung des I. Klinikums vom 11. Dezember 2014 für vier Wochen mit der Diagnose "Multiple Sklerose mit primär-chronischem Verlauf" zugrunde.
Die Beklagte hatte eine Fußheberorthese (Unterschenkelorthese in C-Faser-Technik) bereits am 8. April 2013 gemäß Verordnung des Prof. Dr. Dr. F. vom 4. April 2013 genehmigt, nachdem die vorhandene Unterschenkelorthese schwer beschädigt war.
Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) in Bayern kam in einer Stellungnahme vom 14. Januar 2015 zu dem Ergebnis, dass das beantragte Gerät nicht im Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) aufgeführt sei. Allein die gemäß vorliegender Verordnung angegebene Diagnose begründe nicht die Versorgung, insbesondere unter Berücksichtigung bereits stattgehabter zeitnaher Vorversorgung. Ergänzende Einzelangaben seien erforderlich.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 19. Januar 2015 die Kostenübernahme ab.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens brachte die Klägerin vor, sie sei dringend auf eine neue Versorgung angewiesen, nachdem die bisher benutzte C-Faser-Orthese gebrochen sei. Bei der Myoorthese Walk Aide handele es sich um ein Gerät zur funktionellen Elektrostimulation, das den Fußhebernerv stimuliere, um Gangstörungen auszugleichen. Dadurch werde das Gangbild deutlich verbessert und die bei ihr sehr ausgeprägte Fußheberschwäche links optimal versorgt. Gefährliche Sturz- und Stolperfälle könnten verringert oder sogar vermieden werden.
Die Beklagte holte eine nochmalige Stellungnahme des MDK vom 24. Februar 2015 ein; der MDK wies erneut auf das Erfordernis einer entsprechenden Begründung hin, insbesondere auch zur medizinischen Zweckmäßigkeit der Neuversorgung.
Die Klägerin reichte eine weitere ärztliche Verordnung vom 12. März 2015 für die Versorgung mit der Myoorthese Walk Aide mit Zubehör und einen Kostenvoranschlag hierfür in Höhe von 5.325,93 EUR nach, ferner zwei Rechnungen vom 10. Februar 2015 in Höhe von 478,00 Euro und vom 12. März 2015 in Höhe von 4.312,39 EUR (Kaufpreis für Walk Aide sowie bereits bezahlte Mietpauschale für den Zeitraum vom 6. Februar bis 5. März 2015 in Höhe von 478,00 EUR).
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2016 zurück. Der MDK habe festgestellt, dass eine Neuversorgung aus sozialmedizinischer Sicht nicht notwendig sei.
Mit der Klage zum Sozialgericht München hat die Klägerin einen Anspruch auf Kosten-erstattung für die Leihgebühr und den Kaufpreis geltend gemacht. Die bisherige C-Faser-Orthese sei nach 1,5 Jahren gebrochen und habe nicht mehr repariert werden können. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB V) lägen vor. Durch die funktionelle Elektrostimulation mit der Orthese Walk Aide werde ein besseres und stabileres Gehvermögen erreicht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) bestehe im Bereich des unmittelbaren Behinderungsausgleiches Anspruch auf möglichst weitgehenden Ausgleich des Funktionsdefizites unter Berücksichtigung des aktuellen Standes des medizinischen Fortschrittes. Die Versorgung sei auch nicht unwirtschaftlich, da eine Neuversorgung notwendig gewesen sei. In dem beigefügten Attest vom 24. März 2016 hat der Chefarzt der Klinik für Neurologie des I.-Klinikums, Prof. Dr. M., bescheinigt, dass durch den Einsatz des Walk Aide-Systems bei der Klägerin ein physiologischeres Gangbild linksseitig ermöglicht werde mit einer deutlich verlängerten Gehstrecke. Die Fußheberschwäche beruhe auf einer primär chronisch progredienten Multiplen Sklerose, die seit 1997 bekannt sei, ohne dass es relevante Therapieoptionen gebe.
In einem weiteren Attest...