Entscheidungsstichwort (Thema)

Klageänderung. Einlassung. Irrtum. Merkzeichen G und B

 

Leitsatz (amtlich)

I. Die Zustimmungsfunktion durch rügelose Einlassung gemäß § 99 Abs. 2 SGG greift grundsätzlich nicht, wenn der Beklagte sich in der irrtümlichen Annahme eingelassen hat, es sei bereits auf der Grundlage des § 96 SGG eine Erweiterung des Streitgegenstands erfolgt.

II. Zu den gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B - Beweiswürdigung.

 

Normenkette

SGG § 99 Abs. 1-2, §§ 96, 153; SGB IX § 69 Abs. 1 S. 1, Abs. 4, § 146 Abs. 1 S. 1, Abs. 2

 

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 12. Januar 2006 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Berufung betrifft eine Angelegenheit aus dem Schwerbehindertenrecht. Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob beim Kläger die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen G und B vorliegen.

Der inzwischen 63-jährige Kläger, ein ehemaliger Zeitsoldat und Verwaltungsbeamter, leidet vorwiegend an schweren psychischen Störungen. Seit den 1980er Jahren hat er bis heute zahlreiche stationäre psychiatrische Behandlungen durchlaufen. Bereits 1991 ist er wegen seiner psychischen Erkrankung pensioniert worden. Daneben liegen auch gesundheitliche Probleme auf orthopädischem Fachgebiet vor. Erstmals kam es im Jahr 1989 zur Feststellung eines Grads der Behinderung (GdB). Im November 1998 stellte der Beklagte einen GdB von 80 fest, verneinte aber die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G.

Auf einen Verschlimmerungsantrag hin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 09.04.2002 eine Neufeststellung des GdB ab und negierte wiederum die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G. Dagegen legte der Kläger am 15.04.2002 Widerspruch ein. Noch vor Erlass des Widerspruchsbescheids beantragte der Kläger erneut, einen höheren GdB, daneben aber auch das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen B und RF festzustellen.

Unter dem Datum 04.06.2004 erließ der Beklagte einen Teilabhilfebescheid zum Widerspruch vom 15.04.2002. Ab 22.06.2001 wurde der GdB mit 100 festgestellt. Darüber hinaus stellte der Beklagte fest, die gesundheitlichen Voraussetzungen für Merkzeichen lägen nicht vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 15.06.2004 wies er den Widerspruch im Übrigen zurück.

Am 16.07.2004 hat der Kläger beim Sozialgericht München Klage erhoben. Das Sozialgericht hat ein orthopädisches Gutachten nach persönlicher Untersuchung von Dr. A. T. (Gutachten vom 14.03.2005) eingeholt. Der Sachverständige ist zum Ergebnis gekommen, für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule sei ein Einzel-GdB von 30 nach wie vor angemessen; beim Kläger seien zwei Wirbelsäulenabschnitte mittelgradig betroffen. Motorische Defizite oder eine nennenswerte Beweglichkeitseinschränkung lägen nicht vor. Auch die Knie seien mit 30 zutreffend bewertet. Aufgrund der Arthrose der Kniegelenke bestehe beim Kläger eine Einschränkung der Gehfähigkeit. Diese erreiche aber kein Ausmaß, dass dieser nicht in der Lage wäre, ohne erhebliche Schwierigkeiten oder Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden könnten. Bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei der Kläger aus orthopädischer Sicht nicht regelmäßig auf fremde Hilfe angewiesen.

Weiter hat das Sozialgericht ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten nach persönlicher Untersuchung von Dr. Dr. C. W. eingeholt (Gutachten vom 28.06.2005). Der Kläger, so der Sachverständige, sei nicht in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens, von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit gehindert, Gehstrecken im Ortsverkehr, die üblicher Weise zu Fuß zurückgelegt würden, zurückzulegen - der Anamnese zu Folge würden solche auch zurückgelegt. Kognitive Defizite, die Orientierungsstörungen begründen würden, hätten weder von ihm noch von den Vorgutachtern festgestellt werden können; daran ändere nichts, dass der Kläger die Einschränkung des Gehvermögens insbesondere mit Orientierungsstörungen begründet habe. Der Kläger sei zur Vermeidung von Gefahren für sich und andere bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht auf fremde Hilfe angewiesen. Wegen der auffälligen Psychomotorik (ticartige Bewegungen) in Verbindung mit einer Antriebsschwäche sei jedoch die ständige Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr möglich.

Aufgrund des Gutachtens des Dr. Dr. W. ist in der mündlichen Verhandlung vom 12.01.2006 ein Teilvergleich bezüglich des Merkzeichens RF geschlossen worden. Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom gleichen Tag abgewiesen, wobei es sich zur Begründung auf die beiden Sachverständigengutachten gestützt hat.

Mit Bescheid vom 16.02.2006 hat der Beklagte das Urteil umgesetzt (Feststellung eines GdB von 100 und der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen RF). Als einzelne Gesundheitsstörungen...

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