nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Blutzuckermessung. Häusliche Krankenpflege. Behandlungspflege. Grundpflege. Ärztliche Behandlung
Leitsatz (redaktionell)
Die Blutzuckermessung (gegebenenfalls im Rahmen eines Hausbesuchs) gehört zur ärztlichen Behandlung. Dies gilt auch dann, wenn sie als Maßnahme der häuslichen Krankenpflege nach den Krankenpflege-Richtlinien ausgeschlossen ist.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1-2, Art. 3 Abs. 1; SGB V § 2 Abs. 1 S. 2, § 12 Abs. 1, § 13 Abs. 3, § 15 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 1, § 28 Abs. 1, § 37 Abs. 2, 4, § 82 Abs. 1 S. 2, § 83 Abs. 1, § 92 Abs. 1 S. 2 Nrn. 6-7, Abs. 7, § 135 Abs. 1, §§ 138, 210 Abs. 2; SGG § 14 Abs. 3 S. 2, § 73 Abs. 1, 6; Krankenpflege-Richtlinien Anlage Nr. 11
Verfahrensgang
SG Nürnberg (Entscheidung vom 11.03.2003; Aktenzeichen S 11 KR 287/02) |
Nachgehend
Tenor
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 11. März 2003 wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte hat der Klägerin auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Tatbestand:
Streitig ist die Kostenerstattung für häusliche Krankenpflege (Blutzuckermessung) vom 15.04. bis 30.06.2002.
Die bei der Beklagten versicherte, 1918 geborene Klägerin, die alleine lebt, ist hochgradig sehbehindert und Empfängerin von Blindengeld. Sie leidet darüber hinaus an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus.
Der Vertragsarzt Dr.S. (N.) verordnete am 18.01.2002 für die Klägerin häusliche Krankenpflege vom 18.01.2002 bis 31.03.2002 zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung in Form von Blutzuckermessung zweimal täglich (Ersteinstellung) sowie zweimal täglich Injektionen (subkutan). Aufgrund dieser Verordnung beantragte der Pflegedienst (Häuslicher Kranken- und Altenpflegedienst) am 22.01.2002 bei der Beklagten im genannten Zeitraum Insulininjektionen (einmal täglich) und Blutzuckermessung (einmal täglich). Mit Bescheid vom 25.01.2002 lehnte die Beklagte Blutzuckermessungen ab 15.02.2002 ab. Blutzuckermessen sei bei Neueinstellung nur für 28 Tage zu genehmigen; die Injektionen wurden von der Beklagten genehmigt.
Der Pflegedienst teilte der Beklagten am 18.02.2002 mit Fax die Spritzen- und Blutzuckerprotokolle sowie das Insulinschema mit; die Klägerin werde ab 13.02.2002 zweimal täglich zur Blut-zuckermessung und Insulininjektion besucht. Dr.S. verordnete am 02.04.2002 wieder häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung in Form von Herrichten und Verabreichen der Medikamentengabe sowie subkutane Injektionen für die Zeit vom 01.07.2002 bis 30.09.2002 (jedoch keine Blutzuckermessungen).
Die Klägerin beantragte am 02.04.2002 häusliche Krankenpflege.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 09.04.2002 die Kostenübernahme für die vom Pflegedienst durchzuführenden Blutzuckermes- sungen im Rahmen der häuslichen Krankenpflege ab 15.04.2002 ab.
Der Klägerbevollmächtigte legte hiergegen am 20.4.2002 sinngemäß Widerspruch ein. Die Blutzuckermessungen seien zu Unrecht gestrichen worden, obwohl sie medizinisch notwendig seien und von der Klägerin wegen der Blindheit allein nicht vorgenommen werden können; eine weitere Hilfe sei die Genehmigung eines sprechenden Blutzuckermessgeräts.
Dr.S. gab in der Auskunft an die Beklagte vom 16.05.2002 an, bei der Klägerin bestünden Probleme mit den Fingern und Händen, sie habe Parästhesien und ein taubes Gefühl beidseits. Ferner lägen schwankende Blutzuckerwerte bei schlechter Compliance vor. Sie sei weder in der Lage, den Blutzucker zu messen, noch subkutan zu spritzen. Die Blutzuckerkontrollen würden täglich durchgeführt, die Klägerin sei jedoch nicht in der Lage, das Messergebnis abzulesen.
Die Beklagte wies mit dem Widerspruchsbescheid vom 15.08.2002 den Widerspruch zurück. Nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege, die von Ärzten und Krankenkassen zu beachten seien, dürften Kosten für die Blutzuckermessungen nur noch bei Erst- und Neueinstellung eines Diabetes oder zur Fortsetzung der sogenannten intensivierten Insulintherapie übernommen werden. Hierbei gelte, dass zusätzlich eine hochgradige Einschränkung der Sehfähigkeit, eine erhebliche Einschränkung der Grob- und Feinmotorik der oberen Extremitäten, eine starke Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit oder eine starke Einschränkung der geistigen Leistungsfähigkeit und Realitätsverlust zusätzlich vorliegen müssten. Bei der Klägerin würde jedoch keine intensivierte Insulintherapie durchgeführt bzw. eine solche Therapie weitergeführt.
Sie hat hiergegen am 05.09.2002 Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben. Wegen des sehr schwankenden Blutzuckers und der Gefahr der Unterzuckerung seien wenigstens zweimal täglich Blutzuckermessungen erforderlich. Sie könne aufgrund der Erblindung die Messungen selbst nicht vornehmen. Um weitere gra- vieren...