Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Grenzgänger. gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich. kein Anspruch gem § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB 2. Rentenantragsteller. fehlende Fortwirkung der Arbeitnehmereigenschaft. Verfassungsmäßigkeit. Europarechtskonformität
Orientierungssatz
Ein Hilfebedürftiger, der in Österreich seinen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 30 Abs 3 S 2 SGB 1) hat, in Deutschland als Grenzgänger erwerbstätig war und nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Erklärung nach § 428 SGB 3 abgegeben sowie einen Antrag auf Rente beim deutschen Rentenversicherungsträger gestellt hat, hat keinen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende gem § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 2. Die Anspruchsvoraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland nach § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB 2 verstößt weder gegen deutsches Verfassungsrecht noch gegen europäisches Recht.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 10. April 2008 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Das Berufungsverfahren betrifft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Parteien streiten wegen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab 15.02.2007.
Die 64-jährige Klägerin ist deutsche Staatsangehörige, lebte zusammen mit ihrem Ehemann - ihr Prozessbevollmächtigter im vorliegenden Verfahren - aber von 1994 an in Österreich. Im Jahr 2004 zog das Ehepaar für kurze Zeit nach Bayern - die Klägerin ab September 2004, ihr Ehemann schon etwas vorher. Bereits im März 2005 kehrten sie nach Österreich zurück. Während des streitgegenständlichen Zeitraums haben die Klägerin und ihr Ehemann in der Gemeinde A-Stadt in Österreich gelebt. Dort bewohnt das Ehepaar eine 78 qm große Wohnung, wobei als zivilrechtliche Grundlage ein "Wohnrecht" genannt wird; offenbar steht die Wohnung im Eigentum des 1976 geborenen gemeinsamen Sohns. Als Kostenbelastung werden "Schuldzinsen" in Höhe von 600 EUR angegeben.
Von Juli 2000 bis Juli 2002 war die Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland als so genannte Grenzgängerin erwerbstätig. Ihr Ehemann arbeitete bis zu seiner Berentung am 01.11.2004 in Deutschland. Seither bezieht er eine Rente wegen Erwerbsminderung von der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung. Daneben hat er Einnahmen aus einer Betriebsrente. Die gesamten Einnahmen aus den Ruhegeldern belaufen sich auf monatlich etwa 1.150 EUR.
Am 15.02.2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, wobei sie darauf hinwies, nach einem Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30.12.1999 (SozR 3-1200 § 30 SGB I Nr. 20) stünden ihr Leistungen zu, auch wenn sie in Österreich wohnen würde. Mit Bescheid vom 15.03.2007 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Dies begründete sie damit, die Leistungsvoraussetzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II sei nicht erfüllt, da der gewöhnliche Aufenthalt der Klägerin in Österreich liege. Die in Bezug genommene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Leistungen nach dem SGB II seien nicht beitragsbezogen.
Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 04.04.2007 Widerspruch ein, wobei sie vorbrachte, die Agentur für Arbeit G. habe aus nicht nachvollziehbaren Gründen einen Antrag auf Arbeitslosengeld vom 27.06.2002 sowie weitere Anträge abgelehnt. Mit Widerspruchsbescheid vom 10.07.2007 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück; wegen der Begründung verwies sie auf den Ausgangsbescheid.
Dagegen erhob die Klägerin am 18.07.2007 beim Sozialgericht München Klage, wobei der Klageantrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gerichtet war.
Zugleich beantragte die Klägerin beim Sozialgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung. In dieser Angelegenheit kam es zu einem Beschwerdeverfahren vor dem Senat. Dieser hat die von der Klägerin gegen einen ablehnenden Beschluss des Sozialgerichts eingelegte Beschwerde mit Beschluss vom 07.03.2008 - L 7 B 1007/07 AS ER zurückgewiesen. Das Arbeitslosengeld (Alg) II, so der Senat, sei eine beitragsunabhängige Sonderleistung im Sinn von Art. 4 Abs. 2a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, weswegen nach Art. 10 a Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 das (Leistungs-)Recht des Wohnmitgliedstaats gelte. Somit sei der Sachverhalt nach österreichischem Recht zu beurteilen; eine Leistungsgewährung nach dem deutschen SGB II scheide dagegen aus. Der genannte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts helfe der Klägerin nicht, weil dort beitragsabhängige Leistungen Gegenstand des Verfahrens gewesen seien.
Das Sozialgericht wies Klage mit Gerichtsbescheid vom 10.04.2008 ab. In der Begründung hat es auf Art. 10 a Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 verwiesen; danach komme das Recht des Wohnmitgliedstaats zur Anwendung. Der genannte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ...