Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenbehandlung. Anspruch auf Versorgung mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik bei Intersexualität mit phänotypischer Entwicklung zur Frau. durch Fettgewebe gebildetes Brustwachstum
Orientierungssatz
1. Soweit bei Intersexualität mit phänotypischer Entwicklung zur Frau ein Brustwachstum besteht, das zwar hauptsächlich aus Fettgewebe gebildet wird, jedoch unter Berücksichtigung der Vielfalt der weiblichen Brust in Form und Größe nicht von der Regel abweicht, besteht kein Anspruch auf Kostenübernahme für eine Mamma-Augmentation durch die gesetzliche Krankenversicherung.
2. Für darüber hinausgehende Ansprüche mit dem Ziel einer optimierten Geschlechtszuordnung im Sinne eines vermeintlichen Idealbilds fehlt es bereits an einer Rechtsgrundlage.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 2. Februar 2010 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten werden auch für das Berufungsverfahren nicht erstattet.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Kosten für eine Mamma-Augmentation.
Die 1985 geborene Klägerin leidet an einer genetischen Störung der Geschlechtsentwicklung (Intersexualität, 46XY-Kariotyp), die phänotypisch zur Entwicklung einer Frau geführt hat. Unter Vorlage von Attesten der Klinik für plastische und ästhetische Chirurgie des S. Krankenhaus B-Stadt und der Psychotherapeutin Frau B. beantragte die Klägerin am 07.08.2007 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Mamma-Augmentation. Bescheinigt wurde, dass die Klägerin sehr stark unter ihrem Gendefekt und den zu kleinen Brüsten (Körbchengröße A bis B, MJA rechts 26,5 cm MJA links 25 cm, Mamma Unterbrustfalte 90 cm) leide. Sie sei 171 cm groß und wiege 110 kg. Nach Einschaltung des MDK, der nach Aktenlage feststellte, dass aufgrund der großen Variationsbreite kein krankhafter Zustand bestehe, lehnte die Beklagte mit streitigem Bescheid vom 12.10.2007 den Eingriff ab. Im Widerspruchsverfahren erfolgte eine erneute Stellungnahme des MDK nach Aktenlage. Bei gutachterlicher Betrachtung durch einen Frauenarzt bleibe festzustellen, dass keine Amastie, sondern in Bezug auf Habitus und Körpergewicht das Bild hypoplastischer Brüste zum Tragen komme. Es bestehe keine zwingende medizinische Indikation zur operativen Korrektur, da es sich nicht um einen Zustand außerhalb des Normalen handle. Die Beklagte bestätigte mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2008 den Ausgangsbescheid vom 12.10.2007.
Im Klageverfahren am Sozialgerichts Regensburg (SG) wurde von Klägerseite betont, dass nicht nur typbedingt zu kleine Brüste angelegt seien, sondern aufgrund der Chromosomenanomalie krankheitsbedingt eine deutliche Unterentwicklung bestehe. Aufgrund der Intersexualität liege eine komplexe, die gesamte Persönlichkeit betreffende und erfassende tiefgreifende Störung mit sowohl seelischen als auch körperlichen Beeinträchtigungen vor. Die Ansprüche der Klägerin müssten daher noch mehr als im Fall von Transsexualität beachtet werden. Vorgelegt wurden Befunde des Univ. Klinikums S., in denen der Körperzustand und die vorangegangenen Therapien näher ausgeführt werden. Die Beklagte stimmte der Auffassung, dass die bestehende Intersexualität die gewünschte Brustvergrößerung rechtfertige, nicht zu. Nur bei massiven Krankheitserscheinungen, wie längeren psychiatrischen Behandlungsversuchen, kämen ggf. weitere Ansprüche in Betracht.
Im Auftrag des SG erstattete Frau Dr. B. (Frauenärztin mit Schwerpunkt gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin) am 30.07.2009 ein Gutachten. Hierin stellte sie zusammenfassend fest, dass bei der Klägerin eine sehr seltene Erkrankung vorliege. Die fehlentwickelten und asymetrischen Mammae seien durch die genetische Störung bedingt, so dass keine kosmetische Indikation vorliege. Da wegen der Fehlbildung, die nur operativ behoben werden könne, bei der Klägerin ein Leidensdruck bestehe, sei eine medizinische Indikation zur Brustrekonstruktion begründet. Die Gutachterin bestätigte später, dass die Klägerin bereits früher in ihrer fachärztlichen Behandlung gewesen war. Im weiteren Verlauf legte die Klägerin dem SG eine Photodokumentation und ein ärztliches Attest vor, wonach sich eine zunehmende Deformierung und Asymmetrie beider Brüste aufgrund der Brustfehlbildung ergeben habe.
Mit ausführlichem Urteil wies das SG die Klage am 02.02.2010 ab. Soweit das BSG mit Urteil vom 06.08.1987 (BSGE 62, S. 83) im Fall von Transsexualität Leistungsansprüche gesehen habe, könne dies unter der Geltung von § 27 Abs. 1 Satz 2 SGB V in dieser Form nicht mehr gelten (vgl. Urteil vom 19.10.2004, Az.: B 1 KR 3/03 R). Maßgebend sei daher auch im Fall von Transsexualität aus Sicht eines verständigen Betrachters eine deutliche Annährung an das Erscheinungsbild des anderen Geschlechts. Andernfalls hätten transsexuell Versicherte gegenüber als Frau geboren...