Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Beanstandung und Erstattung zu Unrecht entrichteter Beiträge. Verjährung. rückwirkende Anwendung von § 26 Abs 1 S 3 SGB 4 auf Erstattungsansprüche für bis zum 31.12.2007 entrichtete Beiträge. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Vorschrift des § 26 Abs 1 S 3 SGB 4 gilt grundsätzlich auch für Erstattungsansprüche für vor dem 1.1.2008 entrichtete Beiträge. Sind aber bereits vor dem 1.1.2008 Erstattungsansprüche festgesetzt oder Beanstandungen getroffen worden oder bestand vor dem 1.1.2008 wegen eines Antrags des Erstattungsberechtigten oder wegen offensichtlicher Kenntnis des Versicherungsträgers von der Unwirksamkeit der Beiträge Anlass zur Einleitung derartiger Verfahren, so gilt noch die alte Rechtslage.
Orientierungssatz
Die rückwirkende Anwendung des Gesetzes , mit der auch Beiträge, die bis zum 31.12.2007 entrichtet worden sind, erfasst werden, ist grundsätzlich mit Verfassungsrecht vereinbar (vgl LSG Celle-Bremen vom 7.12.2011 - L 2 R 335/11).
Nachgehend
BSG (Vergleich vom 05.03.2014; Aktenzeichen B 12 R 11/13 R) |
Tenor
I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Die Beklagte erstattet der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte zur Erstattung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 11.04.1995 bis 30.11.2003 verpflichtet ist.
Die Klägerin ist seit 26.01.1979 Mitarbeiterin in der Firma (Metzgerei, Partyservice, Catering) ihres Ehegatten. Seit Beginn der Tätigkeit bis zum 31.12.2007 wurden Sozialversicherungsbeiträge entrichtet.
Die zuständige Krankenkasse stellte als Einzugsstelle auf Antrag der Klägerin vom 22.05.2006 und in Abstimmung mit der Beklagten per Bescheid vom 25.07.2007 fest, dass die Tätigkeit der Klägerin in der Firma ihres Ehemannes ab 11.04.1995 nicht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ausgeübt wurde und damit nicht der Sozialversicherungspflicht unterlag.
In der internen Abstimmung hatte die Beklagte zunächst mit Schreiben vom 26.07.2006 die Auffassung vertreten, dass es sich um ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis handele, das nun nach einem Motivwechsel rückwirkend als selbständige Tätigkeit dargestellt werden solle. Hintergrund dafür sei wohl die begehrte Erstattung der vermeintlich zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträge. Erst nach Vorlage weiterer Unterlagen hatte die Beklagte mit Schreiben vom 16.05.2007 an die Einzugsstelle ausdrücklich deren Auffassung gebilligt, wonach die Klägerin ab 11.04.1995 dem Personenkreis der Selbständigen zuzuordnen sei.
Der gegen den Bescheid vom 25.07.2007 gerichtete Widerspruch mit dem Ziel, dass die Feststellung der Krankenkasse bereits ab dem 29.03.1983 gelten solle, wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2007 zurückgewiesen. Dabei wurde das Gesamtbild der Arbeitsleistung gewürdigt.
Mit Schreiben vom 18.01.2008 beantragte die Klägerin (und ihr Arbeitgeber) gegenüber der Krankenkasse die Rückerstattung der seit 11.04.1995 bis zum 31.12.2007 gezahlten Rentenversicherungsbeiträge (Gesamthöhe der Beiträge zur RV: Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil 20.628,57 EUR). Auf den Beanstandungsschutz aufgrund der letzten Betriebsprüfung vom 18.08.2006 zum Prüfzeitraum 01.04.2002 bis 31.12.2005 wurde im Formularantrag verzichtet. Leistungen in der Rentenversicherung seien nicht in Anspruch genommen worden. Die Beiträge sollten auch nicht nach § 202 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) als Beiträge zur freiwilligen Versicherung verbleiben.
Der Antrag wurde unter Bezugnahme auf die "gemeinsamen Grundsätze für die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beiträge" an die Beklagte zur Bearbeitung weitergereicht (Eingang 17.03.2008).
Die Beklagte beanstandete mit Bescheid vom 22.04.2008 die zu Unrecht gezahlten Pflichtbeiträge im Zeitraum vom 01.12.2003 bis zum 31.12.2007. Die Beitragszahlung sei zu Unrecht erfolgt, weil durch die zuständige Einzugsstelle festgestellt worden sei, dass in dem angegebenen Zeitraum keine Versicherungspflicht bestanden habe. Diese Beiträge würden beanstandet, weil die Beiträge ohne Rechtsgrundlage gezahlt worden seien. Der daraus resultierende Erstattungsbetrag in Höhe von jeweils 2858 EUR wurde im Juli 2008 an die Klägerin und den Arbeitgeber überwiesen.
Die Beiträge für den Zeitraum 11.04.1995 bis 30.11.2003 würden jedoch als zu Recht gezahlt gelten und könnten nicht erstattet werden. Nach Ablauf von vier Jahren nach dem Kalenderjahr, in dem sie gezahlt worden seien, würden wegen fehlender Versicherungspflicht zu Unrecht gezahlte Beiträge von abhängig Beschäftigten als zu Recht gezahlt gelten. Diese Beiträge dürften nicht beanstandet und erstattet werden. Die Beiträge würden als zu Recht gezahlte Beiträge im Versicherungskonto enthalten bleiben.
Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und begründete diesen damit, dass der Bescheid der Krankenkasse vom Juli 2007 datiere. Sie habe bereits im Sommer 2006 den Antrag bei der IKK gestellt; die IKK habe...