Leitsatz (amtlich)

1. In besonderen Ausnahmefällen spezieller Krankheitsbilder ist die Annahme von Blindheit auch außerhalb der normierten Fallgruppen der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bzw. der Richtlinien der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft nicht von vornherein ausgeschlossen.

2. Bei der Blindheitsbegutachtung können im Rahmen von Plausibilitätskontrollen auch die Ergebnisse von Untersuchungen berücksichtigt werden, die nicht mit dem Goldmann Perimeter (mit der Reizmarke III/4e) oder mit Landoltringen (Fernvisus) entsprechend der Vorgaben der Versorgungsmedizinischen Grundsätze bzw. der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft durchgeführt worden sind. Den zusätzlichen Untersuchungsmethoden und Kontrollen darf jedoch keine Beweiskraft zugemessen werden.

 

Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 4. Mai 2007 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Klägerin einen Anspruch auf Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengeldgesetz (BayBlindG) hat.

Die 1984 geborene Klägerin erlitt zwischen 1999 und 2003 vier Gehirnblutungen, nämlich im Dezember 1999 links parietal, im Mai 2000 links temporooccipital, im Februar 2003 rechts parietooccipital und im November 2003 rechts frontoparietal. Die Hirnblutungen wurden jeweils operativ versorgt. Nach Angaben der Klägerin bemerkte sie nach dem zweiten Ereignis erstmals Gesichtsfeldeinschränkungen (vorzugsweise nach links). Seit der Operation aufgrund des vierten Ereignisses wird von einer Hemiplegie links ausgegangen. Neben den Hirnblutungen und deren operativen Versorgungen lag zusätzlich eine Hirngefäßanomalie vor.

Die Klägerin stellte am 31.03.2003 beim Beklagten Antrag auf Blindengeld. Der Beklagte wertete vorliegende medizinische Unterlagen aus und beauftragte Prof. Dr. W., Universitätsaugenklinik B-Stadt, mit der Erstellung eines Gutachtens nach persönlicher Untersuchung.

In seinem Gutachten vom 05.08.2003 stellte Prof. Dr. W. fest, dass die Klägerin in Begleitung ihres Vaters gekommen sei und sich in abgedunkelten Räumen ohne fremde Hilfe zurecht gefunden habe. Im Anschluss an die bis dato drei Blutungen habe sich eine zunehmende Sehverschlechterung mit Gesichtsfeldausfällen ergeben, anfänglich in Form einer homonymen Hemianopsie bis hin zur Angabe von Gesichtsfeldrestinseln im Juli/ August 2003. Bei beiden Augen und bei beidäugiger Prüfung habe sich sowohl unkorrigiert als auch korrigiert ein Visus von Fingerzählen ergeben. Bei der Gesichtsfeldbestimmung (Goldmann/Twinfield Marke III/4) seien an jedem Auge jeweils diverse Restinseln gesehen worden. Der objektive Befund der Untersuchung entspreche "eher nicht dem subjektiven Eindruck" der Klägerin. Die Ursache einer Sehstörung sei intracerebral zu suchen. Der morphologische Befund erkläre die Angaben zu Sehschärfe und Gesichtsfeld nicht. Bei der Begutachtung sei keine adäquate Mitarbeit gegeben gewesen. Es würden Verwertungsstörungen im Sinne einer cerebralen Blindheit vorliegen.

Daraufhin lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 08.12.2003 den Antrag auf Blindengeld ab. Blindheit sei nicht gegeben, da bei der Untersuchung in der Universitätsaugenklinik B-Stadt Verwertungsstörungen bei genereller cerebraler Schädigung angenommen worden seien. Diese seien im Rahmen des BayBlindG nicht zu berücksichtigen.

Der am 23.12.2003 hiergegen erhobene Widerspruch der Klägerin wurde damit begründet, dass allein die Werte des Entlassungsberichtes der Neurochirurgischen Klinik der Universität B-Stadt vom 25.02.2003 darauf hindeuten würden, dass die Klägerin "für das Blindengeld nach dem BayBlindG in Frage" komme.

In einem versorgungsärztlichen Gutachten nach Aktenlage der Sozialmedizinerin P. vom 01.03.2004 wurde u.a. darauf hingewiesen, es sei übersehen worden, dass laut der Anamnese im Gutachten von Prof. Dr. W. der Visus im Juli 2003, also ca. fünf Monate nach der Operation, beidseits bereits 0,1 betragen habe. Die Sehschärfe habe sich nach der Operation somit wieder erholt, die Angaben am 05.08.2003 über einen Visus von Fingerzählen beidseits seien daher schon unter diesem Gesichtspunkt nicht glaubwürdig. Sie würden auch nicht mit den völlig unauffälligen morphologischen Befunden an beiden Augen, dem spontanen Verhalten und letztlich auch nicht mit der Gesichtsfelduntersuchung übereinstimmen. Die Klägerin habe völlig atypisch gelegene Gesichtsfeldinseln für beide Prüfmarken angegeben. Daraus sei seitens des Gutachters der begründete Schluss gezogen worden, dass die Klägerin nicht adäquat mitgearbeitet habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2004 wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die Untersuchung vom 05.08.2003 habe keinen objektiven Nachweis für Blindheit gebracht. Die angeführten Befunde seien unmittelbar postoperativ bzw. ca. fünf Wochen nach der Operation erhoben worden und deshalb gutachterlich nicht verwertbar, da noch kein Dauer...

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