Leitsatz (amtlich)
Statthaft ist eine Wiederaufnahmeklage nur dann, wenn ein Wiederaufnahmegrund schlüssig behauptet wird. In diesem Zusammenhang bedeutet schlüssiges Behaupten, dass bei Unterstellung, die tatsächlichen Behauptungen des Wiederaufnahmeklägers würden zutreffen, ein Wiederaufnahmegrund gegeben wäre.
Tenor
I. Die Restitutionsklage wird als unzulässig verworfen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im vorliegenden Verfahren streben die Klägerinnen, Mutter und Tochter, die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens vor dem Bayerischen Landessozialgericht (Aktenzeichen L 15 VG 8/07) an, das auf Gewährung einer Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) gerichtet war.
Ausgangspunkt für das Begehren auf Opferentschädigung war die am 19.08.2002 erfolgte Herausnahme der 1996 geborenen Klägerin zu 2 aus dem gemeinsamen Haushalt mit ihrer Mutter, der Klägerin zu 1. Dies geschah durch Vertreter des Jugendamtes unter Zuhilfenahme der Polizei. Rechtliche Grundlage dafür war ein das elterliche Sorgerecht der Klägerin zu 1 einschränkender Beschluss des Amtsgerichts A-Stadt vom 18.02.2002. Die Klägerin zu 2 wurde sodann in eine stationäre Einrichtung nach B-Stadt gebracht, in der sie auch heute noch lebt. Gegen die Herausnahme der Klägerin zu 2 ging die Klägerin zu 1 durch strafrechtliche Anzeigen vor (Hausfriedensbruch, Diebstahl, vorsätzliche Körperverletzung, Freiheitsberaubung). Jedoch wurden die Ermittlungsverfahren eingestellt.
Am 14.08.2003 beantragte die Klägerin zu 1 für sich und die Klägerin zu 2 Opferentschädigung. Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 21.01.2004 und Widerspruchsbescheid vom 05.04.2004 ab. Das folgende Klageverfahren vor dem Sozialgericht Nürnberg endete mit einer Klageabweisung (Urteil vom 16.01.2007). Die dagegen eingelegte Berufung (Aktenzeichen L 15 VG 8/07) wies der Senat mit Urteil vom 04.03.2008 zurück. Zur Begründung führte er aus, ein vorsätzlicher, rechtswidriger Angriff im Sinn von § 1 Abs. 1 OEG habe nicht vorgelegen. Das Jugendamt sei seinerzeit berechtigt gewesen, die Klägerin zu 2 aus der Wohnung herauszuholen. Das Urteil wurde rechtskräftig.
Am 03.11.2011 haben die Klägerinnen die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragt. Als Grund haben sie angegeben, bei einem Besuch in der stationären Einrichtung B-Stadt hätte die Klägerin zu 1 bei der Klägerin zu 2 schwere gesundheitliche Störungen festgestellt. Sie haben ein Schreiben der Klägerin zu 1 an das Amtsgericht A-Stadt beigefügt, das dort am 10.12.2010 eingegangen war. Darin hatte die Klägerin zu 1 die von ihr beobachteten gesundheitlichen Abnormitäten bei der Klägerin zu 2 im Einzelnen aufgezählt. Erst jetzt, so die Klägerin zu 1 in diesem Brief, sei ihre Tochter ein behinderter Mensch. Sie habe nichts dazu gelernt, sondern im Gegenteil Vieles verlernt. Auf den gerichtlichen Hinweis, ein Wiederaufnahmegrund sei daraus nicht ersichtlich, haben die Klägerinnen unter dem Datum 21.02.2011 vorgetragen, der Wiederaufnahmegrund liege gerade in den schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin zu 2, wie sie die Klägerin zu 1 im Schreiben vom 10.12.2010 beschrieben habe. Sinngemäß haben sie darzulegen versucht, früher sei die Klägerin zu 2 gesund gewesen, was aus ärztlichen Befunden aus den 1990er Jahren hervorgehe; in diesem Zusammenhang haben sie Arztberichte vom 16.01.1996 und vom 21.09.1999 vorgelegt.
Die Klägerinnen beantragen im Wege der Restitutionsklage sinngemäß,
das Berufungsverfahren L 15 VG 8/07 wieder aufzunehmen und den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.01.2007 sowie des Bescheids vom 21.01.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.04.2004 zu verurteilen, ihnen Versorgung nach dem OEG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Restitutionsklage als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Akten des Beklagten, des Sozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts (auch L 15 VG 8/07, L 15 VG 14/08 C) verwiesen. Diese haben allesamt vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Wiederaufnahmeklage in Form der Restitutionsklage der Klägerinnen ist nicht zulässig, so dass sie als unzulässig zu verwerfen ist (§ 179 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 589 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO)). Es verbleibt damit bei der Rechtskraft des Urteils vom 04.03.2008 - L 15 VG 8/07.
Der Senat war nicht gehindert, trotz des Ausbleibens der Klägerinnen mündlich zu verhandeln und durch Urteil zu entscheiden. In der ordnungsgemäßen Ladung war ein korrekter Hinweis auf die Folgen ihres Fernbleibens enthalten. Das rechtliche Gehör der Klägerinnen ist gewahrt. So hat der Senat - was das Gebot rechtlichen Gehörs an sich nicht zwingend erfordern würde - die Klägerinnen geraume Zeit vor der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen...