Entscheidungsstichwort (Thema)

Asylbewerberleistungen. Grundleistungen. Anspruchseinschränkung. Ablehnung des Asylantrags als unzulässig wegen Zuständigkeit eines anderen Staates für die Durchführung des Asylverfahrens. Erforderlichkeit eines pflichtwidrigen Verhaltens des Leistungsberechtigten. Verweilen im Bundesgebiet trotz Kenntnis über die Möglichkeiten zur Vermeidung einer Anspruchseinschränkung. Belehrung unter Fristsetzung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 7 S 1 AsylbLG erfordert ein pflichtwidriges Verhalten. Dieses kann darin liegen, dass der betreffende Ausländer nicht ausreist, obwohl er um leistungsrechtliche Konsequenzen seines Verhaltens wusste. Dafür bedarf es einer Belehrung mit Fristsetzung.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20. Januar 2023 aufgehoben, der Bescheid des Beklagten vom 9. Dezember 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. März 2022 abgeändert und der Beklagte verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar 2022 bis zum 22. Februar 2022 Grundleistungen nach Bedarfsstufe 1 zu bewilligen.

II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Kläger für die Zeit vom 01.01.2022 bis 22.02.2022 höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) beanspruchen kann.

Der Kläger, nach seinen Angaben afghanischer Staatsangehöriger, reiste erstmals am 25.08.2021 nach Deutschland ein und beantragte Asyl. Das anfänglich angegebene Geburtsjahr 2004 wurde nach Einschaltung des Jugendamts Neu-Ulm auf 2002 korrigiert, weil es sich zur Überzeugung der Kommission zur Überprüfung und Feststellung des Alters um eine volljährige Person handle (Protokoll zur Niederschrift über die Altersangabe vom 31.08.2021). Nach einem anfänglichen Aufenthalt in einer Aufnahmeeinrichtung in Augsburg kam der Kläger Anfang September 2021 in eine Erstaufnahmeeinrichtung (Anker-Einrichtung) im Gebiet des Beklagten. Der Aufenthalt des Klägers wurde räumlich auf die Stadt und den Landkreis S. beschränkt (Aufenthaltsgestattung vom 09.09.2021).

Auf den Antrag vom 10.09.2021 hin bewilligte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 10.09.2021 monatsweise und nicht als Dauerleistung, solange sich die Verhältnisse nicht ändern, Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit vom 06.09. bis 30.09.2021 i.H.v. 101,25 EUR und ab Oktober 2021 bis auf Weiteres i.H.v. monatlich 121,50 EUR. Die Bedarfe für Ernährung, Unterkunft und Heizung, Wohnungsinstandhaltung und Haushaltsenergie, Kleidung, Körperpflege- und Hygieneartikel, WLAN, Babyerstausstattung, Kinderwagen und Schulbeihilfe Grundschule würden in der Anker-Einrichtung als Sachleistungen gewährt. Ergänzend zu den Sachleistungen würde Krankenhilfe gewährt. Die Bewilligung bis auf Weiteres stelle keine dauerhafte, in der Höhe unveränderte Bewilligung der Leistung dar. Vielmehr werde lediglich aus Vereinfachungsgründen nicht jeden Monat neu geprüft und durch einen neuen Bescheid bewilligt.

Der Kläger besuchte ab dem 13.09.2021 für das Schuljahr 2021/22 die 10. Klasse einer Berufsschule (Bestätigung der Staatlichen Berufsschule III in S. vom 28.09.2021).

Gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gab der Kläger bei seiner Anhörung an (Niederschrift vom 09.09.2021), er sei auf dem Landweg u.a. über Bulgarien und Rumänien am 23.08.2021 nach Deutschland gekommen. Das BAMF stellte betreffend den Kläger in der Datenbank "Eurodac" Treffer am 24.09.2020 in Bulgarien, am 01.03.2021 und 06.08.2021 in Rumänien und am 06.05.2021 in Polen fest (Eurdodac-Ergebnisliste). Bei einer weiteren Anhörung beim BAMF am 08.10.2021 teilte der Kläger noch mit (Niederschrift über die Anhörung am 08.10.2021), er habe in anderen Ländern keine Asylanträge gestellt, ihm seien lediglich Fingerabdrücke abgenommen worden. Er habe eigentlich nach Deutschland gewollt. Wenn er in eines der Länder geschickt werde, werde man ihn verhaften. Er müsse dann etwa 18 Monate ins Gefängnis. Eine Perspektive gebe es dort nicht.

Das BAMF ersuchte sodann Bulgarien, Rumänien und Polen um die Übernahme des Klägers. Bulgarien - dort war als Geburtsdatum des Klägers 1998 registriert - und Polen lehnten das Übernahmeersuchen ab, von rumänischer Seite wurde es akzeptiert (Schreiben des rumänischen Direktorats für Asyl und Integration vom 22.10.2021). Als Fristende für die Überstellung notierte das BAMF zunächst den 22.04.2021 und später den 22.05.2022 (Dublin-Fristvermerke vom 25.10.2021 und 10.11.2021).

Mit Bescheid vom 25.10.2021 lehnte das BAMF den Asylantrag als unzulässig ab, stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote vorliegen, und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Rumänien an. Die rumänischen Behörden hätten mit Schreiben vom 22.10.2021 ihre Zuständigkeit erklärt. Der Asylantrag sei unzulässig, da Rumänien aufgrund des dort bereits gestellten und zurückgenommenen Asylantrages zuständig sei. Die weitere Unzulässigkeit des Asylantrag...

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