TOP 1 § 13 SGB V - Kostenerstattung, Artikel 56 AEUV; Nr. 1 SGB V
hier: Grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Präventionskursen nach § 20 Abs. 4
Sachstand:
Versicherte sind nach § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V berechtigt, auch Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz anstelle der Sach- oder Dienstleistung im Wege der Kostenerstattung in Anspruch zu nehmen, es sei denn, Behandlungen für diesen Personenkreis im anderen Staat sind auf der Grundlage eines Pauschbetrages zu erstatten oder unterliegen auf Grund eines vereinbarten Erstattungsverzichts nicht der Erstattung. Es dürfen nur solche Leistungserbringer in Anspruch genommen werden, bei denen die Bedingungen des Zugangs und der Ausübung des Berufes Gegenstand einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft sind oder die im jeweiligen nationalen System der Krankenversicherung des Aufenthaltsstaates zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind (§ 13 Abs. 4 Satz 2 SGB V).
Die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind, sind nach Maßgabe der entsprechenden Bestimmungen im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verboten (vgl. Art. 56 Satz 1 AEUV [Vorgängervorschrift Art. 49 EG-Vertrag - inhaltlich in Bezug auf das Verbot der Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs unverändert]).
An den GKV-Spitzenverband wurde von Krankenkassenseite die Frage herangetragen, ob von der Kostenerstattungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 4 SGB V auch Präventionskurse nach § 20 Abs. 4 Nr. 1 SGB V erfasst sind.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) kam in mehreren Entscheidungen zu dem Ergebnis, dass die Grundsätze der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EG-Vertrag auch im Bereich der sozialen Sicherheit mit der Konsequenz gelten, dass sich Versicherte Versicherungsleistungen gegen Kostenerstattung zu Lasten öffentlich-rechtlicher Versicherungsträger selbst beschaffen können (vgl. z. B. Urteile des EuGH in den Rechtssachen "Kohll" vom 28.04.1998 – C-158/96 -, "Smits und Peerbooms" vom 12.07.2001 – C-157/99 – sowie "Müller-Fauré/van Riet" vom 13.05.2003 – C- 385/99 -). Mit der Einführung des § 13 Abs. 4 bis 6 SGB V durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG) zum 01.01.2004 hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung des EuGH im deutschen Recht nachvollzogen.
In § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V ist dabei vorgesehen, dass Leistungen im Wege der Kostenerstattung "anstelle der Sach- oder Dienstleistung" in Anspruch genommen werden können. Dementsprechend sind von den Kostenerstattungsansprüchen nach § 13 Abs. 4 SGB V die in der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehenen Sach- und Dienstleistungen umfasst. Geldleistungen wären hiernach nicht erfasst. Für in Anspruch genommene Präventionskurse im Sinne des § 20 Abs. 4 Nr. 1 SGB V erstatten die Krankenkassen den Versicherten in der Regel einen Teilbetrag der verauslagten Kosten.
Abgesehen davon, wurden in § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V auch die Sachverhalte beschrieben, auf die die Regelung keine Anwendung findet (Abrechnung nach Pauschalen, Erstattungsverzichtsabkommen). In diesem Zusammenhang wurde durch den Gesetzgeber auf den Begriff "Behandlung" zurückgegriffen. Aufgrund der Verwendung dieser Begrifflichkeit könnte geschlossen werden, dass von der Vorschrift "lediglich" medizinische Behandlungsleistungen von (Zahn-)Ärzten bzw. von Dritten, soweit sie vom (Zahn-)Arzt verordnet oder verantwortet werden, erfasst sind.
Konkrete Ausnahmeregelungen dahingehend, dass von der Kostenerstattung einzelne Leistungen nach dem SGB V nicht erfasst sind, sind der Vorschrift allerdings nicht zu entnehmen.
Auch der Gesetzesbegründung sind keine Hinweise auf eine einschränkende Auslegung der Vorschrift zu entnehmen. Vielmehr heißt es darin, dass "Versicherte künftig […] mit ihrer Nachfrage nach Versicherungsleistungen nicht mehr territorial auf das Inland beschränkt sind, sondern auch Leistungserbringer in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft sowie in anderen Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) im Wege der Kostenerstattung in Anspruch nehmen können."(vgl. BT-Drs. 15/1525 vom 08.09.2003, Zu Nummer 4, Zu Buchstabe b, Seite 80 ff).
Darüber hinaus führte das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 30.06.2009 – B 1 KR 19/08 R –, in einem Sachverhalt in dem die Beteiligten über die Erstattung der Kosten einer in der Tschechischen Republik durchgeführten zahnprothetischen Versorgung stritten, Folgendes aus:
"Wie sich aus der Formulierung "anstelle der Sach- oder Dienstleistung" in § 13 Abs. 4 Satz 1 SGB V ergibt, setzt die Vorschrift einen Anspruch auf die entsprechende Naturalleistung nach dem SGB V voraus. Dies gilt nicht nur für den Regelfall eines Sach- und Dienstleistungsanspruchs, sondern auch für den Fall, dass ...