Rentenversicherungsrechtliche Beurteilung der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften; hier: Gründung einer Aktiengesellschaft zum Zwecke der Umgehung der Rentenversicherungspflicht für daneben ausgeübte Beschäftigungen
Nach § 3 Abs. 1a AVG in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung gehörten die (ordentlichen und stellvertretenden) Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft nicht zu den Angestellten im Sinne des Angestelltenversicherungsgesetzes. Hieraus folgte, dass diese Personen nicht der Angestelltenversicherungspflicht und - nach ausdrücklicher Bestimmung in § 2 Abs. 1a AVG in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung - auch nicht der Versicherungspflicht in anderen gesetzlichen Rentenversicherungen unterlagen.
Die durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung (Rentenreformgesetz 1992 - RRG 1992) vom 18.12.1989 (BGBl I S. 2261) geschaffene Vorschrift des § 1 Satz 3 (jetzt Satz 4) SGB VI bestimmt nicht mehr, dass Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft "nicht zu den Angestellten gehören", sondern dass Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft "nicht versicherungspflichtig" in der Rentenversicherung sind. Damit war jedoch - wie sich aus dem Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit und Sozialordnung (vgl. Bundestags-Drucksache 11/5530 S. 40) ergibt - keine Änderung in der versicherungsrechtlichen Beurteilung der Mitglieder des Vorstandes von Aktiengesellschaften beabsichtigt. Diese gesetzestechnische Änderung war nur deshalb erforderlich, weil das Bundessozialgericht zwar einerseits mit Urteil vom 31.05.1989 - 4 RA 22/88 - (USK 8936) bestätigt hatte, dass Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften zwar wegen § 3 Abs. 1a in Verb. mit § 2 Abs.1a AVG nicht zu den kraft Gesetzes rentenversicherungspflichtigen Personen gehören, sie aber andererseits Beschäftigte im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB IV sind.
In der Besprechung der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung über Fragen des gemeinsamen Beitragseinzugs am 19./20.03.1991 (vgl. Punkt 1 der Niederschrift) ist der Standpunkt vertreten worden, dass der Ausschluss von der Rentenversicherungspflicht nicht nur für die Vorstandstätigkeit, sondern - wie schon bis dahin - auch für alle daneben ausgeübten Beschäftigungen bei (anderen) Arbeitgebern gilt, und zwar selbst dann, wenn die anderweitigen Beschäftigungen gegenüber der Vorstandstätigkeit überwiegen. Dieser Ausschluss der Vorstandsmitglieder aus der Solidargemeinschaft wurde mehrfach durch höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt. Das Bundessozialgericht begründete dies bereits in seiner Entscheidung vom 22.11.1973 - 12/3 RK 20/71 - (USK 73201) mit der herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung der Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften (vgl. dazu auch die weiteren Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 04.09.1979 - 7 RAr 57/78 -, USK 79147, und vom 27.03.1980 - 12 RAr 1/79 -, USK 8094).
Im Hinblick auf die vorgenannte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts werben (Finanz-)Berater mit Angeboten, potentiellen zahlungskräftigen Kunden einen scheinbar einfachen Weg aufzuzeigen, um der Rentenversicherungspflicht zu entgehen. Der Ausstieg aus der Rentenversicherungspflicht soll dabei durch Bestellung zum Vorstandsmitglied einer eigens zu diesem Zweck gegründeten Aktiengesellschaft ermöglicht werden, die sich z. B. der Vermögensanlage und -verwaltung der gesparten Rentenversicherungsbeiträge widmet.
Die Gründung von Aktiengesellschaften zu dem Zweck, um als Vorstand dieser Aktiengesellschaft in einer daneben ausgeübten Beschäftigung nicht der Rentenversicherungspflicht zu unterliegen, wird durch die oben genannte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jedoch nicht gedeckt. Die Mitglieder der Vorstände derartiger Aktiengesellschaften haben keine herausragende und starke wirtschaftliche Stellung, die es rechtfertigen würde, sie in einer daneben ausgeübten Beschäftigung von der Rentenversicherungspflicht freizustellen. Die Gründung einer Aktiengesellschaft zum Zweck der Umgehung der Rentenversicherungspflicht führt daher nach Auffassung der Besprechungsteilnehmer in einer daneben ausgeübten Beschäftigung nicht zum Ausschluss der Rentenversicherungspflicht. Indizien für die Annahme, dass eine Aktiengesellschaft zum Zweck der Umgehung der Rentenversicherungspflicht gegründet wurde, sind
- die Ausübung der Beschäftigung in einem Unternehmen, das nicht Konzernunternehmen (im Sinne des § 18 AktG) der Aktiengesellschaft ist,
- die Überbesetzung der Vorstandsebene,
- ein geringes Grundkapital der Aktiengesellschaft sowie
- die fehlende oder die geringe Zahlung von Bezügen für die Vorstandstätigkeit.
Sofern die Einzugsstellen aufgrund der vorgenannten Kriterien Missbrauchsfälle der hier geschilderten Art feststellen, sollten sie auf Versicherungspflicht in der Rentenversicherung erkennen und entsprechende Bescheide erlassen. Die Rentenversicherungsträger werden diese Fälle im Rahmen von Betriebsprüfungen ebenfalls aufgreifen. Im Übrigen weisen die Besprechung...