Entscheidungsstichwort (Thema)
Absehen von der Erhebung von Gerichtskosten
Leitsatz (NV)
- Eine unrichtige Sachbehandlung i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG setzt kein Verschulden des Gerichts voraus. Es kann indes offen bleiben, ob eine unrichtige Sachbehandlung bereits dann vorliegt, wenn bei der Entscheidung über ein (unzulässiges) Rechtsmittel für den BFH nicht ersichtlich war, dass der Rechtsmittelführer unter Betreuung für den Aufgabenkreis "Rechtsstreitigkeiten mit Einwilligungsvorbehalt" stand und infolgedessen das Rechtsmittel wirksam nur mit der ‐ tatsächlich nicht vorhandenen ‐ Einwilligung seines Betreuers einlegen konnte.
- In einem solchen Fall (1.) ist aber jedenfalls nach § 8 Abs. 1 Satz 3 GKG auf die Erinnerung des Betreuers hin von der Erhebung von Gerichtskosten abzusehen, wenn zu unterstellen ist, dass der Rechtsmittelantrag des Betreuten auf unverschuldeter Unkenntnis der prozessualen Rechtslage (Fehlen der Prozessfähigkeit) und damit der rechtlichen Verhältnisse beruhte.
Normenkette
BGB §§ 1902-1903; FGO § 58 Abs. 3; GKG § 5 Abs. 1, 5, § 8 Abs. 1 Sätze 1, 3
Tatbestand
Mit Beschluss vom … hat der Bundesfinanzhof (BFH) die Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) gegen den die Einstellung des Verfahrens wegen einstweiliger Anordnung in einer Zwangsvollstreckungssache anordnenden Beschluss des Finanzgerichts als unzulässig verworfen, weil die Antragstellerin bei der Einlegung ihres Rechtsmittels nicht durch einen nach Art. 1 Nr. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs zur Vertretung vor dem BFH berechtigten Bevollmächtigten vertreten war. Daraufhin hat die Kostenstelle des BFH der Antragstellerin mit Kostenrechnung vom 12. Mai 2000 Gerichtskosten in Höhe von 205 DM auferlegt.
Mit Telefax-Schriftsatz vom 23. Juli 2002 hat Herr X dem BFH angezeigt, dass er als Betreuer der Antragstellerin mit dem Aufgabenkreis "Rechtsstreitigkeiten mit Einwilligungsvorbehalt" bestellt ist, und hat ferner gegen die Auferlegung von Verfahrenskosten durch diese Entscheidung Erinnerung eingelegt, weil die Antragstellerin den Rechtsstreit ohne seine Einwilligung geführt hätte und er davon erst anlässlich eines Versuchs der Beitreibung dieser Kosten durch die Vollstreckungsstelle erfahren habe. Die Justizbeitreibungsstelle des Bundespatentgerichts hat dem BFH eine Kopie der Bestellung von Herrn X zum Betreuer der Antragstellerin übermittelt, aus der sich ergibt, dass Herr X am 15. Dezember 1997 vom Amtsgericht zum Betreuer der Antragstellerin u.a. mit dem genannten Aufgabenkreis bestellt worden ist.
Entscheidungsgründe
Die Erinnerung ist zulässig und auch begründet; für das mit Beschluss vom … abgeschlossene Verfahren werden keine Kosten erhoben.
1. Die Erinnerung ist zulässig.
Der Antragstellerin, die gemäß § 1902 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) i.V.m. der Betreuerbestellung vom 15. Dezember 1997 durch ihren Betreuer X im Aufgabenkreis Rechtsstreitigkeiten gerichtlich vertreten wird, kommt es darauf an, von den Gerichtskosten für das mit Senatsbeschluss abgeschlossene Verfahren wegen Fehlerhaftigkeit entbunden zu werden. Nach Zugang der Kostenrechnung kann ein solcher Antrag mit der Erinnerung gegen den Kostenansatz geltend gemacht werden, wobei eine Vertretung durch eine beim BFH zur Vertretung berechtigte Person nicht erforderlich ist (§ 5 Abs. 5 des Gerichtskostengesetzes ―GKG―; vgl. auch BFH-Beschluss vom 13. März 2000 VIII E 1/00, BFH/NV 2000, 1120, m.w.N.). Der Antrag ist nicht fristgebunden (§ 5 Abs. 3 Satz 3 GKG; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, Vor § 135 Rz. 22). Mithin ist die eingelegte Erinnerung, über die der BFH durch Beschluss entscheidet (§ 5 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 2 Satz 1 GKG), zulässig.
2. Die Erinnerung ist auch begründet.
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG werden Kosten, die bei richtiger Sachbehandlung nicht entstanden wären, nicht erhoben. Der Senat kann offen lassen, ob ihm eine unrichtige Sachbehandlung im Sinne dieser Vorschrift im Verfahren vorgehalten werden kann. Zwar setzt eine unrichtige Sachbehandlung kein Verschulden des Gerichts voraus (vgl. BFH-Beschluss vom 18. März 1994 III B 270/90, BFHE 173, 498, BStBl II 1994, 522), doch mag es zweifelhaft erscheinen, ob eine unrichtige Sachbehandlung schon dann gegeben ist, wenn für ein Gericht zur Zeit der Entscheidung einer Rechtssache aus den gesamten Umständen weder ersichtlich ist noch irgendein Anlass zu der Annahme besteht, dass ein vor ihm aufgetretener Beteiligter nicht prozessfähig (§ 58 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) ist. So verhält es sich im Streitfall. Bei seiner Entscheidung vom … war für den Senat nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin unter Betreuung für den Aufgabenkreis "Rechtsstreitigkeiten mit Einwilligungsvorbehalt" stand und infolgedessen ihre Beschwerde wirksam nur mit der ―tatsächlich nicht vorhandenen― Einwilligung ihres Betreuers einlegen konnte (§ 1903 BGB, § 58 Abs. 3 FGO). Gegen die Annahme einer unrichtigen Sachbehandlung in einem solchen Fall spricht auch, dass der Gesetzgeber bei einem solchen Sachverhalt die Wiederaufnahme des Verfahrens im Wege der Nichtigkeitsklage gewährt (§ 134 FGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Nr. 4 der Zivilprozessordnung), dem Betroffenen also ein besonderes Verfahren, für das bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen sind, zur Verfügung stellt.
Die Frage einer Anwendung des § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG in einem solchen Fall kann aber deshalb offen bleiben, weil im Streitfall nach § 8 Abs. 1 Satz 3 GKG von der Erhebung von Kosten für das Verfahren abgesehen werden kann. Nach dieser Vorschrift kann u.a. für abweisende Bescheide von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht. Zu den "abweisenden Bescheiden" gehört auch der Beschluss, mit dem eine Beschwerde als unzulässig verworfen wird (vgl. Senatsbeschluss vom 6. März 1990 VII E 8/89, BFH/NV 1991, 55). Nicht nur Entscheidungsgebühren, sondern auch Verfahrensgebühren, die zu dem abweisenden Bescheid geführt haben ―wie im Streitfall die Gebühr nach Nr. 3400 des Kostenverzeichnisses bei Beschwerden nach § 114 FGO―, werden vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst (BFH in BFH/NV 1991, 55). Die Unkenntnis rechtlicher Verhältnisse kann sich auch auf die prozessuale Rechtslage erstrecken (BFH in BFH/NV 1991, 55), mithin auch auf die Frage der Prozessfähigkeit bei der Einlegung einer Beschwerde in einem finanzgerichtlichen Verfahren. Im Streitfall kann davon ausgegangen werden, dass der Antragstellerin die sich aus der Betreuung ergebenden Rechtsfolgen für ihre ―fehlende― Prozessfähigkeit in dem Beschwerdeverfahren nicht bekannt waren. Diese Unkenntnis muss bei einer unter Betreuung stehenden Person regelmäßig auch als unverschuldet angesehen werden. Für eine andere Sicht bestehen im Streitfall keine Anhaltspunkte. Es ist daher angebracht, von der Erhebung von Kosten abzusehen.
3. Das Erinnerungsverfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 5 Abs. 6 GKG).
Fundstellen
Haufe-Index 838695 |
BFH/NV 2002, 1492 |