Leitsatz (amtlich)
1. Im finanzgerichtlichen Verfahren ist die Anschlußbeschwerde statthaft.
2. Der BFH ist berechtigt und verpflichtet, die Entscheidung des FG über den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht in vollem Umfang zu überprüfen.
2. Die Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotener Härte ist nur zulässig, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts nicht ausgeschlossen werden können.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3 S. 1, Abs. 2 Sätze 2-3, §§ 128, 155; ZPO § 570
Tatbestand
Zu entscheiden ist auf die Beschwerde der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Gesellschaft) und die Anschlußbeschwerde des Beschwerdegegners (FA), ob das FG dem Antrag der Gesellschaft, die Vollziehung der Gewerbesteuermeßbescheide 1958 bis 1962 auszusetzen (§ 69 Abs. 3 FGO), zu Recht zum Teil nicht stattgab.
In ihrer ausführlichen Beschwerdebegründung vertrat die Gesellschaft die Auffassung, daß die Vollziehung in vollem Umfange (außer wegen eines inzwischen gezahlten Betrages von 40 000 DM) sowohl wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte als auch deswegen ausgesetzt werden müsse, weil die Vollziehung für sie eine unbillige Härte darstellen würde.
Das FA legte gegen den ihm am 12. Februar 1966 zugestellten Beschluß des FG am 17. März 1966 "Anschlußbeschwerde" ein mit dem Antrag, die Vollziehbarkeit der angefochtenen Gewerbesteuermeßbescheide in vollem Umfang wiederherzustellen. Beiden Beschwerden half das FG nicht ab.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
A. Die Beschwerde und die Anschlußbeschwerde sind statthaft und zulässig. Das FA hat seine Beschwerde allerdings erst nach Ablauf der Beschwerdefrist eingelegt. Der Senat hält jedoch in Übereinstimmung mit dem I. Senat des BFH (Beschluß I B 35/67 vom 31. Juli 1967, BFH 90, 92, BStBl III 1967, 784) eine Anschlußbeschwerde für ebenso statthaft, wie auch die unselbständige Anschlußrevision im finanzgerichtlichen Verfahren für statthaft angesehen wird (vgl. Entscheidungen des BFH VI R 104/66 vom 30. Juni 1967, BFH 89, 337, BStBl III 1967, 655; I R 183/66 vom 23. August 1967, BFH 90, 272, BStBl II 1968, 60, und IV R 111/66 vom 12. Januar 1968, BFH 91, 145, BStBl II 1968, 207).
In der FGO findet sich ebenso wie in allen anderen Verfahrensordnungen mit Ausnahme des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen (LwVG) vom 21. Juli 1953 (BGBl I 1953, 667) - §§ 22 Abs. 2, 28 LwVG - keine Vorschrift, die die Anschlußbeschwerde ausdrücklich zuläßt. Die FGO enthält im Gegensatz zur Zivilprozeßordnung - ZPO - (§§ 521-522 a, 556 ZPO), deren Bestimmungen auch für das arbeitsgerichtliche Verfahren gelten (§ 64 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes - ArbGG -) und zur Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - (§ 127 VwGO) auch sonst keine Vorschrift über die Anschließung an fremde Rechtsmittel, mit deren Hilfe diese Lücke in der Regelung der Beschwerde (§§ 128 ff. FGO) ausgefüllt werden könnte. Der Senat ist der Auffassung, daß entsprechend der herrschenden Ansicht für das Verfahren nach dem Sozialgerichtsgesetz (SGG), das ebenfalls keine ausdrücklichen Vorschriften über die Anschließung an fremde Rechtsmittel, aber ebenso wie die FGO in ihrem § 155 eine allgemeine Verweisung auf die Vorschriften der ZPO enthält (§ 202 SGG), sich die Statthaftigkeit der Anschlußbeschwerde aus den entsprechend anwendbaren Vorschriften der ZPO ergibt. Denn die grundsätzlichen Unterschiede zwischen dem Zivil- und dem Finanzprozeß lassen keine Gründe erkennen, die es rechtfertigten, im Finanzprozeß im Gegensatz zum Zivilprozeß die Statthaftigkeit der Anschlußbeschwerde zu verneinen (§ 155 FGO). Im Gegenteil ist die Anschlußbeschwerde im Finanzprozeß, der ebenso wie das sozialgerichtliche Verfahren in stärkerem Maße als der Zivilprozeß die Durchsetzung des materiell-richtigen Ergebnisses anstrebt (vgl. Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 2 S. 230 [234] - BSGE 2, 230 [234] -), notwendiger als im Zivilprozeß.
Im Zivilprozeß ist es umstritten, ob es eine Anschlußbeschwerde gibt. Der Senat schließt sich der in der neueren Rechtsprechung überwiegend und in der jüngeren Literatur fast einhellig vertretenen Auffassung an, die dies bejaht (vgl. Beschluß des OLG Karlsruhe vom 4. März 1954, Monatsschrift für Deutsches Recht 1954 S. 683 - MDR 1954, 683 -; Beschluß des OLG Stuttgart vom 22. Juli 1955, MDR 1956, 235; Beschluß des OLG Nürnberg vom 14. Juli 1959, Juristenzeitung 1959 S. 711 - JZ 1959, 711 -; Beschluß des OLG Braunschweig vom 21. April 1964, Neue Juristische Wochenschrift 1964 S. 1576 - NJW 1964, 1576 -; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Anm. II zu § 573; Wieczorek, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, Anm. A II a 7 zu § 567; für den Verwaltungsprozeß ebenso OVG Hamburg, Verwaltungsrechtsprechung, Bd. 5 S. 246; Württemberg-Badischer Verwaltungsgerichtshof - VGH -, Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs Bd. 2 S. 227 [228] - ESVGH 2, 227 [228] -; Beschluß des OVG Münster vom 18. Februar 1959, MDR 1959, 605; Beschluß des Bayerischen VGH vom 10. April 1962, Bayerische Verwaltungsblätter 1962 S. 250 - Bay. VBl 1962, 250 -; Eyermann-Fröhler, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl., Anm. 5 zu § 147; anderer Ansicht Beschluß des Kammergerichts - KG - vom 14. Januar 1952, Juristische Rundschau 1952 S. 174 - JR 1952, 174 -; Beschluß des OLG Hamburg vom 21. April 1953, MDR 1953, 558; für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 30. November 1955, JZ 1956, 372 mit ablehnender Anmerkung von Habscheid, und für das arbeitsgerichtliche Beschlußverfahren Beschluß des Bundesarbeitsgerichts - BAG - vom 27. Mai 1960, Arbeitsrechtliche Praxis Nr. 3 zu § 89 ArbGG mit ablehnender Anmerkung von Bötticher). Hierbei sind für den Senat folgende Erwägungen maßgeblich. Die ZPO regelt das Rechtsmittel der Beschwerde nicht so eingehend wie das der Berufung und der Revision. Die Vorschriften über die Berufung sind daher entsprechend anzuwenden (vgl. Urteil des BGH, Lindenmeier-Möhring, Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs - LM - Nr. 1 zu § 515 ZPO; Stein-Jonas-Schönke-Pohle, a. a. O., Anm. I 5 zu § 573; Wieczorek, a. a. O., Anm. A II a 3 zu § 567). § 521 Abs. 1 ZPO sieht die Anschließung an die Berufung ausdrücklich vor. Gründe, die die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift auf die Beschwerde verbieten, sind nicht vorhanden. In der Regelung der Beschwerde ist insoweit eine Lücke vorhanden, die aber nicht als "qualifiziertes Schweigen des Gesetzes" (in diesem Sinn für das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit Beschluß des BGH vom 30. November 1955 mit ablehnender Anmerkung von Habscheid) anzusehen ist. Denn das Fehlen einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Anschlußbeschwerde bietet ebensowenig Anlaß, ein "qualifiziertes Schweigen des Gesetzes" anzunehmen, wie das Fehlen anderer Vorschriften für die Beschwerde, dem durch die analoge Anwendung der Vorschriften über die Berufung begegnet wird. Der Gesetzgeber überläßt es häufig Rechtsprechung und Wissenschaft, streitige Fragen zu beantworten, und vermeidet eine ausdrückliche Regelung in dem einen oder dem anderen Sinn (vgl. die Beschlüsse des OLG Stuttgart vom 22. Juli 1955 und des OLG Nürnberg vom 14. Juli 1959).
Die Interessenlage, die den Gesetzgeber dazu veranlaßte, bei der Berufung die Anschließung zuzulassen, ist bei der Beschwerde die gleiche wie bei der Berufung (Fenn, Die Anschlußbeschwerde im Zivilprozeß und im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, 1961, S. 189 ff.). Die Partei, der das Gericht nicht in vollem Umfang recht gegeben hat, soll die Möglichkeit haben, durch die Anschließung, die kein Rechtsmittel ist, sondern ein auch angriffsweise wirkender Antrag innerhalb des fremden Rechtsmittels (so Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 4 S. 229 [233] - BGHZ 4, 229 [233] - und BSGE 2, 230 [232]), den Rechtsstreit, ohne selbst ein Rechtsmittel einlegen zu müssen, in vollem Umfang durch das Rechtsmittelgericht überprüfen zu lassen. Diese Möglichkeit entspricht der Tatsache, daß eine gerichtliche Entscheidung auch insoweit, als sie nicht angefochten ist, nicht rechtskräftig wird, wie sich aus § 560 ZPO ergibt. Außerdem bietet die Möglichkeit der Anschließung den notwendigen Ausgleich für das Verbot der refomatio in peius (vgl. BSGE 2.230 [233 f.]) und verhindert, daß Rechtsmittel nur im Hinblick auf die mögliche Anfechtung der gerichtlichen Entscheidung durch den Gegner eingelegt werden (Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Bd. 110 S. 231 [233] - RGZ 110, 231 [233] -). Da es sich bei der Anschlußbeschwerde nicht um ein Rechtsmittel handelt, sondern um ein angriffsweise wirkendes Verteidigungsmittel, ist auch das z. B. vom OLG Hamburg im Beschluß vom 21. April 1953 vorgebrachte Argument nicht stichhaltig, daß nur die vom Gesetzgeber ausdrücklich zugelassenen Rechtsmittel gegeben seien.
Auch die im Beschwerdeverfahren notwendige Beschleunigung und der Umstand, daß im Gegensatz zur Berufung der Zeitpunkt nicht bestimmt ist, bis zu dem die Anschlußbeschwerde eingelegt werden darf (so z. B. OLG Hamburg im Beschluß vom 21. April 1953), sprechen nicht gegen die Zulassung der Anschlußbeschwerde. Das den ganzen Zivilprozeß beherrschende Beschleunigungsprinzip (vgl. § 272b ZPO) hat den Gesetzgeber nicht gehindert, Anschlußberufung und Anschlußrevision zuzulassen (so auch OLG Stuttgart im Beschluß vom 22. Juli 1955). Daß nicht ausdrücklich normiert ist, bis zu welchem Zeitpunkt die Anschlußbeschwerde eingelegt werden darf, spricht ebenfalls nicht gegen ihre Anerkennung. Denn auch die Anschlußberufung ist zulässig, solange der Berufungsbeklagte neuen Streitstoff in den Prozeß einführen darf.
B. Die Beschwerde der Gesellschaft und die Anschlußbeschwerde des FA führen zur Aufhebung der Vorentscheidung.
I. Der Entscheidung über die Beschwerden steht nicht entgegen, daß die Gemeinde auf Grund der Gewerbesteuermeßbescheide Gewerbesteuerbescheide erlassen hat. An ihr besteht trotzdem noch ein Interesse. Denn die Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermeßbescheide berührt auch die Vollziehbarkeit der Gewerbesteuerbescheide. Das ergibt sich allerdings nicht aus § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO, nach dem nach Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Steuermeßbescheids auch die Vollziehung eines auf Grund dieses Bescheids etwa ergangenen Bescheids auszusetzen ist, weil für die von den Gemeinden verwalteten Steuern nicht nach § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO der Finanzrechtsweg eröffnet worden ist. Die FGO gilt in Bayern nur insoweit, als es sich um Steuern handelt, die der Gesetzgebung des Landes unterliegen und durch Landesfinanzbehörden verwaltet werden (Art. 1 Abs. 1 Nr. 7 des Gesetzes über die Anwendung bundesrechtlicher Vorschriften des allgemeinen Abgabenrechts auf landesrechtlich geregelte Abgaben vom 12. Juni 1956, Bereinigte Sammlung des bayerischen Landesrechts III S. 429 - BayBS III, 429 -, in der Fassung des Art. 8 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung, Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1965 S. 357). Die Gewerbesteuer wird in Bayern nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 109 über die Rückübertragung der Gewerbesteuer auf die Gemeinden vom 31. März 1948 (BayBS III, 431) von den Gemeinden festgesetzt und erhoben. Diese Vorschriften blieben durch Art. III § 5 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuerrechts vom 27. Dezember 1951 (BGBl I 1961, 996, BStBl I 1952, 2) unberührt (Art. III § 5 Abs. 1 Satz 2 a. a. O.), nach dem die Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer nach dem Gewerbeertrag und dem Gewerbekapital vom 1. Januar 1952 ab den Gemeinden übertragen wurden. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob diese Vorschrift im Hinblick auf Art. 108 Abs. 3 Satz 4 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland verfassungsmäßig ist, nach dem die Verwaltung der den Gemeinden zufließenden Steuern durch die Länder ganz oder zum Teil den Gemeinden übertragen werden kann (vgl. hierzu Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, 9. Aufl., Bd. I, Anm. 6c Abs. 5 zu § 1). Mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung ist die Einwirkung der Aussetzung der Vollziehung eines Gewerbesteuermeßbescheids auf die Vollziehbarkeit des Gewerbesteuerbescheids aus der engen Bindung zwischen Gewerbesteuermeßbescheid und Gewerbesteuerbescheid (§ 212b AO) abzuleiten. Hat das FA die Vollziehung des Gewerbesteuermeßbescheids ausgesetzt, darf die Gemeinde den Gewerbesteuerbescheid nicht mehr vollziehen (vgl. Urteil des BFH I 126/59 S vom 19. Juli 1960, BFH 71, 385, BStBl III 1960, 393, und Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bd. 10 S. 335 - BVerwGE 10, 335 -).
II. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht auf Antrag des beteiligten Abgabenpflichtigen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ob dies der Fall ist, hat der BFH als Beschwerdeinstanz in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nachzuprüfen. Der VI. Senat des BFH hat auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt, daß er an seiner in dem nicht zur Veröffentlichung bestimmten Beschluß VI B 28/66 vom 31. Januar 1967 vertretenen Ansicht nicht festhalte, der BFH dürfe auf die Beschwerde gegen die Entscheidung, durch die das FG die Aussetzung der Vollziehung eines angefochtenen Steuerbescheids ganz oder teilweise abgelehnt habe, nur prüfen, ob das FG sein Ermessen einwandfrei ausgeübt habe. In der Zwischenzeit hat der Große Senat des BFH entschieden, daß es sich bei den gesetzlichen voraussetzungen für die Aussetzung der Vollziehung um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt (Beschluß des BFH Gr. S. 4/67 vom 4. Dezember 1967, BFH 90, 461, BStBl II 1968, 199). Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Daraus folgt, daß der Senat als Beschwerdegericht berechtigt und verpflichtet ist, die vorinstanzliche Entscheidung auch in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen und insbesondere neues tatsächliches Vorbringen zu berücksichtigen, weil für das Beschwerdeverfahren insoweit keine einschränkende Vorschrift wie für das Revisionsverfahren (§ 118 Abs. 2 FGO) besteht. Die Verpflichtung, erst im Beschwerdeverfahren vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen, ergibt sich auch aus § 155 FGO in Verbindung mit § 570 ZPO, dessen sinngemäße Anwendbarkeit in den verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit Recht allgemein angenommen wird (z. B. Eyermann-Fröhler, a. a. O., 4. Aufl., Anm. 21 zu § 146).
III....
IV. Soweit nicht schon nach den Ausführungen unter III die Aussetzung wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts erfolgen mußte, war zu prüfen, ob auszusetzen war, weil die Vollziehung für den Abgabepflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte (§ 69 Abs. 3, Abs. 2 Satz 2 2. Alternative FGO).
1. Der Senat teilt weder die von Meßmer (Der Betriebs-Berater 1966 S. 692 [696 f.]) vertretene Ansicht, die Vorschrift des § 69 FGO sei insoweit obsolet und daher als nicht geschrieben zu behandeln, noch die Ansicht von Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. Aufl., Anm. 6 zu § 69 FGO, diese von der "unbilligen Härte" handelnde Alternative des § 69 FGO spiele bei Abgabebescheiden wegen der Möglichkeit der Stundung und des Vollstrekkungsaufschubs keine Rolle, sondern komme nur in Betracht, wenn der angefochtene Verwaltungsakt von dem Betroffenen ein Tun, Dulden oder Unterlassen verlange. Die Vorschrift führt allerdings dazu, daß die FG und (als Beschwerdeinstanz) auch der BFH in einem summarischen Verfahren oft schwer übersehbare und endgültig meist nur anhand von Sachverständigengutachten zu klärende Sachverhalte zu beurteilen haben, was durch das FA in einem durch Rechtsmittel angreifbaren Stundungs- oder Erlaßverfahren eben so gut und mit Hilfe der den FÄ zur Verfügung stehenden Betriebsprüfer in der Regel besser und zweckmäßiger geschehen könnte. Der Richter muß aber eine vom Gesetzgeber gewollte Regelung auch dann beachten, wenn er sie für unzweckmäßig hält und wenn sie mit den Aufgaben und der Stellung eines Revisionsgerichtes nicht vereinbar ist. Die nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut für die Aussetzung der Vollziehung selbständige Voraussetzung "unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte" wurde entgegen dem Vorschlag der Bundesregierung auf Anregung des Rechtsausschusses, und zwar bewußt nach dem Vorbild des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO in das Gesetz eingefügt. Während sich die Bundesregierung auf den Standpunkt gestellt hatte, eine besondere Härteklausel sei wegen der Möglichkeiten der Stundung (§ 127 AO) und der "Aussetzung der Vollziehung gemäß § 57 BeitrO" überflüssig (vgl. den schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses zu Bundestags-Drucksache IV/3523 S. 8 zu § 65 des Regierungsentwurfs zur FGO), rechtfertigte der Rechtsausschuß die Einfügung mit "rechtsstaatlichen Gründen" (vgl. Bundestags-Drucksache IV/3523 S. 28), ohne allerdings erkennbar zu machen, aus welchen Überlegungen sich diese Gründe ergäben. Die Härteklausel kann daher nicht als ungeschrieben angesehen werden.
2. Der Senat hält allerdings die Auffassung für notwendig und für vertretbar, daß eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte trotz der alternativen Fassung des Gesetzes ("ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts" oder "unbillige ... Härte") nicht völlig unabhängig von den Erfolgsaussichten des Rechtsmittels in der Hauptsache gewährt werden darf, wie das gelegentlich angenommen wird (vgl. z. B. v. Wallis-List in Hübschmann-Hepp-Spitaler, Kommentar zur Reichsabgabenordnung, Anm. 16 zu § 69 FGO). Das verbietet sich schon im Hinblick auf die Systematik des § 69 FGO; denn die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts ist nur dann zulässig, wenn der Verwaltungsakt angefochten worden ist. Soll diese Voraussetzung sinnvoll sein, kann die Aussetzung der Vollziehung von den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs jedenfalls nicht ganz unabhängig sein. Deshalb ist eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte nur vertretbar, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Sind Zweifel fast ausgeschlossen, hat also der Rechtsbehelf in der Hauptsache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, ist eine Aussetzung der Vollziehung selbst dann nicht zulässig, wenn die Vollziehung eine unbillige Härte zur Folge hätte (vgl. Beschluß des BFH V B 26/67 vom 21. Dezember 1967, BFH 90, 318, BStBl II 1968, 84). In diesem Fall muß der Steuerpflichtige, der der Ansicht ist, zur Zahlung der Steuern nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt in der Lage zu sein, Erlaß, Stundung oder Einstellung der Zwangsvollstreckung beantragen. Durch diese Auslegung wird die in § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO zu weit gefaßte Regel auf den ihr nach dem Zweck und dem Sinnzusammenhang des Gesetzes zukommenden Anwendungsbereich zurückgeführt (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 296).
V. ...
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG davon auszugehen haben, daß die Vollziehung für die Gesellschaft eine unbillige Härte zur Folge hätte, wenn ihr wirtschaftliche Nachteile drohten, die über die eigentliche Zahlung hinausgingen und die nicht oder nur schwer wiedergutzumachen wären, oder wenn sogar ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet wäre (vgl. Beschluß des BFH VI S 9/66 vom 31. Januar 1967, BFH 87, 600, BStBl III 1967, 255). Die Tatsachen, die hierfür vorgetragen werden, sind entsprechend der summarischen Natur des Aussetzungsverfahrens lediglich glaubhaft zu machen. Beweise brauchen im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung in der Regel nicht erhoben zu werden.
Fundstellen
BStBl II 1968, 538 |
BFHE 1968, 314 |