Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes betr. die Statthaftigkeit der sog. Gegenvorstellung
Leitsatz (amtlich)
Dem Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes wird folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist eine Gegenvorstellung gegen einen Beschluss über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe statthaft?
Normenkette
FGO § 142; ZPO § 114; RsprEinhG § 2; AnhRüG
Tatbestand
I. Der Antragsteller war Geschäftsführer einer Wirtschaftsberatungs GmbH. Er wurde von dem Finanzamt (FA) durch Haftungsbescheid vom 25. Juni 1998 gemäß §§ 34, 69 der Abgabenordnung (AO) wegen rückständiger Umsatzsteuer 1993 der GmbH sowie Zinsen zur Umsatzsteuer 1993 in Anspruch genommen. Das FA hob den Haftungsbescheid am 24. Juni 2004 auf.
Die GmbH erhob gegen den an sie gerichteten Umsatzsteuerbescheid 1993 vom 4. Juni 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. April 1998 im Mai 1998 Klage.
Durch Urteil vom 26. März 2003 gab das Finanzgericht (FG) der Klage der GmbH (Az. 12 K 3947/98) teilweise statt und ließ die Revision gegen sein Urteil nicht zu.
Über zwei Jahre später, am 19. August 2005, legte der Antragsteller gegen dieses Urteil Nichtzulassungsbeschwerde (V B 146/05) ein. Er rügte im Wesentlichen, dass er in dem finanzgerichtlichen Verfahren 12 K 3947/98 gemäß § 60 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hätte beigeladen werden müssen.
Am selben Tag beantragte der Antragsteller (persönlich), ihm Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung der Steuerberatungsgesellschaft zu bewilligen, die die Nichtzulassungsbeschwerde V B 146/05 für ihn eingelegt hatte. Zur Begründung nahm er auf die beigefügte Nichtzulassungsbeschwerde V B 146/05 Bezug. Das Verfahren wurde unter dem Az. V S 18/05 (PKH) geführt.
Durch Beschluss vom 2. Februar 2007 hat der Senat die Nichtzulassungsbeschwerde V B 146/05 als unzulässig verworfen (vgl. BFH/NV 2007, 958). Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller, vertreten durch die Steuerberatungsgesellschaft X, mit Schriftsatz vom 26. Februar 2007 "Gehörsrüge gemäß § 133a" eingelegt, über die der Senat noch nicht entschieden hat (Az. V S 11/07).
Durch weiteren Beschluss vom 2. Februar 2007 V S 18/05 (PKH) lehnte der Senat den Antrag des Antragstellers auf Gewährung von PKH ab. Zur Begründung führte der Senat aus, die beabsichtigte Rechtsverfolgung --die Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers-- biete keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung --ZPO--, § 142 FGO). Der Senat habe die Nichtzulassungsbeschwerde durch Beschluss vom 2. Februar 2007 als unzulässig verworfen (V B 146/05), weil der Antragsteller nicht an dem vorinstanzlichen Verfahren beteiligt (§ 57 FGO) und deshalb nicht beschwerdebefugt gewesen sei. Damit sei das Beschwerdeverfahren abgeschlossen und erfolglos geblieben.
Gegen diesen Beschluss hat der Antragsteller (persönlich) mit Schriftsatz vom 23. Februar 2007 "Gegenvorstellung" eingelegt und erneut PKH beantragt (Az. V S 10/07).
Hierzu stellt er vorab den Antrag, die Richter A, B und C, die an dem Beschluss vom 2. Februar 2007 V S 18/05 (PKH) mitgewirkt haben, wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 51 FGO von der Mitwirkung auszuschließen. Hierzu führt der Antragsteller u.a. aus, wenn Richter einen PKH-Antrag in offensichtlich rechtswidriger Weise, wie hier geschehen, ablehnten, so begründe dies den Verdacht der Befangenheit, da diese vom Finanzminister angestellt seien, also bezahlt würden.
In der Sache trägt der Antragsteller u.a. vor, gegen den ablehnenden Beschluss über den Antrag auf Gewährung von PKH sei die Gegenvorstellung zulässig (Hinweis auf den Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. September 2001 XI S 26/01, juris). Hieran habe sich auch durch die Einführung des § 133a FGO --trotz der "etwas wirren Rechtsprechung verschiedener Senate des BFH"-- nichts geändert.
Die Gegenvorstellung dürfe von ihm persönlich erhoben werden (Hinweis auf BFH-Beschluss vom 29. November 1999 XI S 8/99, BFH/NV 2000, 1065).
Die Gegenvorstellung sei auch begründet. Der Senat habe zur Begründung der Ablehnung der PKH im Beschluss vom 2. Februar 2007 V S 18/05 (PKH) auf den am selben Tag erlassenen Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde V B 146/05 verwiesen. Ein solcher Verweis auf die bereits ergangene Entscheidung in der Hauptsache sei unzulässig; die Entscheidung über einen PKH-Antrag müsse vielmehr vor der Entscheidung der Hauptsache getroffen werden. Hiergegen habe der Senat verstoßen. Er habe eine Willkürentscheidung getroffen, da er durch dieses Verfahren keine, auch keine summarische Prüfung im PKH-Verfahren vorgenommen habe.
Der Antrag auf PKH habe auch Aussicht auf Erfolg. Entgegen der Begründung des Senats in seinem Beschluss in BFH/NV 2007, 958 sei er --der Antragsteller-- (doch) Beteiligter des Klageverfahrens 12 K 3947/98 vor dem FG gewesen.
Daraus folge, dass die Gegenvorstellung zulässig und begründet sei, ihr damit entsprochen werden müsse und die PKH zu bewilligen sei.
Entscheidungsgründe
II. Die "Gegenvorstellung" des Antragstellers gegen den Beschluss vom 2. Februar 2007 V S 18/05 (PKH) ist nach Auffassung des vorlegenden Senats und der anderen Senate des BFH unzulässig.
1. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seinem Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 1 PBvU 1/02 (BVerfGE 107, 395) geklärt, dass Rechtsbehelfe "in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in ihren Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein müssen".
Es hat diese Rechtsprechung auch nach Schaffung der Anhörungsrüge durch das Anhörungsrügengesetz (AnhRügG) vom 9. Dezember 2004 (BGBl I 2004, 3220) aufrechterhalten und bekräftigt.
Das BVerfG hat in der Entscheidung vom 8. Februar 2006 2 BvR 575/05 (Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2006, 2907) zur Gegenvorstellung dargelegt:
"Gegen die fristwahrende Eigenschaft einer 'Gegenvorstellung', die nach dem Wortlaut des Gesetzes weder als Rechtsmittel noch als Anhörungsrüge zulässig sein kann, spricht, dass die Anhörungsrüge durch Gesetz abschließend geregelt werden sollte, so dass es der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit widerspräche, darüber hinaus Gegenvorstellungen als für die Verfassungsbeschwerde fristwahrend anzuerkennen. Gerade die Rechtssicherheit und das Postulat der Rechtsmittelklarheit standen im Mittelpunkt der Erwägungen des Beschlusses des Plenums des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪416≫)."
Das BVerfG hat ferner jüngst ausgeführt, es verstoße gegen die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit, wenn von der Rechtsprechung außerordentliche Rechtsbehelfe außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffen würden, um tatsächliche oder vermeintliche Lücken im bisherigen Rechtsschutzsystem zu schließen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 16. Januar 2007 1 BvR 2803/06, unter Hinweis auf BVerfGE 107, 395, 416).
2. Die gesetzlich nicht geregelte Gegenvorstellung --die im Beschluss in BVerfGE 107, 395 ausdrücklich erwähnt wird (vgl. unter A. II. 1. a der Gründe)-- erfüllt die dargelegten Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht. Sie ist deshalb nicht statthaft.
a) Diese Auffassung hat bereits das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Beschluss vom 11. Januar 2007 8 KSt 17/06 (juris) vertreten. Es hat dort u.a. ausgeführt:
"Der Antrag ist auch nicht als Gegenvorstellung statthaft. Er richtet sich gegen den mit ordentlichem Rechtsbehelf nicht anfechtbaren Beschluss des Senats und müsste, um als außerordentlicher Rechtsbehelf zulässig sein zu können, in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt sein (vgl. BVerfGE 107, 395). Das ist jedoch nicht der Fall."
b) Die Ansicht des Senats wird auch von Teilen der Literatur vertreten (vgl. Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., Vor § 115 Rz 29; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Vor §§ 115 bis 134 FGO Rz 57 ff.; a.A. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, Vor § 115 FGO Rz 43; Rüsken in Beermann/Gosch, AO, FGO, § 133a FGO Rz 82).
c) Nach Ansicht des Senats ist eine Gegenvorstellung generell und damit auch gegen einen Beschluss über einen Antrag auf PKH --wie vorliegend-- nicht statthaft.
Soweit in der Literatur (einschränkend) ausgeführt wird, Gegenvorstellungen kämen "allenfalls" noch bei gerichtlichen Entscheidungen in Betracht, die nicht in materielle Rechtskraft erwachsen und vom Gericht von Amts wegen oder auf Antrag abgeändert werden könnten, wie z.B. der Beschluss über einen Antrag auf PKH (vgl. Ruban, a.a.O., Vor § 115 Rz. 29, m.w.N.), folgt der Senat dem nicht. Er ist der Ansicht, dass die Frage, ob ein Rechtsbehelf (hier die Gegenvorstellung) den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht genügt und deshalb nicht statthaft ist, nicht davon abhängen darf, ob die angegriffene Entscheidung in materielle Rechtskraft erwächst oder nicht (wie hier die Entscheidung über einen PKH-Antrag).
Dies schließt freilich nicht aus, eine "Gegenvorstellung" gegen einen PKH versagenden Beschluss ggf. als erneuten Antrag auf PKH zu werten (vgl. zur Umdeutung eines Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens in einen erneuten PKH-Antrag: BFH-Beschluss vom 26. März 1998 XI S 32/97, BFH/NV 1998, 1252; zur Auslegung eines Antrags auf "erneute Behandlung" in einen erneuten PKH-Antrag: BFH-Beschluss vom 18. März 2003 I K 1-3/03, BFH/NV 2003, 1191).
d) Auf Anfrage des vorlegenden Senats gemäß § 11 Abs. 3 und 4 FGO haben die anderen Senate des BFH sich seiner Rechtsauffassung angeschlossen, dass eine Gegenvorstellung gegen einen Beschluss über einen Antrag auf PKH nicht statthaft ist.
III. Der Senat holt zu der von ihm vertretenen Rechtsauffassung eine Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ein.
Nach § 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes --RsprEinhG-- (BGBl I 1968, 661) entscheidet der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes abweichen will.
Der Senat hält diese Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 RsprEinhG für gegeben; denn im Anschluss an die Entscheidung in BVerfGE 107, 395 sind
- der Bundesgerichtshof (Entscheidung vom 23. Mai 2007 XII ZB 92/06, NSW UrkErsVO § 6, BGH-Intern),
- das Bundessozialgericht (vgl. Entscheidungen vom 28. Juli 2005 B 13 RJ 178/05 B, NJW 2006, 860; vom 28. September 2006 B 3 P 1/06, SozR 4-1500, § 178a Nr. 5; vom 8. November 2006 B 2 U 5/06 C, SozR 4-1500, § 178a Nr. 6, UV-Recht Aktuell 2007, 521; vom 10. November 2006 B 9a SB 61/06 B, RegNr. 27700, BSG-Intern),
- das Bundesarbeitsgericht (Entscheidung vom 18. Juli 2006 1 ABR 36/05, AP Nr. 19 zu § 2 TVG) und
- das BVerwG (vgl. Entscheidung vom 9. Januar 2007 10 B 74/06 (10 B 68/06), nicht veröffentlicht)
von einer Statthaftigkeit der Gegenvorstellung bei nicht vom AnhRügG erfassten Verletzungen von Verfahrensgrundrechten oder Verletzungen des Willkürverbots ausgegangen und haben dementsprechend die jeweilige Gegenvorstellung entweder der Sache nach beschieden oder aber aus anderen Gründen als unzulässig verworfen.
IV. Das Verfahren vor dem vorlegenden Senat V S 10/07 wird ausgesetzt (§ 11 Abs. 2 Satz 2 RsprEinhG).
Fundstellen
Haufe-Index 1828334 |
BFH/NV 2008, 165 |
BStBl II 2008, 60 |
BFHE 2007, 27 |
BFHE 219, 27 |
BB 2007, 2670 |
DB 2007, 2754 |
DStR 2007, 2162 |
DStRE 2007, 1588 |
HFR 2008, 50 |