Leitsatz (amtlich)
Aufwendungen eines Steuerpflichtigen, mit denen er seine Wahl in ein hauptberufliches kommunales Spitzenamt betreibt, das mit steuerpflichtigen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit verbunden ist, sind als Werbungskosten zu berücksichtigen. Der Senat hält insoweit an seiner gegenteiligen Auffassung im Urteil vom 4. August 1967 VI R 130/66 (BFHE 90, 18, BStBl III 1967, 772) nicht mehr fest.
Normenkette
EStG 1967 § 9 Abs. 1 S. 1, § 12 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger), der bereits 12 Jahre Bürgermeister der Stadt X in Bayern gewesen war, kandidierte auch bei der Wahl im Jahr 1968 für dieses Amt, wurde jedoch nicht wiedergewählt. Er war von einer freien Wählergemeinschaft in Vorschlag gebracht worden, die für den Wahlkampf erhebliche Mittel aufgebracht hat. Von diesem Betrag wurde ein Teil durch Spenden gedeckt, den Restbetrag mußte der Kläger der freien Wählergemeinschaft ersetzen. Im Jahre 1968 bezahlte der Kläger der Wählergemeinschaft hiervon einen Teilbetrag. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) erkannte bei der Einkommensteuerveranlagung für 1968 diesen Betrag und einen weiteren vom Kläger persönlich aufgewendeten Betrag nicht als Werbungskosten an.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das FG führte zur Begründung insbesondere aus, daß der Kläger nach der Gemeindeordnung sich habe zur Wahl stellen müssen, wenn er weiterhin Bürgermeister habe bleiben wollen. Die Kosten für die Wahlvorbereitungen hätten also dazu gedient, ihm die Einkünfte aus seiner bisherigen Tätigkeit zu erhalten. Daß der Kläger dann nicht gewählt worden sei, sei für die steuerliche Berücksichtigung ohne Bedeutung. Der BFH habe zwar im Urteil vom 4. August 1967 VI R 130/66 (BFHE 90, 18, BStBl III 1967, 772) die mit einer Wahl zusammenhängenden Vorgänge grundsätzlich dem Bereich der Lebenshaltung zugerechnet und es abgelehnt, die Aufwendungen eines Beamten, der für das Amt eines Landrats kandidiert habe, als Werbungskosten zu berücksichtigen. Der damals zur Entscheidung stehende Sachverhalt sei jedoch mit dem im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu vergleichen; denn damals sei mit der Bewerbung ein Berufswechsel erstrebt worden. Der Kläger habe aber versucht, die bisherige Tätigkeit als Bürgermeister weiterhin auszuüben. Das FA könnte seine Ablehnung auch nicht auf das Urteil vom 15. Januar 1970 IV R 32/69 (BFHE 98, 343, BStBl II 1970, 379) stützen; denn in jener Entscheidung seien die Zuwendungen eines in den Aufsichtsrat gewählten Arbeitnehmervertreters nicht als Betriebsausgaben angesehen worden. Soweit der BFH in den beiden Entscheidungen die Auffassung vertreten habe, daß sämtliche mit einer demokratischen Wahl zusammenhängenden Kosten in den Bereich der Lebenshaltung gehörten, könne das FG dem nicht folgen, zumal die Finanzverwaltung ab 1970 Wahlkampfkosten dann als Werbungskosten anerkenne, wenn sie zur Erlangung eines kommunalen Spitzenamtes ausgegeben werden und mit dem Amt steuerpflichtige Einnahmen verbunden sind.
Das FA rügt mit seiner Revision Verletzung des § 9 Abs. 1 Satz 1 und § 12 Nr. 1 EStG. Der BFH habe im Urteil VI R 130/66 grundsätzlich entschieden, daß die Kosten eines Wahlkampfes dem staatsbürgerlichen und politichen Bereich und damit der Lebenshaltung im Sinn von § 12 Nr. 1 EStG zuzurechnen seien. Daß der Steuerpflichtige im damaligen Rechtsstreit durch die Wahl zum Landrat auch einen Berufswechsel angestrebt habe, der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit sich dagegen um die Fortsetzung der bisher ausgeübten Tätigkeit als Bürgermeister bemüht habe, sei für die steuerliche Beurteilung der Wahlkampfkosten ohne Einfluß. Ebenso komme der Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 5. August 1970 S 2353-20/6-40373 I, nach der die Finanzverwaltung Wahlkampfkosten erstmals ab 1970 als Werbungskosten anerkenne, für die Entscheidung des Rechtsstreits keine Bedeutung zu. Eine derartige Regelung sei ein Mittel der obersten Verwaltungsbehörden, auf die Auslegung und Fortbildung des Steuerrechts Einfluß zu nehmen. Eine solche Weisung dürfe sich aber nicht auf die Besteuerung zurückliegender Jahre auswirken.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist nicht begründet.
Nach der Bayerischen Gemeindeordnung vom 25. Januar 1952 (Bereinigte Sammlung des bayerischen Landesrechts Bd. I S. 461 - BayBS I, 461 -) werden die Bürgermeister der Städte von den wahlberechtigten Bürgern der Städte unmittelbar gewählt. Der Kläger, der das Amt des Bürgermeisters in X bereits 12 Jahre innegehabt hatte, konnte daher für weitere sechs Jahre nur Bürgermeister bleiben, wenn er im Jahre 1968 wiedergewählt wurde. Daß der Kläger bei der von ihm angestrebten Wahl von einer freien Wählergemeinschaft und nicht von einer politischen Partei vorgeschlagen und unterstützt wurde, ist für die steuerliche Beurteilung seiner Wahlkampfaufwendungen unwesentlich. Von Bedeutung ist für die Besteuerung der Aufwendungen, zu denen sich der Kläger gegenüber der Wählergemeinschaft verpflichtet hatte, allein, daß er die erstrebte Fortsetzung seiner Berufstätigkeit als Bürgermeister und den Bezug der mit diesem Amt verbundenen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit nur durch eine erfolgreiche Wahl erreichen konnte. Der dem Streitfall zugrunde liegende Sachverhalt entspricht daher grundsätzlich dem des Urteils VI R 130/66.
Das FG hat hinsichtlich der Aufwendungen des Klägers für seine Wiederwahl im Jahr 1968 die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG 1967 als erfüllt angesehen und abweichend vom Urteil des Senats VI R 130/66 die streitigen Aufwendungen als Werbungskosten berücksichtigt. Bei dieser Beurteilung ist es davon ausgegangen, daß die Aufwendungen des Klägers nicht anders zu behandeln sind als die Aufwendungen anderer Arbeitnehmer, die diese für die Erlangung eines Arbeitsplatzes machen. Daß die Wahl des Klägers zum Bürgermeister für die Wahlberechtigten und auch für den Kläger zugleich eine politische Entscheidung im Rahmen einer demokratischen Wahl war, hat das FG als unbeachtlich angesehen. Es ist damit der Kritik gefolgt, die am Urteil des Senats VI R 130/66 geübt wurde (z. B. Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 10. Aufl., § 9 Anm. 3 S. 1299, § 19 Anm. 12 S. 2061; Hauber, Deutsche Gemeindezeitung 1968 S. 129; Urteil des FG Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, vom 14. Mai 1970 III 69/69, EFG 1970, 437). Die Finanzminister der Länder haben im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Finanzen gleichfalls in koordinierten Erlassen eine andere Rechtsauffassung vertreten als der Senat im Urteil VI R 130/66 und Aufwendungen für die Wahl in ein kommunales Spitzenamt als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit anerkannt, wenn mit der Erlangung des Amtes steuerpflichtige Einnahmen aus einer hauptberuflichen Tätigkeit im Sinne einer Vollbeschäftigung verbunden sind (z. B. Entschließung des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen vom 5. August 1970 S 2353-20/6-40373 I; Erlaß des Hessischen Ministers der Finanzen vom 22. Juni 1970, Deutsche Steuer-Zeitung, Ausgabe B - Eildienst - 1970 S. 276).
Der Senat tritt nach erneuter Prüfung der Rechtslage der Beurteilung des FG bei. Er hält für die in den koordinierten Ländererlassen geregelten Fälle an der im Urteil VI R 130/66 vertretenen Auffassung nicht mehr fest. Er ist nunmehr ebenfalls der Ansicht, daß es in diesen Fällen nicht vertretbar ist, den nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG 1967 gerechtfertigten Werbungskostenabzug unter Berufung auf § 12 Nr. 1 EStG zu versagen. Entscheidend für diese Beurteilung ist für ihn dabei, daß es nicht angängig ist, einen Steuerpflichtigen, der ein kommunales Spitzenamt, das hauptamtlich ausgeübt wird und nur durch eine Wahl erreicht werden kann, anders zu behandeln als einen Steuerpflichtigen, dessen Aufwendungen für die Erlangung eines Arbeitsplatzes als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Die politische Bedeutung, die das vom Kläger angestrebte Amt durch die nach demokratischen Grundsätzen durchgeführte Wahl hat, muß im Interesse einer Gleichbehandlung mit anderen Arbeitnehmern außer Betracht bleiben.
Daß die Aufwendungen des Klägers nicht den erwünschten Erfolg hatten, ist für die steuerliche Beurteilung belanglos, wie der Senat bereits im Urteil VI R 130/66 anerkannt hat. Ebenso ist es für die Entscheidung des Streitfalles ohne Bedeutung, daß nach den koordinierten Ländererlassen in den als Werbungskosten berücksichtigungsfähigen Fällen Wahlkampfkosten erst ab 1970 berücksichtigungsfähig sein sollen, der Kläger die streitigen Aufwendungen aber bereits im Jahr 1968 gemacht hat. Da diese Aufwendungen aus Rechtsgründen als Werbungskosten abzugsfähig sind, ist eine zeitliche Begrenzung der Abzugsfähigkeit nicht gerechtfertigt.
Da das Urteil des FG im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, war die dagegen eingelegte Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 70873 |
BStBl II 1974, 407 |
BFHE 1974, 58 |