Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrags
Leitsatz (amtlich)
Der Grundfreibetrag nach § 32a Abs.1 EStG ist in den für die Jahre 1986 bis 1988 geltenden Fassungen mit dem GG vereinbar.
Orientierungssatz
1. Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Für das Einkommensteuerrecht folgt daraus vor allem, daß die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet werden muß (Anschluß an die BVerfG-Rechtsprechung). Das BVerfG hat als Maßstab für eine realitätsgerechte Steuerermäßigung für die Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen das sozialhilferechtliche Existenzminimum herangezogen und darin zugleich das vom Gesetzgeber gewählte Ordnungsprinzip erkannt. Diese Grundsätze sind auch für den Fall anwendbar, in dem es um die Abgeltung existentiell notwendiger Aufwendungen für den Lebensbedarf des Steuerpflichtigen geht (Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 EStG).
2. Art. 20 Abs. 1 GG beinhaltet u.a. das Gebot sozialer Steuerpolitik, die auf die Belange der schwächeren Schichten der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen hat. Das BVerfG hat danach das Sozialstaatsprinzip entweder nur als weiteren Gesichtspunkt zur Prüfung des aus Art. 3 Abs. 1 GG zu entnehmenden Gebots der Steuergerechtigkeit herangezogen oder damit die Minderung der unteren Einkommensstufen und daher indirekt den progressiven Tarif gerechtfertigt. Der III. Senat des BFH schließt sich dieser Rechtsprechung an.
Normenkette
EStG § 32a Abs. 1 Fassung: 1985-06-26, § 52 Abs. 23b Fassung: 1985-06-26, § 32a Abs. 1 Fassung: 1987-07-14; GG Art. 1 Abs. 1; EStG § 33a Abs. 1; GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Sie wurden in den Streitjahren 1986 bis 1988 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger bezog als Handelsvertreter Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben erklärte er Einkünfte aus Kapitalvermögen und ―gemeinsam mit seiner Ehefrau― Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung.
Mit den Einkommensteuerbescheiden 1986, 1987 und 1988 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) das zu versteuernde Einkommen der Kläger und die darauf nach der Splittingtabelle entfallende Einkommensteuer wie folgt fest.
Streitjahr zu versteuerndes Einkommen Einkommensteuer
1986 70 847 DM 16 638 DM
1987 83 626 DM 21 814 DM
1988 72 576 DM 16 246 DM.
Die Einsprüche und Klagen, mit denen die Kläger den Ansatz höherer Grundfreibeträge begehrten, hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung seiner Entscheidungen aus, die Regelung des § 32a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in den für die Streitjahre geltenden Fassungen verstoße nicht gegen das Grundgesetz (GG), denn der Grundfreibetrag habe in den Streitjahren in etwa den Regelsätzen der Sozialhilfe entsprochen. Im übrigen ergäbe sich selbst dann noch kein Verfassungsverstoß, wenn der Grundfreibetrag bei einer isolierten Betrachtungsweise zu niedrig bemessen wäre. In einem solchen Fall könnten nur solche Steuerpflichtige eine Grundrechtsverletzung rügen, die zur Erfüllung ihrer Steuerschuld ihr nach Auffassung des Klägers realistisches Existenzminimum angreifen müßten.
Dagegen richten sich die Revisionen, die das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssachen zugelassen hat. Die Kläger rügen die Verletzung materiellen Rechts und tragen vor: Der durch § 32a Abs.1 Nr.1 EStG gewährte Grundfreibetrag, der das Existenzminimum des Steuerpflichtigen von der Einkommensteuer freistellen soll, sei unangemessen niedrig, weil er nicht die notwendigen Aufwendungen für Nahrung, Kleidung und Wohnung abgelte. Als Vergleichsmaßstab für eine realitätsgerechte Berücksichtigung des Existenzminimums seien die Regelsätze der Sozialhilfe allein nicht geeignet. Vielmehr müßten für jeden Steuerpflichtigen gleichermaßen der Wert für eine angemessene Wohnung und die Aufwendungen für Heizung hinzugerechnet werden, so daß sich sozialhilferechtlich ein Existenzminimum von 10 000 DM für Ledige und von 16 000 DM für Verheiratete ergebe. Auf das Wohngeld könne man die Kläger nicht verweisen, weil diese Leistungen nur einem geringen Teil von Steuerpflichtigen zugute kämen. Das geltende Recht verstoße insoweit gegen das Art.3 Abs.1 GG zu entnehmende Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und gegen das Sozialstaatsprinzip gemäß Art.20 GG.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidungen aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 1986, 1987 und 1988 dahingehend abzuändern, daß ein Grundfreibetrag von jeweils 16 000 DM berücksichtigt wird.
Das FA beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.
Der Senat hat die Verfahren III R 14 bis 16/90 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (§ 73 Abs.1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind unbegründet.
Die durch § 32a Abs.1 Satz 2 Nr.1 EStG gewährleisteten und bei den Zusammenveranlagungen der Kläger für die Streitjahre in doppelter Höhe berücksichtigten Grundfreibeträge sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Nach § 32a Abs.1 Satz 2 Nr.1 EStG beträgt die tarifliche Einkommensteuer in den Streitjahren 1986 und 1987 für zu versteuernde Einkommen bis 4 536 DM (Grundfreibetrag): 0 (§§ 32a, 52 Abs.23 b EStG i.d.F. des Steuersenkungsgesetzes 1986/1988 vom 26.Juni 1985 ―StSenkG 1986/1988―, BGBl I 1985, 1153, BStBl I 1985, 391); für das Streitjahr 1988 beträgt der Grundfreibetrag 4 752 DM (§ 32a Abs.1 Satz 2 Nr.1 EStG i.d.F. des Art.1 Nr.5 des Steuersenkungs-Erweiterungsgesetzes 1988 vom 14.Juli 1987 ―StSenkErwG 1988―, BGBl I 1987, 1629, BStBl I 1987, 523). Diese Grundfreibeträge wurden den Klägern im Wege der Zusammenveranlagung mit Splitting-Verfahren in den Streitjahren jeweils zweifach gewährt (§ 32a Abs.5 EStG).
Die verfassungsrechtlichen Einwendungen der Kläger gegen die Bemessung dieser Grundfreibeträge greifen nicht durch.
a) Nach übereinstimmender Auffassung im Schrifttum repräsentiert der Grundfreibetrag das steuerfrei zu belassende Existenzminimum eines Steuerpflichtigen (vgl. zuletzt Lang, Die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer, Köln 1981/1988 S.191 ff.; Schöberle in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 32a A 42; Stephan in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15.Aufl. 1988, § 32a Anm.10; Tipke/Lang, Steuerrecht, 12.Aufl. 1989, S.214 f., jeweils m.w.N.; vgl. schon Strutz, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, Berlin 1929, 2.Band, § 50 Anm.II,5). Von dieser Vorstellung geht auch der Gesetzgeber aus (vgl. Strutz, a.a.O., § 50 Anm.I,2 unter Hinweis auf die Begründung zum EStG 1925 und BTDrucks II/481, S.66). In seinen jüngsten Entscheidungen zum Familienlastenausgleich hat insoweit auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ausgeführt, aus Art.1 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art.20 Abs.1 GG und aus Art.6 Abs.1 GG folge, daß bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder unabhängig davon steuerfrei bleiben muß, wie die Besteuerung im einzelnen ausgestaltet ist und welche Familienmitglieder dabei als Steuerpflichtige herangezogen werden (Beschluß des BVerfG vom 29.Mai 1990 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86 (BStBl II 1990, 664) und Beschluß vom 12. Juni 1990 1 BvL 72/86 (BStBl II 1990, 664)).
b) Entgegen einer in der Literatur vertretenen Ansicht (vgl. etwa Dziadkowski, Steuer und Wirtschaft ―StuW― 1986, 53; Finanz-Rundschau ―FR―1986, 504; Tipke/Lang, a.a.O.) ist der für die Streitjahre 1986 bis 1988 geltende Grundfreibetrag nicht schon deshalb verfassungsrechtlich zu beanstanden, weil er der Höhe nach in etwa nur den sozialhilferechtlichen Eckregelsätzen entspricht. Es ist eingewandt worden, das sozialhilferechtliche Existenzminimum sei weitaus höher als die Regelsätze nach § 22 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG). Soweit der Grundfreibetrag daher alle notwendigen Aufwendungen für Ernährung, Kleidung, Wohnung und Heizung abgelten solle, verstoße er gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Dieser Auffassung kann der Senat nicht folgen.
c) Zwar hat der 57.Deutsche Juristentag im Anschluß an die überwiegende Auffassung im Schrifttum (s.o.) beschlossen, das steuerliche Existenzminimum dürfe von Verfassungs wegen nicht unter dem sozialrechtlichen Existenzminimum, sondern müsse um der Grundrechte willen deutlich über diesem liegen (Neue Juristische Wochenschrift ―NJW― 1988, 3006). Diese Entschließung, auf die sich auch die Kläger berufen haben, versteht der erkennende Senat als Beitrag zur Reformdiskussion um eine Neuordnung des einkommensteuerrechtlichen Existenzminimums und der Familienbesteuerung und als einen Appell an den Gesetzgeber, die mangelnde Abstimmung zwischen Einkommensteuer- und Sozialrecht zu beseitigen (vgl. dazu Ruppe in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz mit Nebengesetzen, Kommentar, 19.Aufl., Einf. ESt Anm.81 und Anm.477, sowie Franz, StuW 1988, 17 jeweils m.w.N.). Eine Verletzung von Verfassungsrecht durch das geltende Recht läßt sich daraus indessen nicht ableiten.
2. Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art.3 Abs.1 GG) liegt nicht vor. Soweit im Schrifttum der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als ethisches Prinzip (vgl. Kirchhof, StuW 1985, 319, 322) und das damit zusammenhängende Verbot der Besteuerung des familiären Existenzminimums auch aus anderen Grundrechten abgeleitet wird (vgl. etwa Tipke/Lang, a.a.O., S.31), verstößt die Bemessung des Grundfreibetrags in den Streitjahren auch nicht gegen die Menschenwürde (Art.1 Abs.1 GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art.2 Abs.1 GG) oder das Gebot des Schutzes von Ehe und Familie (Art.6 Abs.1 GG).
a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG, der sich der Senat anschließt, ist der allgemeine Gleichheitssatz verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (vgl. Beschluß des BVerfG vom 23.Januar 1990 1 BvL 4/87 u.a., BStBl II 1990, 483). Für das Einkommensteuerrecht folgt daraus vor allem, daß die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet werden muß (vgl. Urteil des BVerfG vom 3.November 1982 1 BvR 620/78 u.a., BVerfGE 61, 319, 343, BStBl II 1982, 717, und Beschlüsse des BVerfG vom 22.Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, 222, BStBl II 1984, 357, 359; vom 4.Oktober 1984 1 BvR 789/79, BVerfGE 67, 290, BStBl II 1985, 22; vom 17.Oktober 1984 1 BvR 527/80 u.a., BVerfGE 68, 143, 152 f.; vom 14.Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 260, und Urteil vom 10.Februar 1987 1 BvL 18/81 und 20/82, BVerfGE 74, 182, 200, BStBl II 1987, 240). Das BVerfG hat daraus die Forderung abgeleitet, der Gesetzgeber dürfe für die Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen keine realitätsfremden Grenzen ziehen und ein einmal gewähltes Ordnungsprinzip nicht ohne zwingenden Grund unbeachtet lassen (vgl. BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357 und BVerfGE 67, 290, BStBl II 1985, 22). Dabei hat das BVerfG als Maßstab für eine realitätsgerechte Steuerermäßigung das sozialhilferechtlich gewährleistete Existenzminimum herangezogen und darin zugleich das vom Gesetzgeber gewählte Ordnungsprinzip erkannt (BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357, 360, zu C II; BVerfGE 67, 290, BStBl II 1985, 22).
b) Der Senat hält diese Grundsätze auch im Streitfall für anwendbar, in dem es um die Abgeltung existentiell notwendiger Aufwendungen für den Lebensbedarf des Steuerpflichtigen geht.
aa) Danach aber sind die Grundfreibeträge in den Streitjahren 1986 bis 1988 nicht unangemessen niedrig, sondern realitätsgerecht im Sinne der angeführten Rechtsprechung des BVerfG bemessen.
Nachdem der Grundfreibetrag in den Veranlagungszeiträumen 1958 bis 1974 mit 1 680 DM unverändert zunächst die sozialhilferechtlichen Regelsätze bis zum Jahre 1969 bei weitem überstieg (vgl. die Übersichten bei Schulte/Trenk-Hinterberger, Sozialhilfe, 2.Aufl., 1986 S.159, und Stephan in Littmann/Bitz/Meincke, a.a.O., § 32a Anm.6) und erst danach einer Anpassung an die gestiegenen Lebenshaltungskosten bedurfte (vgl. Gutachten der Steuerreformkommission 1971, Schriftenreihe des Bundesministers der Finanzen ―BMF― Heft 17, Bonn, S.213), wurde er mit dem Einkommensteuerreformgesetz ―EStRG― 1974 vom 5.August 1974, BGBl I 1974, 1769, BStBl I 1974, 530) und den nachfolgenden Änderungsgesetzen ständig an die veränderten Lebenshaltungskosten angepaßt. Berücksichtigt man zusätzlich auch die Abrundungsdifferenz nach § 32 a Abs.2 EStG 1975 ff. und den Umstand, daß die Sozialhilferegelsätze ab 1983 erst zur Jahresmitte, teilweise auch erst zum 1.September erhöht wurden, so stimmt der Grundfreibetrag in den Veranlagungszeiträumen 1975 ff. mit den durchschnittlichen Jahresbeträgen der Regelsätze weitgehend überein.
Der erkennende Senat sieht darin ein vom Einkommensteuergesetzgeber gewähltes Ordnungsprinzip, dessen Verletzung nach der Rechtsprechung des BVerfG einen Gleichheitsverstoß indizieren kann (BVerfGE 66, 214, BStBl II 1984, 357, 360); dessen Beachtung andererseits nach Auffassung des Senats aber auch Indiz für die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung ist.
bb) Entgegen der Auffassung der Kläger entsprechen die in den Streitjahren 1986 bis 1988 geltenden Grundfreibeträge dieser vom Gesetz selbst statuierten Sachgesetzlichkeit. Dem für die Streitjahre 1986 und 1987 normierten Grundfreibetrag von 4 536 DM steht im Jahre 1986 als Jahresdurchschnittsbetrag ein Regelsatz von 4 668 DM und im Jahre 1987 ein Betrag von 4 782 DM gegenüber. Im Streitjahr 1988 entspricht dem Grundfreibetrag von 4 752 DM ein Regelsatz von durchschnittlich 4 892 DM. Die im Streitfall maßgebenden Regelsätze für Niedersachsen lagen ―worauf das FG zutreffend hingewiesen hat― in den Streitjahren sogar unter dem Bundesdurchschnitt.
c) Der Gesetzgeber konnte das sozialhilferechtlich gewährleistete, durch die Eckregelsätze bestimmte Existenzminimum als Vergleichsmaßstab heranziehen. Dieses Existenzminimum, das jeweils verbrauchsbezogen ermittelt wird (vgl. Schulte/Trenk- Hinterberger, a.a.O., S.153 ff.), soll eine menschenwürdige Lebensführung ermöglichen (§ 1 Abs.2 Satz 1 BSHG). Da es regelmäßig an die steigenden Lebenshaltungskosten angepaßt wird, eignet es sich auch in besonderer Weise zur Bemessung des einkommensteuerrechtlichen Existenzminimums (vgl. BVerfGE 66, 214, 222, BStBl II 1984, 357, 360 zu C II,1).
aa) Daß die sozialhilferechtlichen Regelsätze nach § 22 BSHG und der dazu ergangenen Durchführungsverordnung (sog. Regelsatzverordnung) vom 20.Juli 1962 (BGBl I 1962, 515) i.d.F. der VO vom 10.Mai 1971 (BGBl I 1971, 451) ―worauf die Kläger zutreffend hingewiesen haben― nicht alle Bedarfstatbestände des notwendigen Lebensunterhalts i.S. des § 12 BSHG erfassen, führt nicht zur verfassungsrechtlichen Beanstandung der Wahl dieser Regelsätze als Vergleichsmaßstab für den Grundfreibetrag. Denn dem Einkommensteuergesetzgeber steht für die Regelung des Grundfreibetrags ein weiter Gestaltungsspielraum zu, soweit er die selbst statuierte Sachgesetzlichkeit beachtet. Außerdem darf er sich ―wie stets bei der Ordnung von Massenerscheinungen― bei der Ausgestaltung seiner Normen generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen (vgl. Beschluß des BVerfG vom 31.Mai 1988 1 BvR 520/83, BVerfGE 78, 214, 226 f. m.w.N.).
bb) So ist es nach Auffassung des Senats im Rahmen der Typisierung des einkommensteuerrechtlichen Existenzminimums auch gerechtfertigt, den Regelsatz für den Haushaltsvorstand (sog. Eckregelsatz) als Vergleichsgröße heranzuziehen und diesen ―abweichend vom Sozialhilferecht zum Vorteil der Steuerpflichtigen― nicht dauernd getrennt lebenden, unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Eheleuten (§ 26 Abs.1 Satz 1 EStG) in zweifacher Höhe zu gewähren. Dieser Eckregelsatz umfaßt außer dem persönlichen Lebensbedarf auch die Generalunkosten des Haushalts (§2 Abs.2 DVO zu § 22 BSHG). Dazu zählen die nicht teilbaren Kosten der Energieversorgung für Haushaltsgeräte, kleinere kulturelle Bedürfnisse wie Tageszeitung, kleinere allgemeine Instandhaltungskosten und dergleichen (vgl. Ulrich-Arthur Birk, u.a., Bundessozialhilfegesetz, Lehr- und Praxiskommentar, 2.Aufl. 1989, § 22 Anm.17).
d) Zwar sind danach Aufwendungen für Kleidung, Hausrat und Heizung ebensowenig von den Regelsätzen erfaßt (Ulrich-Arthur Birk, a.a.O., § 22 Anm.19) wie laufende Leistungen für die Unterkunft, die in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen neben den Regelsätzen gewährt werden (§ 3 Abs.1 DVO zu § 22 BSHG). Dies konnte der Gesetzgeber in Ausübung seiner Typisierungs- und Pauschalierungsbefugnis bei Bemessung der Grundfreibeträge in den Streitjahren jedoch außer acht lassen. Denn einmal kann der Grundfreibetrag anders als etwa der Kinderfreibetrag nicht isoliert von den übrigen Regelungen des EStG betrachtet werden (Stephan in Littmann/Bitz/Meincke, a.a.O., § 32a Anm.10), zum anderen war der Gesetzgeber nicht verpflichtet, das steuerliche Existenzminimum auch auf Bedarfstatbestände auszudehnen, die je nach den Umständen des Einzelfalles sehr unterschiedlich sein können und für die bereits sozialrechtliche Entlastungen vorgesehen sind; in diesem Fall ist der Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nach der Rechtsprechung des BVerfG bei der Festsetzung der Sozialleistungen Rechnung zu tragen (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 23.November 1976 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108, 120, 125, BStBl II 1977, 135, 138, 139, und vom 8.Juni 1977 1 BvR 265/75, BVerfGE 45, 104, BStBl II 1977, 526; Urteil in BVerfGE 61, 319, BStBl II 1982, 717, 729).
aa) Da der Grundfreibetrag Teil des gesamten Einkommensteuertarifs ist, konnte der Gesetzgeber bei Schaffung des StSenkG 1986/1988 und des StSenkErwG 1988 schon deshalb einen Mindestbetrag für das Existenzminimum festlegen, weil er im Rahmen seiner steuerpolitischen Tarifüberlegungen auch eine Absenkung der Tarifprogression angestrebt und verwirklicht hat (BRDrucks 617/84 S.95 f., 104). Als Teil einer umfangreichen Tarifreform, die mit dem Steuerreformgesetz 1990 vom 25.Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) schließlich zu einer weiteren Anhebung des Grundfreibetrages auf 5 616 DM, der Einführung eines geradlinig-progressiven Tarifs und einer Absenkung des Spitzensteuersatzes von 56 auf 53 v.H. geführt hat, mußte die Frage der Bemessung der für die Streitjahre anzuwendenden Grundfreibeträge entscheidend auch von haushaltsmäßigen Überlegungen bestimmt sein. Zwar sind fiskalpolitische Erwägungen allein nicht geeignet, einen Verfassungsverstoß zu rechtfertigen (vgl. Entscheidung des BVerfG vom 14.November 1969 1 BvL 4/69, BVerfGE 27, 220, 228); nach Auffassung des erkennenden Senats rechtfertigen sie jedoch den Ansatz von Mindestbeträgen um so mehr, als gerade die Kläger in den Streitjahren in den Genuß der genannten weiteren Tarifentlastungen gekommen sind.
bb) In den Streitjahren war der Ansatz eines Mindestbetrages für das einkommensteuerrechtliche Existenzminimum aber auch deshalb gerechtfertigt, weil bereits bei Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage Abzugsbeträge vorgesehen sind, die als disponibles Einkommen eigentlich zur Steuerzahlung zur Verfügung stehen müßten (vgl. D.Birk, StuW 1989, 212, 215; Stephan in Littmann/Bitz/Meincke, a.a.O., § 32a Anm.10). Zu diesen, ebenfalls das Existenzminimum gewährleistenden Ermäßigungen gehören etwa die einkünftespezifischen Freibeträge nach § 13 Abs.3 EStG sowie der Weihnachts- und der Arbeitnehmerfreibetrag (§ 19 Abs.3 und 4 EStG), die ab 1990 in den Arbeitnehmer-Pauschbetrag gemäß § 9a Satz 1 Nr.1 EStG 1990 eingegangen sind, der Sparerfreibetrag (§ 20 Abs.4 EStG), die Sonderausgaben (§§ 10 bis 10c EStG) und die einen Sonderbedarf abdeckenden außergewöhnlichen Belastungen nach den §§ 33, 33a Abs.3, 33b und 33c EStG (vgl. auch Biergans/Wasmer, FR 1985, 57, 62 f.; Giloy, FR 1986, 56; Kirchhof in Kirchhof/Söhn, a.a.O., § 2 A 133).
cc) Im Rahmen der Typisierung des einkommensteuerrechtlichen Existenzminimums konnte der Gesetzgeber schließlich auch berücksichtigen, daß bestimmte Einkommensteile, wie etwa private Veräußerungsgewinne, und eine Vielzahl von Transferleistungen (§§ 3 bis 3b EStG) von der Einkommensteuer befreit sind. Andererseits sind bestimmte Bedarfstatbestände steuerlich gefördert. Dies gilt insbesondere für die unstreitig zum Existenzminimum zählenden unabweisbaren Kosten der Unterkunft. Entgegen der Auffassung der Kläger sind diese Kosten bei Bemessung des Grundfreibetrages nicht zwingend zu berücksichtigen. Soweit hierfür Förderungsleistungen erbracht werden, wie durch das Wohngeldgesetz (WoGG) i.d.F. vom 11.Juli 1985 (BGBl I 1985, 1421, ber. S.1661) oder das Wohnungsbau-Prämiengesetz (WoPG) i.d.F. vom 10.Februar 1982 (BGBl I 1982, 131), sind diese Einnahmen steuerbefreit (§ 3 Nr.58 EStG, § 6 WoPG); im übrigen hat der Gesetzgeber ―auch zur Abgeltung der Wohnungskosten― Steuerermäßigungen in §§ 7b, 10e EStG vorgesehen.
Die von den Klägern angestrebte Angleichung des steuerrechtlichen Existenzminimums an das Sozialrecht würde daher voraussetzen, daß die sozialrechtlichen Transferleistungen steuerrechtlich erfaßt werden (vgl. Lang, Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, Köln 1985, S.71 m.w.N.). Die Typisierung des Grundfreibetrags unter Ausschluß der Kosten für die Unterkunft rechtfertigt sich nicht zuletzt auch daraus, daß einerseits nicht jeder Steuerpflichtige solche Aufwendungen trägt, diese Aufwendungen andererseits aber in so unterschiedlicher Höhe anfallen, daß sie sich einer angemessenen Typisierung entziehen.
e) Scheidet danach eine Verletzung des Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch die Bemessung der Grundfreibeträge in den Streitjahren aus, so verstößt § 32a Abs.1 EStG auch nicht gegen andere Grundrechte, die im Schrifttum abweichend von der Rechtsprechung des BVerfG (vgl. zu 2.a) zur Ableitung des Leistungsfähigkeitsprinzips herangezogen werden.
3. Entgegen der Auffassung der Kläger befinden sich die für die Streitjahre geltenden Grundfreibeträge auch im übrigen im Einklang mit dem Verfassungsrecht.
a) Der erkennende Senat vermag den Klägern auch insoweit nicht zu folgen, als sie sich auf eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips durch die nach ihrer Meinung zu gering bemessenen Grundfreibeträge berufen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG beinhaltet Art.20 Abs.1 GG u.a. das Gebot sozialer Steuerpolitik, die auf die Belange der schwächeren Schichten der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen hat (vgl. Urteil des BVerfG vom 24.Januar 1962 1 BvR 845/58, BVerfGE 13, 331, 347; Beschluß des BVerfG vom 15.Dezember 1970 1 BvR 559, 571, 586/70, BVerfGE 29, 402, 412). Das BVerfG hat danach das Sozialstaatsprinzip entweder nur als weiteren Gesichtspunkt zur Prüfung des aus Art.3 Abs.1 GG zu entnehmenden Gebots der Steuergerechtigkeit herangezogen (vgl. BVerfGE 43, 108, 118 f., BStBl II 1977, 135, 137; BVerfGE 61, 319, 343, BStBl II 1982, 717, 725 C I 2.), oder damit die Minderbelastung der unteren Einkommensstufen und daher indirekt den progressiven Tarif gerechtfertigt (z.B. BVerfGE 29, 402, 412, und Beschlüsse des BVerfG vom 9.Februar 1972 1 BvL 16/69, BVerfGE 32, 333, 339, und vom 2.Oktober 1973 1 BvR 345/73, BVerfGE 36, 66, 72). Aus dieser Rechtsprechung des BVerfG, der der Senat folgt, läßt sich für den Streitfall nichts herleiten. Die Kläger sind gegenüber anderen Steuerpflichtigen mit höherem Einkommen durch Berücksichtigung des Grundfreibetrags in den Streitjahren nicht stärker belastet. Sie haben im Gegenteil in erheblichem Umfang an der Entlastung durch Absenkung der Tarifprogression nach dem StSenkG 1986/1988 und dem StSenkErwG 1988 teilgenommen (vgl. 2.d aa).
b) Im Streitfall ist aber auch eine Verletzung der Eigentumsgarantie des Art.14 GG durch die nach Meinung der Kläger zu niedrigen Grundfreibeträge bei einer Steuerbelastung von 23,5 v.H. im Jahre 1986, von 26,1 v.H. im Jahre 1987 und von 22,4 v.H. im Jahre 1988 offenkundig nicht gegeben.
4. Da die Regelung der Grundfreibeträge nach § 32a EStG in den für die Streitjahre geltenden Fassungen aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht zu beanstanden ist, kommt eine Vorlage an das BVerfG nach Art.100 GG im Streitfall nicht in Betracht.
Fundstellen
Haufe-Index 63318 |
BFH/NV 1990, 75 |
BFHE 161, 109 |
BFHE 1991, 109 |
BB 1990, 1818 |
BB 1990, 1818-1821 (LT) |
DB 1990, 2002 (T) |
DStR 1990, 767 (KT) |
HFR 1991, 26 (LT) |
StE 1990, 335 (K) |