Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallkosten auf einer Abholfahrt - Leerfahrt - in der Regel keine Werbungskosten
Leitsatz (amtlich)
Wird ein Arbeitnehmer von seiner Arbeitsstätte mit seinem PKW abgeholt, so sind die Kosten eines Unfalls auf der Abholfahrt (Leerfahrt) zur Arbeitsstätte in der Regel nicht als Werbungskosten abziehbar. Eine Abholfahrt (Leerfahrt) kann nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen als beruflich veranlaßt beurteilt werden.
Orientierungssatz
An der Begründung für die private Veranlassung der Abholfahrt im BFH-Urteil vom 17.10.1973 VI R 211/70 wird nicht mehr festgehalten.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4, § 19 Abs. 1, § 9 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist angestellter Fahrlehrer. Er wohnte im Streitjahr 1988 in X. Seine Arbeitsstelle war eine Zweigstelle der Fahrschule in Y. Die Hauptstelle der Fahrschule lag in Z.
Der Kläger machte in seiner Einkommensteuererklärung Unfallkosten wegen eines Totalschadens seines PKW als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. In der Einspruchsbegründung trug er vor, er habe an einem Samstag bei seinem Arbeitgeber in Z an einer Fahrschulkonferenz teilgenommen. Seine damalige Verlobte habe ihn dort am Abend abholen sollen; er habe sie gegen 21.00 Uhr angerufen und der Unfall habe sich auf ihrem Weg von der gemeinsamen Wohnung zu seinem Arbeitgeber ereignet.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte die Anerkennung von Werbungskosten mit der Begründung ab, daß der Schaden auf einer privat veranlaßten Leerfahrt eingetreten sei. Würden Arbeitnehmer von Dritten zur Arbeitsstelle gefahren und dort wieder abgeholt, seien nur die erste Hin- und die letzte Rückfahrt beruflich, die Leerfahrten hingegen privat veranlaßt.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und führte aus: Die vom FA vertretene Ansicht entspreche derjenigen, die der Bundesfinanzhof (BFH) ursprünglich in dem Urteil vom 17.Oktober 1973 VI R 211/70 (BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318) vertreten habe. Nach späteren Urteilen des BFH sei eine Leerfahrt jedoch dann beruflich veranlaßt, wenn sie ausschließlich auf der Zielvorstellung beruhe, dem Arbeitnehmer nach Beendigung der Arbeit die Rückkehr zur Wohnung zu ermöglichen (Urteile vom 11*Juli 1980 VI R 55/79, BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655; vom 3.August 1984 VI R 8/81, BFHE 141, 529, BStBl II 1984, 800). In dem Urteil vom 7.April 1989 VI R 176/85 (BFHE 157, 360, BStBl II 1989, 925) habe der BFH eine berufliche Veranlassung der Leerfahrten in einem Fall angenommen, in dem eine Ehefrau ihren Ehemann regelmäßig am Abend von seiner Arbeitsstätte abgeholt habe, weil zu dieser Zeit keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr verkehrten. Nach Ansicht des Senats könne es nicht darauf ankommen, aus welchem Grund der Arbeitnehmer nicht selbst mit dem PKW fahre, sondern sich zur Arbeitsstätte bringen oder wieder abholen lasse. Entscheidend sei allein, ob die konkrete Abholfahrt (nahezu) ausschließlich beruflich veranlaßt sei, also auf der Zielvorstellung beruhe, dem Arbeitnehmer die Rückfahrt zur Wohnung nach Beendigung der Arbeit mit dem PKW zu ermöglichen.
Die wegen einer Divergenz zu dem Urteil in BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318 vom FG zugelassene Revision begründet das FA mit dieser Divergenz.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Abweisung der Klage. Der Unfallschaden an dem PKW des Klägers führt nicht zu Werbungskosten (§ 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) bei dessen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs.1 EStG), weil die Abholfahrt, auf der sich der Unfall ereignet hat, entgegen der Auffassung des FG nicht beruflich veranlaßt war.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH können bei Fahrten mit dem PKW Unfallkosten neben der Kilometerpauschale des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abgezogen werden, wenn sich der Unfall auf der Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder zurück ereignet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14.Juli 1978 VI R 158/76, BFHE 125, 553, BStBl II 1978, 595). Die Vorinstanz hat ausgeführt, daß sich der Unfall im Streitfall auf einer Fahrt mit dem Ziel, den Kläger von seiner "Arbeitsstelle" abzuholen, ereignet hat.
2. Für den Fall, daß ein Unfallschaden nicht auf der Fahrt von der Wohnung zur Arbeitsstätte oder zurück, sondern auf einer damit korrespondierenden Leer- oder Abholfahrt des Ehepartners eintritt, hat der Senat mit Urteil in BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318 entschieden, daß die Abholfahrt nicht beruflich veranlaßt und mithin der Unfallschaden nicht als Werbungskosten abziehbar sei. Die Auffassung, die jeweilige Leerfahrt des Ehepartners von der Arbeitsstätte zur Wohnung bzw. zurück sei privat veranlaßt, war damit begründet worden, daß insoweit nichts anderes gelten könne als bei einem Unfall, der sich anläßlich einer Mittagsheimfahrt ereigne, für die Fahrtkosten grundsätzlich steuerlich nicht berücksichtigt werden könnten. Der Senat hält an dieser Begründung nach erneuter Überprüfung nicht mehr fest. Denn die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG und Mittagsheimfahrten sind steuerlich deshalb nicht miteinander vergleichbar, weil die morgendliche Fahrt zur Arbeitsstätte und die abendliche Rückfahrt beruflich veranlaßt sind. Die Kosten für diese Fahrten sind dem Grunde nach --wenn auch der Höhe nach mit den gesetzlichen Einschränkungen des § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG-- als Werbungskosten abziehbar. Eine berufliche Veranlassung ist demgegenüber bei einer Mittagsheimfahrt in der Regel nicht gegeben. Denn eine solche ist --anders als die erste Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und die letzte Fahrt zurück-- im allgemeinen privat veranlaßt, weil der Steuerpflichtige mit der mittäglichen Heimkehr in seine Wohnung in der Absicht, am selben Tage wieder an die Arbeitsstätte zurückzukehren, private Interessen, wie z.B. die Einnahme einer Mahlzeit, verfolgt.
3. Wenn auch die in dem Urteil in BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318 angeführte Begründung für die private Veranlassung der Abholfahrt nicht aufrechterhalten werden kann, ist gleichwohl davon auszugehen, daß die Gründe, aus denen sich ein Arbeitnehmer bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (§ 9 Abs.1 Satz 3 Nr.4 EStG) mit dem PKW abholen oder hinbringen läßt, in aller Regel der Privatsphäre zuzurechnen sind. Die Entscheidung, nicht mit dem eigenen PKW zur Arbeitsstätte zu fahren oder ihn jedenfalls nicht dort zu belassen, ist im allgemeinen auf Erwägungen zurückzuführen, die mit der persönlichen Lebensführung zusammenhängen. Soweit der Senat im Anschluß an das Urteil in BFHE 111, 299, BStBl II 1974, 318 Abholfahrten oder Leerfahrten als beruflich veranlaßt angesehen hat, betraf dies außergewöhnlich gelagerte Sachverhalte, deren Besonderheiten es ausnahmsweise gerechtfertigt haben, die Abhol- oder Leerfahrten der beruflichen Sphäre zuzuordnen. Diesen Entscheidungen hat jedoch nicht der Gedanke zugrunde gelegen, daß eine Abholfahrt bereits immer dann beruflich veranlaßt ist, wenn ihr alleiniger Zweck darin besteht, den Arbeitnehmer von seiner Arbeitsstätte in die Wohnung zurück zu bringen. Vielmehr handelte es sich in den Fällen in BFHE 131, 67, BStBl II 1980, 655 und BFHE 141, 529, BStBl II 1984, 800 um eheliche Fahrgemeinschaften mit der zusätzlichen Besonderheit, daß die Arbeitsstätten der Ehegatten nahe beieinander lagen und sich der Unfall auf dem Weg von der Arbeitsstätte des einen Ehegatten zu derjenigen des anderen ereignet hatte bzw. daß beide Ehegatten für denselben Arbeitgeber tätig waren und ein außergewöhnliches Ereignis --Überstunden des Ehemannes-- zu der Abholfahrt geführt hatte. Der Sachverhalt des Urteils vom 26.Juni 1987 VI R 124/83 (BFHE 150, 428, BStBl II 1987, 818) war dadurch gekennzeichnet, daß der Arbeitnehmer im Rahmen einer wöchentlichen Familienheimfahrt zum Bahnhof gebracht wurde und der Unfall dann auf der Rückfahrt vom Bahnhof (Leerfahrt) geschah. Bei einer derartigen Fallgestaltung konnte die Leerfahrt ausnahmsweise noch als beruflich veranlaßt angesehen werden.
4. Die Vorentscheidung hat den angeführten Senatsurteilen eine andere, vom Senat nicht beabsichtigte Bedeutung beigemessen und ist deshalb aufzuheben. Die Sache ist spruchreif (§ 126 Abs.3 Nr.1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der vom FG festgestellte Sachverhalt des Streitfalles ist nicht mit denjenigen Tatbeständen vergleichbar, in denen der Senat ausnahmsweise eine berufliche Veranlassung für eine Abhol- oder Leerfahrt im Rahmen der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anerkannt hat. Der Umstand, daß der PKW des Klägers seiner Verlobten den gesamten Tag über zur freien Verfügung gestanden hat, spricht vielmehr dafür, die Abholfahrt der privaten Sphäre des Klägers zuzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 64626 |
BFH/NV 1993, 38 |
BStBl II 1993, 518 |
BFHE 170, 394 |
BFHE 1993, 394 |
BB 1993, 1142 (L) |
DB 1993, 1335-1336 (LT) |
DStR 1993, 943 (KT) |
DStZ 1993, 441 (KT) |
HFR 1993, 441 (LT) |
StE 1993, 302 (K) |