Leitsatz (amtlich)
Die für das Nordwest Lotto und Toto Hamburg auf Grund von Geschäftsbesorgungsverträgen tätigen Bezirksstellenleiter sind nicht unselbständig im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG, sondern Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG.
Normenkette
UStG § 2 Abs. 1, 2 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Stpfl.) hatte Ende 1955 für das Nordwest Lotto und Toto Hamburg (NW-Lotto) die Aufgaben eines Bezirksstellenleiters übernommen, für die im Jahr 1959 der Vertrag vom April 1958 maßgebend war. Nach dem Wortlaut dieser Vereinbarung war der Stpfl. selbständiger Gewerbetreibender und stand nicht im Angestelltenverhältnis zum NW-Lotto. Die aus dieser Tätigkeit im Jahr 1959 erzielten Provisionen betrachtete er nach dem Urteil des BFH IV 49/58 U vom 15. Juni 1960 (BFH 71, 270, BStBl III 1960, 349) im Gegensatz zu seinen früheren Erklärungen als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) zog den Stpfl. jedoch mit den gesamten Einnahmen einschließlich der Provisionen aus der Tätigkeit als Bezirksstellenleiter zur Umsatzsteuer heran.
Der Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Die Berufung hatte Erfolg.
Das FG kam in seinem in EFG 1963, 437 veröffentlichten Urteil auf Grund einer Prüfung der Tätigkeit des Stpfl. nach Ort, Zeit und Art an Hand des Geschäftsbesorgungsvertrags vom April 1958, der Allgemeinen Geschäftsanweisung für die Bezirksstellen (AGBSt) und unter Bezugnahme auf die Beweiserhebung zu dem Ergebnis, der Stpfl. sei unselbständig gewesen.
Mit der Revision, mit der die Aufhebung der Vorentscheidung beantragt wird, rügt das FA unrichtige Rechtsanwendung.
Demgegenüber beantragt der Stpfl., die Revision als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise, die Sache zur weiteren Aufklärung und erneuten Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Die Präambel des Vertrags vom April 1958, nach der er selbständiger Gewerbetreibender und nicht Angestellter des NW-Lotto sei, habe schon deshalb steuerrechtlich keine Bedeutung, weil er kein ins Gewicht fallendes Unternehmerrisiko trage. Im übrigen verweise er auf das 16. UStÄndG vom 26. März 1965 (BGBl I 1965, 156, BStBl I 1965, 107), das eine andere Rechtslage geschaffen habe. Das Urteil I 200/59 S vom 3. Oktober 1961 (BFH 73, 827, BStBl III 1961, 567), dem ein anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe und das nur auf Fälle gemischter Tätigkeit anwendbar sei, sei insofern aufgehoben" worden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Auf die Revision des FA ist die Vorentscheidung aufzuheben.
Das FG hat zutreffend ausgeführt, daß es für die Frage, ob jemand selbständig oder unselbständig ist, insbesondere auf das Innenverhältnis ankomme und daß das Auftreten nach außen nur als weiteres Anzeichen gewertet werden könne. Es hat jedoch aus diesen rechtlich einwandfreien Darlegungen keine Schlüsse gezogen, sondern seine Entscheidung ganz überwiegend auf die Tätigkeit des Stpfl. abgestellt, und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß alle anderen Umstände, wie das Innenverhältnis, die Art der Vergütung, Unterhaltung eines eigenen Büros und Einsatz eigener Arbeitskräfte steuerrechtlich ohne wesentliche Bedeutung seien.
Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteile I 200/59 S vom 3. Oktober 1961, a. a. O., und V 133/59 U vom 12. April 1962, BFH 74, 699, BStBl III 1962, 259) sind für eine Unterordnung unter den geschäftlichen Willen eines Unternehmers oder aber für die Selbständigkeit nicht einzelne Tätigkeitsmerkmale entscheidend, sondern wesentlich ist das Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, zu dem auch die berufliche Stellung gegenüber dem Auftraggeber gehört. Das FG hat das insoweit rechtserhebliche Innenverhältnis zwischen dem Stpfl, und dem NW-Lotto nicht hinreichend gewürdigt und dem als echte "Unternehmerchance" bezeichneten Unternehmerwagnis nicht die ihm nach der Rechtsprechung zukommende Bedeutung beigemessen. Die Vorentscheidung ist daher wegen Rechtsirrtums aufzuheben.
Die Sache ist spruchreif. Der Senat kann auf Grund des von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalts und anhand der Akten und Beiakten, die Gegenstand des Verfahrens vor dem FG waren, entscheiden.
Durch den Geschäftsbesorgungsvertrag vom April 1958 übernahm der Stpfl. die Aufgaben eines Bezirksstellenleiters gegen Provisionsvergütung. Zwischen den Vertragschließenden wurde einleitend vereinbart, daß er selbständiger Gewerbetreibender sei und ein Angestelltenverhältnis nicht begründet werde. Der Wortlaut dieser Vereinbarung weist darauf hin, daß der Stpfl. nach dem Willen der Vertragschließenden nicht in ein Arbeitnehmerverhältnis zum NW-Lotto treten sollte. Der Rechtsberater des NW-Lotto hat bei seiner Vernehmung vor dem FG ausdrücklich bestätigt, beim NW-Lotto habe wegen der damit verbundenen Folgen, wie Kündigungsschutz, Urlaub, Sozialversicherung und Beteiligung nach dem Betriebsverfassungsgesetz, nicht die Absicht bestanden, ein Arbeitsverhältnis mit den Bezirksstellenleitern zu begründen.
Das NW-Lotto verlangte daher von dem Stpfl. nicht die Vorlage einer Lohnsteuerkarte und behielt auch, wie das FA unwidersprochen vorgetragen hat, von den Provisionen keine Lohnabzugsbeträge ein. Es stellte dem Stpfl. keine Arbeitsmittel und keinen Arbeitsplatz zur Verfügung. Neben anderen Umständen hat das NW-Lotto damit bereits die tatsächlichen Verhältnisse von seiner Seite aus so gestaltet, wie dies der Vertrag vom April 1958 vorsieht.
Der Stpfl. hat entsprechend seiner vertraglich vereinbarten Stellung als Gewerbetreibender die Umsätze aus Leistungen als Bezirksstellenleiter zusammen mit den weiteren Umsätzen erklärt, und zwar von 1957 ab unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des FG Düsseldorf und sodann auf das Urteil des BFH IV 49/58 U vom 15. Juni 1960 (a. a. O.) unter Vorbehalt. Seinen Gewinn ermittelte er unter Einbeziehung der Bezüge als Bezirksstellenleiter durch Vermögensvergleich nach § 5 EStG.
Danach sind sowohl der Stpfl. - dieser bis zur Veröffentlichung der genannten Urteile - als auch das NW-Lotto davon ausgegangen, ein Angestelltenverhältnis liege nicht vor.
Es sprechen aber noch weitere Bestimmungen im Vertrag vom April 1958 und in der als Bestandteil dieses Vertrages geltenden AGBSt, die nicht nur formal vereinbart, sondern tatsächlich erfüllt wurden, für die Selbständigkeit des Stpfl.
Voraussetzung für die Beauftragung eines Bezirksstellenleiters, also auch des Stpfl., ist nach § 4 Abs. 2 Satz 1 AGBSt, daß er über das für den Betrieb einer Bezirksstelle erforderliche Kapital verfügt. Er muß ein eigenes Büro unterhalten, dieses mit dem zur ordnungsmäßigen Abwicklung der Geschäfte erforderlichen Inventar ausstatten, eigene Arbeitskräfte zur Durchführung der übernommenen Aufgaben beschäftigen, für eine Urlaubsvertretung auf eigene Kosten sorgen, angeforderte Materialien von der Landesgeschäftsstelle oder den Lieferanten auf eigene Kosten abholen und an die Annahmestellen weiterleiten (§ 2 Abs. 3 AGBSt) und ferner die Kontroll- und Auswertungsabschnitte auf eigene Kosten von den Annahmestellen abholen und nach Bearbeitung der Landesgeschäftsstelle zuleiten (§ 2 Abs. 4 AGBSt). Eine Erstattung der entstehenden Unkosten erfolgt nicht, da die gesamte Tätigkeit durch die Provision abgegolten ist (§ 3 Abs. 1 AGBSt).
Diese Bedingungen hat der Stpfl. nach seiner Einlassung erfüllt. Er unterhielt nicht nur ein entsprechend eingerichtetes Büro, sondern auch einen Kraftwagen, beschäftigte ständig einen Fahrer und zum Paginieren der Wettscheine und zur Kontrolle der Abrechnungen von etwa 70 Annahmestellen weitere - je nach Bedarf - 10 bis 20 Hilfskräfte.
Der Stpfl. ist demnach auf Grund der tatsächlichen Durchführung des Vertrags in Übereinstimmung mit dem NW-Lotto nicht als dessen Arbeitnehmer, sondern als selbständiger Unternehmer zu betrachten, und zwar ohne daß diese Stellung des Stpfl. auf den Willen nur einer Vertragspartei zurückgeht, wie das FG meint.
Für die Selbständigkeit des Stpfl., die dieser und auch der Auftraggeber gewollt haben, spricht schließlich der § 5 Abs. 3 AGBSt, nach dem im Falle des Todes eines Bezirksstellenleiters von der Landesgeschäftsstelle unverzüglich ein Verwalter eingesetzt wird, der die Bezirksstelle noch drei Monate "für Rechnung der Erben" weiterführt. Eine derartige Regelung ist bei Annahme eines Angestelltenverhältnisses undenkbar. Das Dienstverhältnis endet mit dem Tode des Arbeitnehmers.
Das Innenverhältnis zwischen dem Stpfl. und dem NW-Lotto auf der Grundlage des Vertrags vom April 1958, das maßgebend ist für die Frage, ob eine Arbeitnehmeroder Unternehmertätigkeit vorliegt, läßt erkennen, daß eine selbständige berufliche Tätigkeit des Stpfl. von beiden Vertragschließenden gewollt war. Die von ihnen im Geschäftsbesorgungsvertrag mit Anlage zum Ausdruck gebrachte Beurteilung ihres Vertragsverhältnisses ist auch steuerrechtlich bedeutungsvoll und spricht für eine Selbständigkeit des Stpfl. im Sinne des UStG. Dem entspricht auch, daß der Stpfl. ohne festes Gehalt und ohne Anspruch auf Erstattung seiner beruflich bedingten Unkosten und Auslagen für seine gesamte Tätigkeit und für den Einsatz seines Betriebes durch Provisionen entlohnt worden ist.
Hinzu kommt die Regelung, nach der dem Stpfl. nicht - wie sonst jedem Arbeitnehmer - ein bezahlter Urlaub zustand. Er konnte außerdem seinen Urlaub nach Zeit und Dauer selbst bestimmen, ohne tatsächlich an Weisungen oder die Zustimmung des NW-Lotto gebunden zu sein.
Schließlich trat er nach außen auf durch Verwendung von Briefbogen und -umschlägen, die seinen Namen und einen Hinweis auf seine Stellung als Bezirksstellenleiter tragen. Dies ist bei einem Arbeitnehmer im allgemeinen nicht üblich.
Im Gegensatz zur Ansicht des FG, das eine "echte Unternehmerchance", die es verneinte, möglicherweise einem Unternehmerwagnis gleichgestellt hat, ist ein solches bei dem Stpfl. gegeben. Bereits die Ungewißheit über die Höhe der Einnahmen in einem bestimmten Zeitraum, die es bei einem Angestellten im Regelfall nicht gibt, dem die vereinbarte Vergütung sogar unabhängig vom Arbeitsanfall gezahlt wird, ist ein wichtiges Anzeichen dafür. Es ist auch zu berücksichtigen, daß der Stpfl. im Rahmen seiner Aufgaben selbst über die Höhe der Unkosten durch die Auswahl besonders geeigneter, arbeitsamer und zuverlässiger Hilfskräfte sowie durch eigene intensive Arbeit entscheiden und damit die Höhe der ihm verbleibenden Beträge beeinflussen konnte. Im übrigen sind Kosten für Büromiete, Geschäftsinventar und für Gehälter, die an ständige und nicht ständige eigene Arbeitnehmer gezahlt werden, typische Betriebsausgaben eines Unternehmers, der auf eigene Rechnung einen eigenen Betrieb führt.
Den vom FG aus dem Vertrag vom April 1958 und der AGBSt gezogenen Schlüssen, der Stpfl. sei dem Betrieb des NW-Lotto nach Art, Zeit und Ort seiner Tätigkeit eingegliedert, kann der Senat nicht folgen.
Die Eingliederung, die ein Tätigwerden des Auftraggebers voraussetzt, muß dem Innenverhältnis zu entnehmen sein. Für dieses sind die Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien ausschlaggebend. Das Innenverhältnis und damit eine Eingliederung kann nicht aus einer Weisungsbefugnis und einer Weisungsgebundenheit gefolgert werden. Diese muß sich vielmehr aus der Eingliederung ergeben, also deren Folge sein (Plückebaum-Malitzky, Kommentar zum Umsatzsteuergesetz, 9. Aufl. Tz. 236 a). So liegt es hier nicht, weil das Innenverhältnis und dessen tatsächliche Gestaltung eine von den Vertragschließenden gewollte Eingliederung nicht erkennen lassen.
Soweit der Art der entfalteten Tätigkeit überhaupt eine Bedeutung beizumessen ist (vgl. Urteil des BFH I 200/59 S vom 3. Oktober 1961, a. a. O.), ergibt sich aus dem vom FG festgestellten Sachverhalt und den Akten nicht, daß dem Stpfl. irgendwelche Einzelanweisungen neben der AGBSt und den sonstigen allgemeinen, für die gesamte Vertriebsorganisation des NW-Lotto geltenden Verfügungen, Anordnungen usw. erteilt worden sind. Solche allgemeinen, die Geschäftsführung, die Sicherung der eingegangenen Beträge und den Zeitplan betreffenden Anweisungen sind durch den Umfang und die besondere Art des Geschäftsbetriebs des NW-Lotto bedingt. Daraus ergibt sich zwangsläufig - der Natur des Betriebs entsprechend - eine gewisse Gebundenheit nach Art und Zeit für die Erledigung der Aufgaben des Bezirksstellenleiters, weil die Durchführung des sich wöchentlich wiederholenden Wettbetriebs, der jeweils mit dem Beginn von Fußballspielen oder der Ziehung der Lottozahlen abgeschlossen wird, zeitlich und der Form nach bedingt ist. Es handelt sich dabei aber nicht um eine organisatorische Eingliederung.
Im übrigen ist ein Bezirksstellenleiter nicht verpflichtet, die vertraglich übernommenen Aufgaben persönlich zu erledigen. Es wird im Gegenteil von dem NW-Lotto als Auftraggeber sogar vorausgesetzt, daß er Arbeitnehmer beschäftigt, die umfangreiche Arbeiten für ihn durchführen.
Der Stpfl. war also nicht wie ein Angestellter verpflichtet, die ihm übertragenen Arbeiten innerhalb vorgeschriebener Dienstzeiten persönlich zu verrichten. Eine Eingliederung des Stpfl. in den Organismus des NW-Lotto liegt demnach nicht vor.
Soweit der Stpfl. vortragen läßt, durch das 16. UStÄndG sei das Urteil I 200/59 S vom 3. Oktober 1961 (a. a. O.) aufgehoben worden, soweit eine verwaltende Tätigkeit in Betracht kommt, kann ihm der Senat nicht folgen. Nach § 4 Ziff. 17 UStG n. F. sind die Umsätze aus der verwaltenden Tätigkeit von Versicherungsvertretern steuerfrei. Die Neufassung läßt sogar den zutreffenden Schluß zu, daß Umsätze aus anderen verwaltenden Tätigkeiten steuerbar und steuerpflichtig sind. Das genannte Urteil des I. Senats befaßt sich mit ausführlicher Begründung, allerdings auf Grund des Steuerstreits eines Versicherungsvertreters, ganz allgemein mit Merkmalen, die steuerrechtlich für oder gegen eine Selbständigkeit sprechen. Dabei wird nicht unterschieden, ob es sich um eine gemischte oder eine rein verwaltende Tätigkeit handelt.
Der Stpfl. kann schließlich seine Umsatzsteuerpflicht durch die Bezugnahme auf das Urteil IV 49/58 U vom 15. Juni 1960 (a. a. O.) nicht mit Erfolg verneinen, weil er meint, diese Entscheidung sei auch der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung zugrunde zu legen.
Der IV. Senat ging - entsprechend der damaligen Rechtsprechung - von dem Gesamtbild der Tätigkeit - Verwaltungsarbeit - und nicht von dem Gesamtbild der beruflichen Stellung des Rechtsmittelführers aus und legte dem Unternehmerwagnis keine besondere Bedeutung bei.
Die Ausführungen in dem die Gewerbesteuerpflicht eines Bezirksstellenleiters betreffenden Urteil IV 49/58 U vom 15. Juni 1960 (a. a. O.) sind demnach nicht für die Umsatzsteuer zu übernehmen.
Der Stpfl. ist in den Betrieb des NW-Lotto organisatorisch nicht eingegliedert im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG, sondern Unternehmer nach § 2 Abs. 1 UStG. Folglich unterliegen seine sonstigen Leistungen, die er dem NW-Lotto erbringt, der Umsatzsteuer.
Unter Aufhebung der Vorentscheidung war daher die Klage (Berufung) gegen die Einspruchsentscheidung als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 412761 |
BStBl II 1968, 193 |
BFHE 1968, 193 |