Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung von Rentenzahlungen im Rahmen des § 33a Abs. 1 S. 3 EStG; Änderung der ursprünglichen Veranlagung wegen neuer Tatsachen
Leitsatz (NV)
1. Die Anrechnung von Rentenzahlungen als Einkünfte bzw. Bezüge des Steuerpflichtigen i.S. des § 33a Abs. 1 S. 3 EStG ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Sozialamt einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X gegen den Rentenversicherungsträger geltend gemacht hat.
2. Zu der Frage, wann eine Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 nachträglich bekannt wird, wenn sowohl eine Verletzung der Ermittlungspflicht durch das FA als auch ein Verstoß des Steuerpflichtigen gegen seine Mitwirkungspflicht vorliegt.
3. Einmal bekanntgewordene Tatsachen werden durch einen Zuständigkeitswechsel der Finanzbehörde oder des Bearbeiters jedenfalls dann nicht wieder unbekannt, wenn der zunächst zuständige Beamte einen entsprechenden Aktenvermerk gemacht hat oder hätte machen müssen (Anschluß an Urteil in BFH/NV 1988, 602).
Normenkette
EStG § 33a Abs. 1; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 1; SGB X § 104
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) wurden für das Streitjahr 1986 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Mutter der Klägerin lebt im Städtischen Altenheim in D. In ihrer Einkommensteuererklärung für 1986 machten die Kläger u.a. Aufwendungen in Höhe von 2300 DM für die Unterstützung der Mutter der Klägerin gemäß § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Der Erklärung beigefügt war eine Bescheinigung der Mutter, worin diese den Empfang der Unterstützungsleistungen bestätigte und angab, keine Einkünfte und kein Vermögen zu haben. Die Kläger gaben auch in der Einkommensteuererklärung keine eigenen Einkünfte oder Bezüge der Mutter an. Tatsächlich steht der Mutter der Klägerin nach einem Bescheid des Sozialamts der Stadt D über die Gewährung von Sozialhilfe und Festsetzung der Eigenleistung vom 18. Juni 1985 neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 185,50 DM eine Witwenrente in Höhe von monatlich 1626,87 DM zu.
Diese Renten sind jedoch im Gegenzug zur Heimunterbringung unmittelbar an die Stadt D als Träger der Sozialhilfe zu überweisen (§ 104 des Sozialgesetzbuches - SGB - X.Buch). Außerdem ergibt sich aus dem vorerwähnten Bescheid des Sozialamts, daß die Mutter vom Sozialamt ein Taschengeld in Höhe von monatlich 170,55 DM erhält.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 1986 die von den Klägern geltend gemachten Unterhaltsleistungen. Später erließ es jedoch einen nach § 173 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheid 1986, in dem es die Unterhaltszahlungen nunmehr außer acht ließ. In den Erläuterungen zum Bescheid heißt es, daß die Änderung aufgrund einer nachträglich bekannt gewordenen neuen Tatsache erfolge und daß gemäß § 33a EStG Aufwendungen für den Unterhalt hilfsbedürftiger Personen um die eigenen Einkünfte der unterhaltenen Person zu kürzen seien.
Mit der hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage, die zusätzlich auch den erstmaligen Einkommensteuerbescheid 1987 betraf, trugen die Kläger vor, daß die Mutter der Klägerin infolge der Überleitung der Rentenansprüche an die Stadt D nicht mehr Inhaberin der Forderung sei, so daß eine Anrechnung der Rentenansprüche im Rahmen des § 33a Abs. 1 EStG ausscheide. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen für eine Änderung des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides 1986 nicht gegeben gewesen. Dem FA sei bereits seit der Veranlagung zur Einkommensteuer 1985 bekannt gewesen, daß die im Altenheim lebende Mutter der Klägerin Rente bzw. Sozialhilfe der Stadt D erhalte. Denn der Kläger habe im Frühjahr 1986 persönlich die Einkommensteuererklärung 1985 beim Sachbearbeiter im damals zuständigen FA X abgegeben. In dieser Steuererklärung seien Taschengeldzahlungen an die Mutter der Klägerin von monatlich 117 DM angegeben worden. Der Sachbearbeiter habe nach Einsichtnahme in die Erklärung sich nach Einkünften der Mutter der Klägerin erkundigt. Der Kläger habe ihm daraufhin den Bescheid des Sozialamts vom 18. Juni 1985 vorgelegt, den der Sachbearbeiter nach Durchsicht wieder zurückgegeben habe. Auch die Einkommensteuererklärung für 1986 sei vom Kläger persönlich beim Sachbearbeiter abgegeben worden. Dieser habe die Einkommensteuererklärung 1985 nebst Anlagen beigezogen und gefragt, ob sich bezüglich der Mutter der Klägerin etwas geändert habe; dies sei vom Kläger verneint worden.
Das FA machte demgegenüber geltend, es habe erstmals anläßlich des Antrags der Kläger auf Lohnsteuerermäßigung für 1988 im November 1987 Kenntnis davon erhalten, daß die Mutter eigene Einkünfte und Bezüge gehabt habe. Auf Anforderung sei der Rentenbescheid von den Klägern vorgelegt worden, der dann der Grund für die Änderung des Einkommensteuerbescheides 1986 gewesen sei. Aus einem Aktenvermerk des Sachbearbeiters des für die Einkommensteuerveranlagung 1985 zuständigen FA X gehe hervor, daß der Kläger erklärt habe, die unterstützte Person verfüge über keine eigenen Einkünfte. Es sei deshalb nicht glaubhaft, daß dem damals zuständigen Sachbearbeiter auch der Bescheid des Sozialamts vorgelegt worden sei.
Die Klage hatte hinsichtlich des Streitjahres 1986 Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte im wesentlichen aus:
Dem Sinn und Zweck der Regelung des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG würde die Nichtanrechnung der Renten der Mutter widersprechen. Denn in Anbetracht der Höhe der Renten sei diese nicht bedürftig. Die bloße bei Inanspruchnahme von Sozialleistungen erforderliche Überleitung der Rentenzahlungen an den Träger der Sozialhilfe schließe die Berücksichtigung der Renten nicht aus. Für das Streitjahr habe dieser Umstand jedoch nicht berücksichtigt werden können, weil das FA nicht zum Erlaß eines geänderten Einkommensteuerbescheides berechtigt gewesen sei. Denn schon nach dem eigenen Vortrag des FA lägen die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 173 Abs. 1 AO 1977 nicht vor. Selbst wenn das FA erst im November 1987 von den Renteneinkünften der Mutter Kenntnis erhalten haben sollte, handele es sich nicht um eine neue Tatsache. Denn dann seien ihm die Einkünfte der Mutter vorher aufgrund einer schwerwiegenden Verletzung seiner Ermittlungspflicht unbekannt geblieben. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Kläger habe der Sachbearbeiter des FA anläßlich der Abgabe der Einkommensteuererklärung 1986 die Steuererklärung 1985 nebst Anlagen beigezogen. Hieraus sei ersichtlich gewesen, daß die Mutter seit 1975 verwitwet sei, in einem Altenheim wohne und in der Zeit von Juni bis Dezember 1985 von den Klägern Unterstützungszahlungen in Höhe von 1900 DM erhalten habe. Darüber hinaus sei vermerkt gewesen, daß die Mutter monatlich 170 DM Taschengeld erhalte und daß - wie der Eintragung des damals zuständigen Sachbearbeiters zu entnehmen sei - keine weiteren Personen zu ihrer Unterstützung beigetragen hätten. Diese Angaben in der Einkommensteuererklärung 1985 i.V.m. dem Umstand, daß das in Zeile 97 für Renten vorgesehene Kästchen keine Eintragung enthalten habe, hätten Anlaß zu näherer Aufklärung sein müssen. Zum einen sei es nämlich ungewöhnlich, wenn eine Witwe im Alter der Mutter der Klägerin keine Witwenrente erhalten hätte. Zum anderen sei bekannt, daß die Unterbringung in einem Altenheim teuer sei. Damit hätten sich die Fragen aufgedrängt, wovon die Mutter gelebt und wovon die Kosten für das Altenheim bezahlt worden seien, da die Unterstützungsleistungen in Höhe von 1900 DM ab Juni 1985 hierfür erkennbar nicht ausgereicht hätten. Bei dieser Sachlage habe nur ein Träger aus dem Sozialhilfebereich für die Kosten des Altenheims aufkommen können. Hierfür habe auch die Angabe des monatlichen Taschengeldes in der Einkommensteuererklärung gesprochen. Übernähmen aber Träger der Sozialhilfe Kosten für eine Heimunterbringung, stelle sich damit gleichzeitig die Frage einer Abtretung bzw. Überleitung evtl. Ansprüche auf Renten oder andere Geldleistungen des Sozialhilfeempfängers.
Aus diesen Gründen hätte für den Sachbearbeiter nach Lage der Akten bei der Einkommensteuerveranlagung 1986 die dringende Veranlassung bestanden, noch einmal gezielt der Frage nachzugehen, ob die Mutter der Klägerin trotz der Angabe in ihrem Bestätigungsschreiben, daß sie kein eigenes Einkommen und Vermögen habe, über eigene anrechenbare Einkünfte oder Bezüge verfüge. Er habe sich nicht mit der Antwort des Klägers, daß sich hinsichtlich der Einkünfte der Mutter gegenüber dem Vorjahr nichts geändert habe, begnügen dürfen.
Es handele sich auch um einen schwerwiegenden Verstoß des FA gegen seine Ermittlungspflicht, dem nicht entgegengehalten werden könne, die Kläger hätten selbst ihrer Mitwirkungspflicht nicht genügt. Vielmehr hätten diese ihrer Pflicht durch Abgabe von - aus ihrer Sicht richtigen und vollständigen - Erklärungen genügt, da sie die Taschengeldzahlungen der Mutter als deren Einkünfte und Bezüge deklariert hätten. Man habe nicht verlangen können, daß die Kläger die Frage der Anrechenbarkeit der Rentenansprüche im Hinblick auf deren Überleitung an den Sozialhilfeträger von sich aus anschnitten. Nicht nachvollziehbar sei der Vortrag des FA, aus einem Aktenvermerk des für die Einkommensteuerveranlagung 1985 zuständigen Sachbearbeiters ergebe sich, der Kläger habe erklärt, daß die unterstützte Person über keine eigenen Einkünfte verfüge. Der in Zeile 100 der Erklärung angebrachte Vermerk keine laut Steuerpfl. beziehe sich vielmehr eindeutig auf die Frage, ob noch weitere Personen die Mutter der Klägerin unterstützt haben. Der Verstoß des FA gegen seine Ermittlungs- und Aufklärungspflicht sei im übrigen so schwerwiegend, daß selbst eine Verletzung der Mitwirkungspflicht der Kläger, wenn diese - wie das FA meine - gegeben sein sollte, unberücksichtigt bleiben müßte.
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von § 88 und § 173 Abs. 1 AO 1977. Es trägt vor, eine schwerwiegende Verletzung der Ermittlungspflicht liege in keinem Fall vor. Denn die Kläger hätten keine Angaben zu Renten der unterstützten Person gemacht, obwohl hiernach im Erklärungsvordruck ausdrücklich gefragt werde. Außerdem hätten sie eine Erklärung vorgelegt, in der die unterstützte Person bestätigt habe, einkommens- und vermögenslos zu sein. Aufgrund dieser Angaben hätten sich für den Sachbearbeiter keine offenkundigen Zweifelsfragen mehr ergeben. Entgegen der Auffassung des FG könne aus dem Umstand, daß eine Witwe in einem Altenheim untergebracht sei und Taschengeld erhalte, nicht notwendigerweise auf einen Rentenbezug geschlossen werden. Denn eine Heimunterbringung werde häufig durch den Träger der Sozialhilfe bezahlt, unabhängig davon, ob die untergebrachte Person eine Rente beziehe, die übergeleitet werden könne.
In jedem Fall aber hätten die Kläger durch die unzutreffenden Angaben selbst einen schwerwiegenden Pflichtverstoß begangen. Liege aber sowohl eine Pflichtverletzung des Steuerpflichtigen als auch eine solche der Finanzbehörde vor, sei die Anwendung des § 173 Abs. 1 AO 1977 nur dann ausgeschlossen, wenn die Pflichtverletzung der Finanzbehörde die des Steuerpflichtigen deutlich überwiege. Im Streitfall aber sei ein evtl. Pflichtverstoß des FA in jedem Falle geringer zu bewerten als die Pflichtverletzung der Kläger.
Die Kläger meinen, das FG habe zu Recht die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 AO 1977 verneint. Ferner bemängeln sie, daß der geänderte Einkommensteuerbescheid 1986 formal nicht in Ordnung sei; denn die Tatsachen, auf die die Änderung gestützt worden sei, hätten in dem Steuerbescheid mitgeteilt werden müssen. Tatsächlich sei dort jedoch nur der gesetzliche Tatbestand des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 wiedergegeben worden. Im übrigen habe das FA mit der Revision nicht die Verletzung von Bundesrecht gerügt, sondern die Tatsachenfeststellung durch das FG beanstandet. Dies sei mit der Revision nicht möglich.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt hinsichtlich des Streitjahres 1986 zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
I. Die Kläger können mit ihren formalen Rügen keinen Erfolg haben. Ob der geänderte Einkommensteuerbescheid 1986 für sich allein ausreichend begründet worden ist (§ 121 AO 1977), kann für die Entscheidung dahinstehen, da sich eine ausreichende Begründung für die Änderung jedenfalls aus den Ausführungen in dem streitigen Bescheid und der Einspruchsentscheidung zusammen ergibt (§ 126 Abs. 1 und 2 AO 1977).
Im Gegensatz zur Auffassung der Kläger rügt das FA mit seiner Revision auch nicht nur die Tatsachenfeststellung durch das FG. Das FA rügt vielmehr, daß das FG aufgrund der unstreitigen Tatsachen die Voraussetzungen des § 173 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 verneint hat. Diese Rüge ist begründet.
II. 1. Zutreffend hat das FG allerdings zunächst angenommen, daß es sich bei den Renten der Mutter um anrechenbare Einkünfte bzw. Bezüge i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG handelt. Leibrenten, zu denen auch die Sozialversicherungsrenten zählen (Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, § 22 Anm. 10b) gehören in vollem Umfang zu den Einkünften und Bezügen i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zählt dabei der Ertragsanteil zu den Einkünften, während der Kapitalanteil zu den Bezügen gehört, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind (Urteil vom 17. Oktober 1980 VI R 98/77, BFHE 132, 34, BStBl II 1981, 158).
Die Stadt D hat mit dem Anspruch nach § 104 SGB X einen selbständigen Erstattungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger geltend gemacht; dieser Anspruch ist mit dem Rentenanspruch nicht identisch, mit ihm aber eng verbunden (Urteil des Bundessozialgerichts - BSG - vom 14. Mai1985 4a RJ 21/84, SozR 1300 § 104 SGB 10 Nr. 6). Der Umstand, daß die Mutter danach über ihre lfd. Rentenansprüche nicht mehr verfügen konnte, ist für die Anrechenbarkeit als eigene Einkünfte und Bezüge nach § 33a Abs. 1 Satz 3 EStG unerheblich (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 11. Juli 1990 III R 111/86, BFHE 162, 231, BStBl II 1991, 62, und vom 22. Juli 1988 III R 253/83, BFHE 154, 111, BStBl II 1988, 830). Etwas anderes gilt nur für zweckgebundene Bezüge, die dem Unterstützungsempfänger für dessen üblichen Lebensunterhalt nicht zur Verfügung stehen (BFH-Urteil vom 22. Juli 1988 III R 175/86, BFHE 154, 115, BStBl II 1988, 939). Um einen derartigen Sonderfall handelt es sich hier nicht, da die Rentenbezüge gerade die üblichen Lebenshaltungskosten abdecken sollen.
2. Daß der Mutter der Klägerin Rentenbezüge zustanden, ist dem FA aber nachträglich bekanntgeworden. Denn dem für die Einkommensteuerveranlagung 1986 zuständigen Sachbearbeiter war diese Tatsache (bei Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhalts) bei der Veranlagung nicht bekannt.
Allerdings ist dem FA nach ständiger Rechtsprechung des BFH eine Änderung wegen neuer Tatsachen auch dann verwehrt, wenn ihm die nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen bei gehöriger Erfüllung der ihm nach § 88 AO 1977 obliegenden Ermittlungspflicht schon vor der Steuerfestsetzung hätten bekannt sein können (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 14. Aufl., § 173 AO 1977 Tz. 28 m.w.N.).
Für die Entscheidung des vorliegenden Falles kann es jedoch dahingestellt bleiben, ob der Sachbearbeiter im Hinblick auf die Angaben der Kläger in der - unstreitig bei der Einkommensteuerveranlagung 1986 hinzugezogenen - Einkommensteuererklärung des Vorjahres Anlaß zu weiteren Ermittlungen über etwaige Einkünfte der Mutter gehabt hätte. Denn jedenfalls haben die Kläger durch die Nichtangabe der der Mutter der Klägerin zustehenden Renten in der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (wiederum bei Zugrundelegung des unstreitigen Sachverhalts) ihre Mitwirkungspflicht verletzt. Zwar besteht die Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen an der Aufklärung des Sachverhalts nur in den Grenzen der Zumutbarkeit (BFH-Urteil vom 11. November 1987 I R 108/85, BFHE 151, 333, BStBl II 1988, 115). Die grundsätzliche Verpflichtung des Steuerpflichtigen, die für die Besteuerung erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenzulegen (§ 90 Abs. 1 Satz 2 AO 1977), umfaßt aber die Verpflichtung, in der Einkommensteuererklärung ausdrücklich gestellte Fragen zu beantworten. Dagegen haben die Kläger verstoßen, da sie die in der Einkommensteuererklärung ausdrücklich gestellte Frage nach evtl. Renten der unterstützten Person im Unterstützungszeitraum unbeantwortet gelassen haben. Hierzu bestand um so mehr Veranlassung, als sie gleichzeitig eine Bestätigung der Mutter vorgelegt haben, in der diese angibt, keine eigenen Einkünfte und kein Vermögen zu haben.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des VI.Senats des BFH vom 22. Mai 1992 VI R 17/91 (BFHE 168, 221, BStBl II 1993, 80). In diesem Urteil wurde entschieden, daß einen als Kfz-Sachverständigen tätigen Steuerpflichtigen regelmäßig kein grobes Verschulden treffe, wenn er es infolge mangelnder Steuerrechtskenntnisse unterläßt, in seiner Einkommensteuererklärung Kosten für ein Arbeitszimmer als Werbungskosten geltend zu machen. Der VI.Senat hat seine Auffassung insbesondere damit begründet, daß allein der Mangel an steuerrechtlichen Kenntnissen bei einem Steuerpflichtigen ohne einschlägige Ausbildung den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht rechtfertige. Im übrigen war für die Entscheidung von besonderer Bedeutung, daß der Steuererklärungsvordruck eine ausdrückliche Frage nach Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht enthielt.
Diese Grundsätze stehen der Auffassung des erkennenden Senats schon deshalb nicht entgegen, weil es im vorliegenden Fall nicht um die Feststellung geht, ob die Kläger grob schuldhaft gehandelt haben. Der erkennende Senat kann deshalb offenlassen, ob er sich dem Urteil des VI.Senats anschließen könnte. Die Annahme einfachen Verschuldens ist nach Auffassung des Senats bei Nichtbeantwortung einer ausdrücklich gestellten Frage - wie hier - regelmäßig jedenfalls auch dann begründet, wenn der Steuerpflichtige Zweifel an der steuerrechtlichen Bedeutung der Beantwortung eben dieser Frage im konkreten Fall haben mußte. In einem solchen Fall muß der Steuerpflichtige sich nämlich Gewißheit darüber verschaffen, daß er die Frage nicht zu beantworten braucht (vgl. BFH-Urteil vom 13. Juni 1989 VIII R 174/85, BFHE 157, 196, 202, BStBl II 1989, 789). Selbst wenn also die Kläger der Auffassung waren, die Renten der Mutter seien dieser wegen der Überleitung auf den Träger der Sozialhilfe im vorliegenden Zusammenhang nicht zuzurechnen, durften sie die ausdrücklich gestellte Frage im Steuererklärungsformular nicht einfach unbeantwortet lassen. Denn Zweifel waren hier - angesichts der ausdrücklich gestellten Frage - in jedem Fall angebracht.
Nicht zu folgen vermag der Senat dem FG ferner darin, daß der Verstoß des FA gegen seine Ermittlungspflicht (jedenfalls) erheblich schwerwiegender sei als der Verstoß der Kläger gegen ihre Mitwirkungspflicht, mit der Folge, daß der Verstoß der Kläger unberücksichtigt bleiben könne. Haben sowohl der Steuerpflichtige als auch das FA es versäumt, den Sachverhalt aufzuklären, trifft in der Regel die Verantwortlichkeit den Steuerpflichtigen mit der Folge, daß der Steuerbescheid geändert werden kann (BFH-Urteil vom 20. Dezember 1988 VIII R 121/83, BFHE 156, 339, BStBl II 1989, 585, 589 m.w.N.). Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verstoß des FA deutlich überwiegt. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nach der Überzeugung des Senats nicht vor. Die vom FG hervorgehobenen Umstände, daß eine Witwe im Alter der Mutter regelmäßig zumindest eine Witwenrente erhalte, die Unterbringung in einem Altersheim bekanntlich teuer sei und die Kläger nur Unterstützungsleistungen in Höhe von 1900 DM angegeben hätten, rechtfertigen (jedenfalls) nicht den Vorwurf eines Pflichtverstoßes mit der vom FG angenommenen Schwere. Denn immerhin wäre es durchaus möglich gewesen, daß der Aufenthalt der Mutter ausschließlich vom Sozialamt getragen worden wäre.
3. Anders ist die Frage, ob dem FA die Renten der Mutter bei der Einkommensteuerveranlagung 1986 bekannt waren, allerdings zu beurteilen, wenn der von den Klägern behauptete Inhalt des mit dem Sachbearbeiter anläßlich der Einkommensteuerveranlagung 1985 geführten Gesprächs zutrifft. Hat sich der damals zuständige Sachbearbeiter nach den Einkünften der Mutter der Klägerin erkundigt und ist ihm daraufhin der Bescheid des Sozialamts der Stadt D vom 18. Juni 1985, aus dem sich alle erforderlichen Angaben ergeben, vorgelegt worden, so muß das FA die bei dieser Gelegenheit bekanntgewordenen Tatsachen gegen sich gelten lassen. Denn einmal bekanntgewordene Tatsachen werden durch einen Wechsel in der Zuständigkeit der Finanzbehörde und/oder einen Wechsel des Bearbeiters nicht wieder unbekannt (Tipke/ Kruse, a.a.O., § 173 AO 1977 Rz. 19 m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der zunächst zuständige Beamte einen entsprechenden Aktenvermerk gemacht hat oder hätte machen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 7. Mai 1987 V R 108/79, BFH/NV 1988, 602, 604; Tipke/ Kruse, a.a.O., § 173 AO 1977 Tz. 21 m.w.N.).
Trifft die Schilderung der Kläger über die näheren Umstände des fraglichen Gesprächs, insbesondere die von ihnen behauptete Vorlage des Bescheids des Sozialamts zu, so bestand für den damals zuständigen Sachbearbeiter Anlaß zur Fertigung eines entsprechenden Aktenvermerks. Denn die Kläger konnten dann annehmen, daß die steuerliche Bedeutung der Rentenbezüge der Mutter für das FA negativ geklärt war. Sie selbst hatten keinen Einfluß darauf, ob der Sachbearbeiter das Ergebnis des Gesprächs bei den Akten festhielt, insbesondere konnten sie ihm nicht etwa entsprechende Anweisungen geben. Die Unterlassung des damals zuständigen Sachbearbeiters geht deshalb zu Lasten des FA und wird dann auch nicht durch den oben (unter 2.) erörterten Pflichtenverstoß der Kläger bei Abgabe der Einkommensteuererklärung 1986 aufgewogen. Denn ein entsprechender Verstoß der Kläger gegen die Mitwirkungspflicht bei Abgabe der Einkommensteuererklärung 1986 bestand überhaupt nicht, wenn die Frage der steuerrechtlichen Relevanz der Renten mit dem für die Einkommensteuerveranlagung 1985 zuständigen Sachbearbeiter in der behaupteten Weise erörtert worden ist. Dann nämlich konnten die Kläger davon ausgehen, daß die entsprechenden Einkünfte bzw. Bezüge tatsächlich steuerlich ohne Bedeutung waren und brauchten diese im Folgejahr nicht mehr anzugeben. Dafür, daß ein solches Gespräch einschließlich der behaupteten näheren Umstände stattgefunden hat, tragen die Kläger nach allgemeinen Grundsätzen die objektive Beweislast.
4. Die Vorentscheidung, die der Rechtsauffassung des Senats nicht entspricht, ist hinsichtlich des Streitjahres 1986 aufzuheben. Das FG wird bei seiner erneuten Verhandlung Beweis über die Umstände der Abgabe der Einkommensteuererklärung 1985 zu erheben haben. Keine für die Kläger nachteiligen Schlüsse kann es dabei aus dem Vermerk in Tz. 100 der Einkommensteuererklärung 1985 ziehen. Denn bei dem dortigen Vermerk keine laut Steuerpfl., der eine andere Schrift und andere Farbe aufweist als die übrigen Angaben in der Einkommensteuererklärung, handelt es sich um die Beantwortung der Frage, ob zu dem Unterhalt der unterstützten Personen auch andere Personen als die Steuerpflichtigen beigetragen haben. Für die Aufklärung der noch aufklärungsbedürftigen Tatsache, ob und ggf. welche Kenntnisse der damalige Sachbearbeiter über die Renten der Mutter hatte, besagt dieser Vermerk als solcher nichts.
Fundstellen