Leitsatz (amtlich)
Vereinbaren die Gesellschafter einer zweigliedrigen Personengesellschaft, daß der eine Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet und der andere das Gesamthandsvermögen der Gesellschaft (Aktiven und Passiven) ohne Liquidation übernimmt, tritt die Vollbeendigung der Gesellschaft mit der Übernahme des Gesellschaftsvermögens ein. Ab diesem Zeitpunkt kann der Personengesellschaft ein Umsatzsteuerbescheid nicht mehr rechtswirksam bekanntgegeben werden (Anschluß an BFH-Urteil vom 21. Mai 1971 V R 117/67, BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 540).
Normenkette
BGB § 736; HGB § 142; AO § 91 Abs. 1 S. 2; AO 1977 § 124 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und K. betrieben in der Zeit von Juni 1965 bis Ende Juni 1966 gemeinsam unter der Bezeichnung "Fischzucht A." den Einkauf, die Aufzucht und den Verkauf von Fischen. Eine Eintragung im Handelsregister ist unterblieben. Nach Auflösung der Gesellschaft übernahm der Kläger die Aktiven und Passiven und brachte sie in sein Einzelunternehmen "Fischzucht B." ein.
Nach einer Prüfung durch die Steuerfahndung im Jahre 1969 erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) am 5. Januar 1971 Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1965 (in Höhe von ... DM) und 1966 (in Höhe von ... DM). Die Bescheide waren an "Firma Fischzucht A." zu Händen des Klägers gerichtet. Den Einspruch, den der Steuerbevollmächtigte G. gegen diese Bescheide "namens und im Auftrag meiner Mandanten" erhob, wies das FA zurück. Die Entscheidung erging in der Umsatzsteuersache für die Jahre 1965 und 1966 der Fischzuchtanstalt A., N. und K.". Mit seiner im eigenen Namen erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen die den Umsatzsteuerbescheiden zugrunde liegenden Ermittlungen der Steuerfahndung. Er hat beantragt, die Umsatzsteuer 1965 auf null DM und die Umsatzsteuer 1966 auf 89,47 DM festzusetzen.
Das Finanzgericht (FG) hat die beiden Umsatzsteuerbescheide sowie die Einspruchsentscheidung des FA mit folgender Begründung aufgehoben: Der Kläger und sein Teilhaber hätten ein Grundhandelsgewerbe im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 1 HGB betrieben und sich, damit zu einer OHG zusammengeschlossen. Diese sei der Unternehmer und damit Schuldner der Umsatzsteuer 1965 und 1966 gewesen. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Umsatzsteuerbescheide ergingen, sei die Gesellschaft nicht nur aufgelöst, sondern bereits erloschen gewesen, da der Gesellschafter N. einverständlich die Aktiven und Passiven übernommen habe. Der nicht mehr vorhandenen Gesellschaft hätten die Steuerbescheide nicht wirksam zugestellt werden können. Dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Mai 1971 V R 117/67 (BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 540), nach dem eine Personengesellschaft für das Finanzamt in jedem Fall so lange fortbestehe, bis die Besteuerung abgewickelt worden sei, könne das FG für den gegebenen Fall nicht folgen.
Das FG hat die Revision zugelassen, da sein Urteil möglicherweise auf einer Abweichung von dem Urteil des BFH in BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 540 beruhe.
Mit der Revision rügt das FA eine solche Abweichung sowie mangelnde Aufklärung des Sachverhalts. Das FG sei von ihm mit seinem Schriftsatz vom 20. Mai 1974 darauf hingewiesen worden, daß zwischen den Gesellschaftern ein Rechtsstreit wegen der Auseinandersetzung bei den ordentlichen Gerichten anhängig sei. Dieses Vorbringen hätte das FG berücksichtigen müssen. Da die Gesellschafter zerstritten gewesen seien, hätte das FG nicht annehmen dürfen, daß sie eine die Liquidation ersetzende Auseinandersetzung in der vom FG zugrunde gelegten Art vereinbart hätten. Demgemäß sei die Gesellschaft durch Liquidation nach §§ 145 ff. HGB zu beenden gewesen. Diese Liquidation, in deren Rahmen auch die Begleichung der Steuerschulden gehöre, sei im Zeitpunkt der Bekanntgabe der Umsatzsteuerbescheide noch nicht abgeschlossen gewesen.
Der Kläger ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist nicht begründet.
1. Die Steuerbescheide und die Einspruchsentscheidung waren an die vom Kläger und seinem Mitgesellschafter unter dem Namen "Fischzucht A." gebildete Gesellschaft zu Händen des Klägers und nicht an den Kläger als Rechtsnachfolger dieser Gesellschaft gerichtet (vgl. BFH-Urteil vom 28. April 1965 II 9/62 U, BFHE 82, 484, BStBl III 1965, 422). Sie konnten der Gesellschaft rechtswirksam nicht bekanntgegeben werden, weil sie im Januar 1971 nicht mehr bestand (§ 91 Abs. 1 Satz 1 der Reichsabgabenordnung - AO -). Hierbei ist es ohne Bedeutung, ob sich der Zusammenschluß als eine Offene Handelsgesellschaft oder als eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts dargestellt hat.
2. Der BFH hat in seinem Urteil in BFHE 102, 174, BStBl II 1971, 540 entschieden, daß eine Personengesellschaft nach ihrer Auflösung so lange fortbesteht, bis alle Ansprüche und Verpflichtungen, die das Gesellschaftsverhältnis betreffen, abgewickelt sind. Zu Verpflichtungen rechnet auch die Umsatzsteuer, die gemäß § 13 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967) während des Bestehens der Gesellschaft als deren Schuld entstanden ist, wozu es eines gegen die Gesellschaft gerichteten Steuerbescheides nicht bedarf. Solange diese Verbindlichkeit nicht beglichen ist, kann die Vollbeendigung der Gesellschaft nicht eintreten. An diesen Grundsätzen halt der erkennende Senat fest.
Anders ist die Rechtslage jedoch wenn ein Gesellschafter vereinbarungsgemäß das Gesamthandsvermögen der Gesellschaft (Aktiven und Passiven) ohne Liquidation übernimmt. In diesem Falle tritt das Erlöschen der Gesellschaft durch Vollbeendigung sofort ein. Das Gesellschaftsvermögen ist durch Anwachsung (Gesamtrechtsnachfolge) in einem Akt Alleinvermögen des übernehmenden Gesellschafters geworden (vgl. zur OHG § 142 HGB; Hueck, Das Recht der Offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl., S. 467 und 476; Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 9. Juli 1968 V ZR 80/66, BHGZ 50, 307; Urteil des BFH vom 30. März 1978 IV R 72/74, BFHE 125, 116, BStBl II 1978, 503, und zur BGB-Gesellschaft Urteil des BGH vom 19. Mai 1960 II ZR 72/59, BGHZ 32, 307). Der Eintritt der Gesamtrechtsnachfolge wird durch den Streit über das Bestehen und den Umfang von Abfindungsansprüchen des anderen früheren Gesellschafters nicht betroffen, weil diese nicht das Abwicklungsverhältnis der Gesellschaft berühren.
3. Die Rüge des FA, daß das FG den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt habe und demgemäß nicht von einer einverständlichen Übernahme der Aktiven und Passiven durch den Kläger ausgehen durfte, greift nicht durch (Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975, BGBl I 1975, 1861, BStBl I 1975, 932).
4. Rechtlichen Bedenken begegnet auch nicht die - von der Revision nicht angegriffene - Würdigung des FG, daß die Steuerbescheide nicht in Haftungsbescheide umgedeutet werden können.
5. Obwohl die Steuerbescheide an die Gesellschaft gerichtet waren, bestand für den Kläger wegen des Rechtsscheines, der von ihnen ausging, ein ausreichendes Rechtsschutzbedürfnis für die Erhebung der Klage. Denn die Gesellschaft war bereits erloschen. Damit war der Kläger als Gesamtrechtsnachfolger, der für die Schulden der Gesellschaft einzustehen hat, von dem Rechtsanspruch der Bescheide inhaltlich hinreichend betroffen, um geltend machen zu können, daß er in seinen Rechten verletzt sei (§ 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
6. Das FG war nicht gehindert, hinsichtlich des Jahres 1966 inhaltlich über den Antrag des Klägers hinauszugehen. Denn die Frage, ob ein Bescheid überhaupt zulässig ergehen konnte, erfaßt notwendig den ganzen Bescheid (vgl. Urteil vom 20. Oktober 1970 II R 167/64, BFHE 100, 56, 65, BStBl II 1970, 826, 830).
Fundstellen
BStBl II 1981, 293 |
BFHE 1981, 348 |