Leitsatz (amtlich)
1. Für das Vorliegen der den Rechtsanspruch auf Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen trägt der Unternehmer, der sich auf ihr Vorliegen beruft, die objektive Beweislast.
2. Ein solcher Rechtsanspruch entsteht nicht, wenn der Unternehmer Gegenstände bezieht, für die er auf eine Scheinfirma lautende Rechnungen vorlegt.
2. Zur Abgrenzung der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nach § 217 AO (jetzt § 162 AO 1977) gegen Billigkeitsmaßnahmen nach § 131 Abs. 1 Satz 2 AO (jetzt § 163 Abs. 1 Satz 1 AO 1977).
Normenkette
UStG 1967 § 15 Abs. 1; AO §§ 131, 217; AO 1977 §§ 162-163
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betreibt ein Transportunternehmen. Im Rahmen der Umsatzsteuerveranlagung 1968 machte er u. a. gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1967 (UStG 1967) Vorsteuerbeträge in Höhe von 1702,48 DM für den Bezug von Dieselkraftstoff geltend.
Anläßlich einer im Jahre 1970 durchgeführten Betriebsprüfung ergab sich, daß die Rechnungen über den Dieselkraftstoff, die sich auf insgesamt 15 721 DM zuzüglich gesondert in Rechnung gestellter Umsatzsteuer von 1 702,48 DM belaufen, als Lieferanten die Firma Meier und Schulze, Düsseldorf, Grafenbergerstraße 134 1), ausweisen. Diese Rechnungsausstellerin ist eine Scheinfirma. Für sie hatte ein von Person nicht näher bekannter "Vertreter" beim Kläger Bestellungen aufgenommen und bei Lieferung Zahlungen durch Barschecks in Empfang genommen. Umfangreiche Ermittlungen der zuständigen Zollfahndungsstelle haben in diesem Zusammenhang ergeben, daß unter der angegebenen Scheinfirma sogenanntes verdieseltes Heizöl verkauft worden ist. Es handelt sich um die Veräußerung von mineralölsteuerbegünstigt erworbenem Heizöl als Dieselkraftstoff. Wegen der hiermit bewirkten Steuerhinterziehung wurde im Jahre 1974 auch ein Strafverfahren gegen den Kläger anhängig; er wird angeschuldigt, gewerbsmäßig seines Vorteils wegen Waren, hinsichtlich deren Verbrauchsteuer hinterzogen worden ist, angekauft zu haben.
Im Rahmen der Umsatzsteuerveranlagung 1968 ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) die o. a. Vorsteuerbeträge nicht zum Abzug zu, da die zugrunde liegenden Aufwendungen für den Erwerb des Dieselkraftstoffs gemäß § 205 a der Reichsabgabenordnung (AO) wegen Nichtbenennung des Lieferanten nicht als Betriebsausgaben anerkannt werden könnten. An dieser Auffassung hielt das FA sowohl in der die Umsatzsteuer betreffenden Einspruchsentscheidung als auch bei der Einkommensteuerveranlagung 1968 fest. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage gegen die Einkommensteuerfestsetzung 1968, mit der die fehlerhafte Anwendung des § 205 a AO gerügt wurde, als unbegründet abgewiesen. Auch die Revision blieb erfolglos.
Die Klage, mit der der Kläger sinngemäß begehrt, die Umsatzsteuerschuld 1968 um den Betrag von 1 702,48 DM niedriger festzusetzen, hat das FG ebenfalls abgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe nicht den nach § 22 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1967 zu führenden Nachweis erbringen können. Dazu wären Rechnungen erforderlich gewesen, die den Namen und die Anschrift des liefernden Unternehmers enthalten hätten. Aus den vorgelegten Rechnungen einer Scheinfirma ergebe sich indes der wirkliche Lieferer des Dieselkraftstoffs nicht. Ein Rechtsanspruch auf Vorsteuerabzug sei demnach nicht gegeben. Auch eine Schätzung nach Teil C Abschn. III Abs. 4 des Erlasses des Bundesministers der Finanzen (BdF) vom 28. Juni 1969 IV A/3 - S 7 300 - 48/69 (BStBl I 1969, 349, USt-Kartei § 15 S 7300 Karte 2) scheide aus. Bei einer solchen Schätzung handele es sich um eine Billigkeitsmaßnahme, die das FA nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen habe. Ein Ermessensfehlgebrauch sei nicht festzustellen. Das FA sei der im vorbezeichneten BdF-Erlaß vertretenen und rechtlich nicht zu beanstandenden Auffassung gefolgt, daß bei einer Schätzung grundsätzlich auf die Übereinstimmung mit der einkommensteuerrechtlichen Behandlung des betreffenden Geschäftsvorfalles zu achten sei. Bei der Einkommensteuer habe es das FA zu Recht unter Berufung auf § 205 a AO abgelehnt, die Aufwendungen für den Ankauf des Dieselkraftstoffs als Betriebsausgaben anzuerkennen.
Gegen das klagabweisende Urteil richtet sich die Revision, mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die §§ 14 Abs. 1 und 15 Abs. 1 UStG 1967 seien verletzt, weil die von der Firma Meier & Schulze ausgestellten Rechnungen den gesetzlichen Erfordernissen genügten. Aus der maßgeblichen Sicht des Leistungsempfängers sei die Firma Meier & Schulze als Unternehmer zu beurteilen, denn sie habe eine gewerbliche Tätigkeit (gewerbsmäßiger Verkauf von Kraftstoffen) ausgeübt. Wer in Wirklichkeit der Lieferant des Dieselkraftstoffs gewesen sei, bleibe demgemäß für den Vorsteuerabzug unerheblich. Das FA habe entweder den wirklichen Lieferer zur Umsatzsteuer heranzuziehen oder - wenn es sich bei ihm um einen Nichtunternehmer handele -ihn nach § 14 Abs. 3 UStG 1967 in Anspruch zu nehmen. Jedenfalls müsse er, der Kläger, in seinem guten Glauben an die Unternehmereigenschaft der Firma Meier & Schulze geschützt werden. Aus diesen Gründen sei auch die versagte Schätzung ermessensfehlerhaft; sie beruhe auf einer unzutreffenden Anwendung des § 205 a AO.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und nach seinem Klageantrag zu entscheiden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung geht § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 davon aus, daß der Rechnungsaussteller Unternehmer ist. Dies sei hier nicht gesichert, da die Firma Meier & Schulze nicht existiert habe und die wirklichen Lieferer nicht hätten ermittelt werden können. So sei es nicht auszuschließen, daß der Kläger das Heizöl von Nichtunternehmern erworben habe. Deshalb sei auch zu Recht § 205 a AO angewendet worden. Die stetige Bezahlung durch Barscheck mache es dem FA unmöglich, den Lieferer zu ermitteln.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
1. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 kann der Unternehmer die ihm von anderen Unternehmern gesondert in Rechnung gestellten Umsatzsteuern für Lieferungen und sonstige Leistungen, die für sein Unternehmen ausgeführt sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Bei Vorliegen dieser und der übrigen in § 15 Abs. 1 erster Halbsatz UStG 1967 aufgeführten personenbezogenen Voraussetzungen steht dem Unternehmer ein Rechtsanspruch auf Vorsteuerabzug zu, dessen Berücksichtigung im Rahmen der Steuerberechnung nach § 16 UStG 1967 im Prinzip steuermindernde Wirkung hat (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 30. September 1976 V R 109/73, BFHE 120, 562, BStBl II 1977, 227, und vom 25. November 1976 V R 98/71, BFHE 121, 550, BStBl II 1977, 448). Der Unternehmer hat die Voraussetzungen dieses umgekehrten (und verfahrensrechtlich unselbständigen) Steueranspruchs zu schaffen und trägt für das Vorliegen der den Anspruch begründenden Tatsachen die objektive Beweislast (vgl. BFH-Urteile vom 5. November 1970 V R 71/67, BFHE 101, 156, BStBl II 1971, 220; vom 24. Juni 1976 IV R 101/75, BFHE 119, 164, BStBl II 1976, 562; vom 20. Januar 1978 VI R 193/74, BFHE 124, 508, BStBl II 1978, 338, und vom 26. Januar 1978 V R 14/75, BFHE 124, 254, BStBl II 1978, 278).
a) Zu den materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs gehört, daß eine Leistung seitens eines Unternehmers erbracht worden ist. Das Vorliegen dieser Voraussetzung ist hier sowohl im Steuerfestsetzungsverfahren als auch im Klageverfahren unerwiesen geblieben. Zum einen hat das FA festgestellt, daß der vom Kläger benannte Lieferer des Heizöls nicht existiert; zum anderen ist der wirkliche Lieferer vom Kläger nicht benannt worden. Damit fehlt schon die erforderliche Gewißheit, daß der Kläger das Heizöl von einem Unternehmer bezogen hat. Ist dies unerwiesen, fehlt ein wesentliches Merkmal für das Entstehen eines Vorsteuerabzugsanspruchs. Darüber hinaus steht fest, daß der in der Rechnung Ausgewiesene nicht der wirkliche Lieferer ist. Bei dieser Sachlage hat der Kläger die Folgen aus der ihm obliegenden Beweislast zu tragen. Ein Rechtsanspruch auf Abzug des geltend gemachten Betrages als Vorsteuer konnte mangels Vorliegens der in § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 aufgestellten Voraussetzungen im Besteuerungszeitraum 1968 nicht entstehen.
b) Der Kläger vermag diese Rechtsfolge auch nicht mit dem (sinngemäß vorgetragenen) Argument abzuwenden, er sei bezüglich der Existenz der Firma Meier & Schulze guten Glaubens gewesen. Im hier gegebenen Rechnungsausstellungsverfahren hat die Finanzverwaltung Regelungen für den Fall des guten Glaubens an die Unternehmereigenschaft des Leistenden und Rechnungsausstellers getroffen (vgl. BdF-Erlaß vom 28. Juni 1969, a. a. O., Teil C Abschn. I Abs. 2), die im Rahmen des § 131 Abs. 1 Satz 2 AO (jetzt § 163 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung - AO 1977 -) aus Gründen sachlicher Härte Wirksamkeit erlangen können (vgl. Tipke-Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 9. Aufl., § 163 Tz. 5). Eine sachliche Härte dieser Art ist gegeben, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Tatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 15. Februar 1973 V R 152/69, BFHE 108, 571, BStBl II 1973, 466). Ein solcher Gesetzesüberhang kann auch bei einem umgekehrten Steueranspruch (dem Vorsteuerabzugsanspruch) gegeben sein, wenn nämlich der Gesetzeswortlaut die Entstehung eines Vorsteuerabzugsanspruchs an Voraussetzungen knüpft, deren Erfüllung im Einzelfall vom leistungsempfangenden Unternehmer unter Beachtung der Wertungen des Gesetzgebers nicht verlangt werden kann.
Es kann hier dahinstehen, ob es in extremen Ausnahmefällen möglicherweise einen nach vorstehenden Grundsätzen zu schützenden guten Glauben an die Existenz des Leistenden gibt. Im Regelfall jedenfalls entspricht die Nichtgewährung des Vorsteuerabzugs wegen Unerwiesenheit des Leistenden und seiner Unternehmereigenschaft dem Sinn und Zweck des § 15 UStG 1967 und des mit ihm verwirklichten neuen Umsatzsteuersystems. Zudem ist es dem Leistungsempfänger durchweg zuzumuten, sich über seinen Geschäftspartner Gewißheit zu verschaffen. Dies gilt um so mehr, wenn - wie das FG für den vorliegenden Fall unbeanstandet festgestellt hat - die Umstände der Lieferung und Abrechnung ungewöhnlich sind.
2. Das FG hat ergänzend geprüft, ob das FA gemäß den in Teil C Abschn. III Abs. 4 des o. a. BdF-Erlasses vom 28. Juni 1969 getroffenen Regelungen einen abziehbaren Vorsteuerbetrag hätte schätzen müssen. Das FG hat verneint, daß das FA zu einer solchen Billigkeitsmaßnahme nach § 131 Abs. 1 Satz 2 AO (jetzt § 163 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) verpflichtet gewesen sei. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
Es bedarf zunächst des klarstellenden Hinweises, daß in diesem Zusammenhang von einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach § 217 AO (jetzt § 162 AO 1977) nicht die Rede sein kann. Bei ihr wird von der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes ausgegangen; es liegen aber hinsichtlich einzelner Besteuerungsgrundlagen Ungewißheiten spezifischer Art vor, die einer Beseitigung durch Schätzung zugänglich sind (z. B. die Höhe der Umsätze). Die (unbekannte) Person des Leistenden und seine Unternehmereigenschaft kann jedoch nicht Gegenstand einer solchen Schätzung sein, denn hiermit würde in Wirklichkeit ein nicht vorliegendes Tatbestandsmerkmal als vorliegend fingiert. In Fällen dieser Art kann - wie oben ausgeführt - nur eine Anwendung der Regeln über die objektive Beweislast in Betracht kommen (vgl. Tipke/Kruse, a. a. O., § 162 Tz. 1,2).
Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß eine Gewährung des Vorsteuerabzugs aus Billigkeitsgründen dazu führen müßte, zu unterstellen, daß der Kläger Heizöl von der in der Rechnung angegebenen Person bezogen hat und daß diese Person auch Unternehmer ist. Denn alle diese materiell-rechtlichen Voraussetzungen liegen nicht vor. Da der angegebene Rechnungsaussteller nicht existent ist, müssen zwangsläufig die in den - auf ihn als Rechnungsaussteller lautenden - Rechnungen gemachten Angaben als ebenfalls unerwiesen beurteilt werden. Es ist nicht ersichtlich, daß hier eine Billigkeitsmaßnahme aus dem Gesichtspunkt des sogenannten Gesetzesüberhangs (vgl. Abschn. 1 b der Gründe) gerechtfertigt wäre.
1) Namen und Anschrift sind geändert.
Fundstellen
BStBl II 1979, 345 |
BFHE 1979, 71 |