Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerliche Behandlung der unentgeltlichen Übertragung von öffentlichen Flächen durch den Erschließungsträger an die Gemeinde
Leitsatz (amtlich)
1. Die unentgeltliche Lieferung öffentlicher Straßen und Flächen durch einen Erschließungsträger in der Rechtsform einer GmbH an ihren Gesellschafter (Gemeinde) unterlag nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1993 der Umsatzsteuer.
2. Die zur Erschließung dieser Grundstücke bezogenen Leistungen sind zur Ausführung dieser Umsätze verwandt worden.
3. Die Grunderwerbsteuer, die der Käufer eines Grundstücks vereinbarungsgemäß zahlt, erhöht das Entgelt für die Grundstückslieferung nicht (Änderung der Rechtsprechung).
Normenkette
UStG 1993 § 1 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Nr. 9 Buchst. a, § 10 Abs. 1, § 15 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; EWGRL 388/77 Art. 5 Abs. 6, Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a, Art. 17 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, führte im Auftrag ihrer alleinigen Gesellschafterin, der Gemeinde B (Gemeinde), die Erschließung eines gemeindlichen Gewerbegebiets mit einer Gesamtfläche von 210 161 qm durch. Rechtliche Grundlage hierfür war ein Geschäftsbesorgungsvertrag, wonach die Gemeinde die Klägerin mit dem Erwerb, der Veräußerung und der Belastung der Grundstücksfläche des Gewerbegebiets, der Durchführung von Erschließungsmaßnahmen sowie aller Geschäfte, die dem Unternehmenszweck dienten, beauftragte. Die Klägerin handelte dabei im eigenen Namen und für eigene Rechnung. Kostenträger der Erschließungsmaßnahmen war die Klägerin. Die Gemeinde verpflichtete sich, der Klägerin zweckgebundene Förderungsmittel aus der Gemeinschaftsaufgabe "Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" in Höhe von 10 031 400 DM zur Verfügung zu stellen. Die nicht durch öffentliche Förderungsmittel gedeckten Kosten in Höhe von rd. 10 % der Investitionssumme sollte die Klägerin tragen.
Die Klägerin erwarb die Grundstücke im Gewerbegebiet und veräußerte sie nach der Erschließung an Investoren (163 700 qm). Unter anderem veräußerte sie im Streitjahr 1996 ein erschlossenes Grundstück (6 000 qm) an eine öffentliche Einrichtung.
Auch die erschlossenen öffentlichen Flächen und Straßen (46 461 qm) übertrug sie im Streitjahr 1996 auf die Gemeinde, ohne dass hierfür ein Kaufpreis zu zahlen war.
Bei der Umsatzsteuerfestsetzung für das Jahr 1996 teilte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) die Vorsteuerbeträge in einen abziehbaren und einen nicht abziehbaren Teil auf. Als nicht abziehbar berücksichtigte das FA einen Vorsteueranteil von 25 % (2 112,72 DM), was dem Anteil der auf die Gemeinde und die öffentliche Einrichtung übertragenen Grundstücksflächen an dem gesamten Erschließungsgebiet entsprach. Zur Begründung führte das FA im Wesentlichen aus, auch die Übertragung der erschlossenen öffentlichen Flächen auf die Gemeinde beruhe insofern auf einem Leistungsaustausch, als die Klägerin als Gegenleistung den Zuschuss aus der Gemeinschaftsaufgabe erhalten habe. Die Vorsteuern aus der Erschließung dieser Flächen und des an die öffentliche Einrichtung veräußerten Grundstücks seien jedoch nicht abziehbar, da die Grundstücksübertragungen steuerfrei seien und wegen der fehlenden Unternehmereigenschaft der Gemeinde und der öffentlichen Einrichtung ein Verzicht der Klägerin auf die Steuerbefreiung nicht möglich sei. Außerdem erhöhte das FA die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage für die entgeltlich übertragenen Grundstücke um die hälftige Grunderwerbsteuer.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage, mit der sich die Klägerin (nur) gegen die Kürzung der Vorsteuerbeträge hinsichtlich der auf die Gemeinde übertragenen Flächen und Anlagen (1 808,48 DM) wandte, statt. Es meinte, der Vorsteuerabzug sei nicht nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) ausgeschlossen. Die Klägerin habe zwar einen Teil der erschlossenen Grundstücksflächen auf die Gemeinde übertragen und insoweit einen steuerbaren Umsatz ausgeführt. Das Entgelt hierfür liege aber nicht, wie das FA meine, in der Zahlung des öffentlichen Zuschusses, da dieser ausweislich des Geschäftsbesorgungsvertrags für die Erschließung und nicht für die Grundstücksübertragung geleistet worden sei. Das Entgelt bemesse sich vielmehr nach der Mindestbemessungsgrundlage des § 10 Abs. 5 i.V.m. Abs. 4 UStG 1993. Die Übertragung sei steuerfrei ohne Optionsmöglichkeit (§ 4 Nr. 9 Buchst. a i.V.m. § 9 Abs. 1 UStG 1993). Die Erschließungsmaßnahmen seien aber nicht diesen steuerfreien Umsätzen zuzurechnen, sondern den steuerpflichtigen Umsätzen an private Investoren.
Das FG folge insoweit dem Prinzip der wirtschaftlichen Zurechnung von Eingangsumsätzen. Diese Zurechnung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten stehe in Übereinstimmung mit der bis zum Jahre 1999 vertretenen Auffassung der Finanzverwaltung (Schreiben des Bundesministers der Finanzen vom 7. Juni 1977, Umsatzsteuer-Rundschau ―UR― 1977, 179). Die nunmehr von der Finanzverwaltung vorgesehene gegenständliche oder unmittelbare Zurechnung von Eingangsumsätzen, wie sie in den Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 13. Juli 2000 IV D1 -S 7300- 49/00 (BStBl I 2000, 1188) und vom 4. Dezember 2000 IV B 7 -S 7100- 55/00 (BStBl I 2000, 1581) zum Ausdruck gekommen sei, werde der unternehmerischen Planung und Zielsetzung von Erschließungsgesellschaften wie der Klägerin nicht gerecht und scheine rein fiskalisch begründet. Zwar gelte im Grundsatz, dass dann, wenn ein Eingangsumsatz einem Ausgangsumsatz gegenständlich zugerechnet werden könne, dies zu eindeutig nachvollziehbaren Ergebnissen führe; etwas anderes gelte jedoch in den Fällen, in denen eine gegenständliche Zurechnung mit einer wirtschaftlichen Denkweise nicht vereinbar sei (vgl. Bundesfinanzhof ―BFH―, Urteil vom 16. September 1993 V R 82/91, BFHE 173, 236, BStBl II 1994, 271).
Hiergegen wendet sich das FA mit der vorliegenden Revision. Es meint, in Fällen der vorliegenden Art würden die öffentlichen Flächen mit Erschließungsanlagen im Regelfall unentgeltlich auf die Gemeinde übertragen. Soweit dieser Vorgang unter das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) falle, sei der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1993 ausgeschlossen. Handele es sich bei den übertragenen Erschließungsanlagen jedoch um Betriebsvorrichtungen i.S. des § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 GrEStG, sei die Übertragung auf die Gemeinde nach § 3 Abs. 1 b Satz 1 Nr. 3 UStG steuerpflichtig und schließe den Vorsteuerabzug beim Erschließungsträger insoweit nicht aus. Der Aufteilungsmaßstab der Vorsteuerbeträge aus den Eingangsleistungen, die nicht ausschließlich auf die Erschließungsanlagen entfielen, sei aufgrund der Flächenverhältnisse der (durch Option) steuerpflichtigen und der steuerfreien Ausgangsumsätze der Klägerin sowie der auf die Erschließungsanlagen entfallenden Fläche zu ermitteln.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten. Sie macht darauf aufmerksam, dass die Vorschrift des § 3 Abs. 1 b Satz 2 UStG im Streitjahr (1996) noch nicht galt.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Die Zuordnung von mit Vorsteuer belasteten Leistungsbezügen zu Verwendungsumsätzen durch das FG-Urteil "nach dem Prinzip der wirtschaftlichen Zurechnung von Eingangsumsätzen" ist mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des BFH zu Art. 17 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) bzw. zu § 15 UStG 1993 nicht vereinbar. Die Feststellungen reichen für eine abschließende Entscheidung der Sache durch den Senat nicht aus.
1. Nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hinsichtlich der Vorsteuerbeträge für die in Anspruch genommenen Leistungen zur Erschließung der Grundstücke unstreitig erfüllt.
2. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG 1993 ist vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen die Steuer für Leistungsbezüge, die der Unternehmer zur Ausführung steuerfreier Umsätze verwendet. Verwendet der Unternehmer einen für sein Unternehmen gelieferten Gegenstand oder eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist (§ 15 Abs. 4 UStG 1993).
a) Die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 UStG 1993 waren im Streitfall erfüllt, soweit die erschlossenen öffentlichen Flächen und Straßen auf die Gemeinde übertragen wurden (46 461 qm) und damit ―wozu das FG keine Feststellungen getroffen hat― nicht die Lieferung von Betriebsvorrichtungen verbunden war.
aa) Die Grundstückslieferung an die Gemeinde unterlag nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 UStG 1993 der Umsatzsteuer.
Nach dieser Vorschrift unterlagen der Umsatzsteuer u.a. Lieferungen, die Körperschaften und Personenvereinigungen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) an ihre Anteilseigner, Gesellschafter oder diesen nahestehende Personen ausführen, für die die Leistungsempfänger kein Entgelt aufwenden.
Die Klägerin war als GmbH eine Körperschaft i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG. Sie hat die öffentlichen Flächen und Straßen an ihre Alleingesellschafterin, die Gemeinde, geliefert.
Die Grundstückslieferung erfolgte unentgeltlich.
Nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt zahlte die Gemeinde der Klägerin einen Zuschuss für die Erschließung sämtlicher Grundstücke (des Erschließungsgebiets) und nicht für die Übertragung der öffentlichen Straßen und Flächen auf sie.
bb) Die Grundstückslieferungen waren nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG 1993 steuerfrei, soweit damit nicht die Lieferung von Betriebsvorrichtungen verbunden war.
Nach dieser Vorschrift sind die Umsätze, die unter das GrEStG fallen, steuerfrei. Die Übertragung der Grundstücke fiel unter das GrEStG. Dies gilt aber nicht für die in § 2 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG genannten Maschinen und sonstige Vorrichtungen, die zu einer Betriebsanlage gehören (sog. Betriebsvorrichtungen). Ihre Lieferung ist steuerpflichtig.
cc) Die Klägerin hat die Leistungsbezüge, um die es hier geht, zur Ausführung der Grundstückslieferung an die Gemeinde verwendet; die Leistungsbezüge dienten nämlich der Erschließung der öffentlichen Flächen und Straßen, die auf die Gemeinde übertragen wurden. Soweit es sich um Baumaßnahmen an den übertragenen Grundstücken handelte, gingen sie dinglich in diese ein; jedenfalls ging es bei den bezogenen Leistungen zumindest in dem vom FA und FG angenommenen Umfang um Erschließungskosten der öffentlichen Straßen und Flächen; sie stehen deshalb in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit der Lieferung dieser Grundstücke an die Gemeinde.
b) Soweit mit den Grundstücken auch Betriebsvorrichtungen an die Gemeinde geliefert wurden, war der Vorsteuerabzug zwar nicht nach § 15 Abs. 2 UStG 1993 ausgeschlossen; dafür war die Lieferung der Betriebsvorrichtungen an die Gemeinde zu versteuern, was bislang nicht geschehen ist.
Dieser Umsatz wird nach § 10 Abs. 4 Nr. 1 UStG 1993 mit den Selbstkosten, jeweils zum Zeitpunkt des Umsatzes bemessen. Zu diesen Selbstkosten gehören auch die streitigen Erschließungskosten (und die Erschließungskosten vergangener Jahre), soweit sie auf die Betriebsvorrichtungen entfallen. Die sich hieraus ergebende Steuer ist also mindestens so hoch wie die streitige (nicht vom Vorsteuerabzug ausgeschlossene) Vorsteuer, da auch die Herstellungskosten der vergangenen Jahre zu berücksichtigen sind.
3. Entgegen der Ansicht des FG sind die Erschließungsmaßnahmen, um die es hier geht, nicht für die entgeltlichen Grundstückslieferungen an die privaten Investoren verwendet worden.
a) § 15 UStG 1993 beruht auf Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG. Nach Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 77/388/EWG ist der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug befugt, "soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden".
Nach der EuGH-Rechtsprechung (z.B. Urteil vom 8. Juni 2000 C-98/98, Midland Bank plc, Slg. 2000, I-4177, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht ―UVR― 2000, 348 Rdnr. 24) ist Art. 17 der Richtlinie 77/388/EWG so auszulegen, "daß grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Umsätzen der nachfolgenden Stufe, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, bestehen muß, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Umfang dieses Rechts bestimmt werden kann".
Ferner ist es (Rdnr. 33 des Urteils) "Sache des nationalen Gerichts, das Kriterium des direkten und unmittelbaren Zusammenhangs auf den Sachverhalt des bei ihm anhängigen Rechtsstreits anzuwenden. Ein Steuerpflichtiger, der sowohl Umsätze tätigt, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, als auch solche, die nicht dazu berechtigen, kann die Mehrwertsteuer, mit der die bezogenen Gegenstände oder Dienstleistungen belastet sind, abziehen, sofern diese Leistungen direkt und unmittelbar mit den zum Vorsteuerabzug berechtigenden Ausgangsumsätzen zusammenhängen, ohne daß es darauf ankommt, ob Absatz 2, 3 oder 5 des Artikels 17 der Sechsten Richtlinie 77/388 anzuwenden ist. Ein solcher Steuerpflichtiger kann die auf Dienstleistungen lastende Vorsteuer jedoch nicht in voller Höhe abziehen, wenn diese Dienstleistungen nicht zur Ausführung eines zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsatzes, sondern im Rahmen von Tätigkeiten verwendet worden sind, die nur die Folge eines solchen Umsatzes sind, es sei denn, der Steuerpflichtige weist anhand objektiver Umstände nach, daß die Aufwendungen für den Bezug dieser Dienstleistungen zu den verschiedenen Kostenelementen des Ausgangsumsatzes gehören".
Das Recht auf Vorsteuerabzug und dessen Umfang werden somit durch den direkten und unmittelbaren Zusammenhang der Eingangs- mit den Ausgangsumsätzen (Verwendungsumsätzen) bestimmt. Dieses ergibt sich grundsätzlich daraus, dass die Aufwendungen für den Bezug der Eingangsumsätze Teil der Kosten der Ausgangsumsätze sind (vgl. Rdnr. 30 des Urteils); der vom Steuerpflichtigen verfolgte endgültige Zweck ist dabei unerheblich (Rdnr. 20 des Urteils).
b) Mit diesen Grundsätzen ist das vom FG herangezogene Prinzip der wirtschaftlichen Zurechnung von Eingangsumsätzen mit Vorrang einer wirtschaftlichen Denkweise vor einer sog. gegenständlichen Zurechnung ―auch nach den Umständen des Streitfalls― nicht vereinbar.
Von dem Vorrang der gegenständlichen Zurechnung der Eingangsumsätze zu den Ausgangsumsätzen ging der erkennende Senat auch in seinem Urteil vom 31. Juli 1987 V R 148/78 (BFHE 150, 473, BStBl II 1987, 754) aus. Dieses Urteil betraf eine Brauerei, die den Vorsteuerabzug für die Reparatur verpachteter Gaststätten geltend machte. Der BFH lehnte den Vorsteuerabzug ab, da die Reparaturleistungen nur für die (nach § 4 Nr. 12, § 15 Abs. 2 UStG 1967 vorsteuerabzugschädlichen) Verpachtungsumsätze und nicht für die Bierumsätze verwandt worden seien.
Das in der Vorentscheidung in diesem Zusammenhang zitierte Urteil in BFHE 173, 236, BStBl II 1994, 27 betraf die verbilligte Weiterveräußerung von Werbeartikeln; nach diesem Urteil sind Werbeartikel, die ein Versicherer an seine selbständigen Handelsvertreter zu einem Entgelt weiterveräußert, das die Anschaffungskosten erheblich unterschreitet, nicht ausschließlich den Ausgangslieferungen zuzuordnen, in die sie gegenständlich eingehen, sondern auch den übrigen Umsätzen des Unternehmers, für die geworben wird. Die Grundsätze dieser Entscheidung können im Streitfall bereits deshalb keine Auswirkung haben, weil die Erschließungskosten für die Grundstücke, um die es hier geht, die Bemessungsgrundlage für die Grundstückslieferungen an die Gemeinde nicht unterschreiten (vgl. oben unter II. 2. b).
4. Die Klägerin kann sich nicht mit Erfolg auf Art. 5 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG berufen.
a) Diese Bestimmung lautet:
"Einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt wird die Entnahme eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf, für den Bedarf seines Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt haben. Jedoch fallen Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster zu Zwecken des Unternehmens nicht darunter."
Die Besteuerungsgrundlage für die in Art. 5 Abs. 6 und 7 der Richtlinie 77/388/EWG genannten Umsätze ist "der Einkaufspreis für die Gegenstände oder mangels Einkaufspreises der Selbstkostenpreis, und zwar jeweils zu den Preisen, die im Zeitpunkt der Bewirkung dieser Umsätze festgestellt werden" (Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG).
b) Demnach kann dahinstehen, ob die an die Gemeinde übertragenen Grundstücke oder deren Bestandteile gemäß Art. 5 Abs. 6 der Richtlinie 77/388/EWG zum Vorsteuerabzug berechtigt haben.
Selbst wenn dies zu bejahen wäre, würde die Besteuerungsgrundlage für die unentgeltlichen Grundstückslieferungen zumindest die Höhe der streitigen Erschließungskosten erreichen, so dass dem streitigen Vorsteuerabzug eine jedenfalls gleich hohe Steuer für die unentgeltlichen Grundstückslieferungen gegenüberstünde (vgl. auch oben unter II. 3. zu den Betriebsvorrichtungen). Das Gemeinschaftsrecht ist also nicht günstiger als das nationale Recht. Damit sind die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung des Gemeinschaftsrechts nicht erfüllt.
5. Obwohl der begehrte Vorsteuerabzug entweder nach § 15 Abs. 2 UStG 1993 ausgeschlossen ist oder in zumindest gleicher Höhe die Besteuerung der unentgeltlichen Grundstückslieferungen an die Gemeinde nach sich zieht, kann der Senat in der Sache nicht selbst entscheiden.
Das FA hat nämlich zu Unrecht die Bemessungsgrundlage für die Besteuerung der entgeltlichen Grundstücksumsätze um die halbe Grunderwerbsteuer erhöht.
a) Die Bemessungsgrundlage für die an die Investoren verkauften Grundstücke ergibt sich aus § 10 Abs. 1 UStG 1993. Danach wird der Umsatz bei Lieferungen nach dem Entgelt bemessen. Entgelt ist alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer (§ 10 Abs. 1 Satz 2 UStG 1993).
Die Vorschrift beruht auf Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG. Danach ist Besteuerungsgrundlage bei den dort genannten Lieferungen und Dienstleistungen alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll.
b) Demnach ist beim Kauf einer Sache das Entgelt für die Lieferung regelmäßig der Kaufpreis. Dies gilt auch für den Grundstückskauf. Nur der Kaufpreis bildet den Wert der Gegenleistung für das Grundstück; die Kosten der Beurkundung des Kaufvertrags und der Auflassung, der Eintragung ins Grundbuch und der zu Eintragungen erforderlichen Erklärungen, die der Käufer zu tragen hat (§ 448 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches ―BGB―) und die Grunderwerbsteuer, die der Käufer vereinbarungsgemäß zahlt, erhöhen das Entgelt für die Grundstückslieferung nicht (vgl. nunmehr auch Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz, 3. Aufl., § 9 Rz. 9 und das dort zitierte Schrifttum).
Grundstücksveräußerer und Grundstückserwerber sind zwar regelmäßig Gesamtschuldner der Grunderwerbsteuer; sie sind deshalb im Verhältnis zueinander zu gleichen Teilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist (§ 426 Abs. 1 BGB); dies besagt aber nicht, dass der Grundstückserwerber, wenn er vereinbarungsgemäß die Grunderwerbsteuer übernimmt, mit der Zahlung der Grunderwerbsteuer zur Hälfte die Grunderwerbsteuerschuld des Veräußerers tilgt (so aber noch BFH-Urteil vom 10. Juli 1980 V R 23/77, BFHE 130, 571, BStBl II 1980, 620, und ihm folgend Abschn. 149 Abs. 7 der Umsatzsteuer-Richtlinien). Der Grundstückserwerber, der die Zahlung der Grunderwerbsteuer vertraglich übernommen hat, tilgt mit der Zahlung der Grunderwerbsteuer seine eigene Steuerschuld; die Grunderwerbsteuer zählt zu den Kosten des Grunderwerbs, ohne in das dem Veräußerer zustehende Entgelt einzugehen.
c) Bei dem an die öffentliche Einrichtung verkauften Grundstück kommt hinzu, dass dieser Grundstücksumsatz steuerfrei war, so dass allenfalls eine Besteuerung des in Rechnung gestellten Entgelts nach § 14 Abs. 2 UStG 1993 in Betracht kommt.
Ob und inwieweit sich die Minderung der Bemessungsgrundlage für die entgeltlichen Grundstückslieferungen auf den streitigen Steuerbetrag auswirkt, kann erst beurteilt werden, nachdem das FG im zweiten Rechtsgang Feststellungen dazu getroffen hat, ob die Klägerin mit den öffentlichen Straßen und Flächen auch Betriebsvorrichtungen an die Gemeinde geliefert hat und in welcher Höhe diese zu besteuern sind (vgl. oben unter II. 3.).
Fundstellen
Haufe-Index 1496597 |
BFH/NV 2006, 1233 |
BStBl II 2012, 424 |
BFHE 2007, 187 |
BFHE 212, 187 |
BB 2006, 930 |
DB 2006, 1255 |
DStR 2006, 754 |
DStRE 2006, 572 |
DStZ 2006, 320 |
HFR 2006, 599 |
UR 2006, 337 |