Leitsatz (amtlich)
Hat das FA in dem Gewinnfeststellungsbescheid für eine KG die gesamten gewerblichen Einkünfte als "laufenden Gewinn" ausgewiesen, kann über die Frage des Vorliegens eines steuerbegünstigten Gewinns i. S. von § 34 Abs. 2 EStG nicht in einem Ergänzungsbescheid entschieden werden (Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung im BFH-Urteil vom 1. Oktober 1959 IV 141/58 U, BFHE 70, 57, BStBl III 1960, 23).
Normenkette
AO §§ 215-216; EStG §§ 16, 34 Abs. 2
Tatbestand
Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine KG, vertreten durch ihren persönlich haftenden Gesellschafter. Bei der einheitlichen Gewinnfeststellung für das Streitjahr 1969 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) einen Gewinn in Höhe von 34 141,45 DM einheitlich und gesondert fest. Die Aufteilung auf die Gesellschafter erfolgte durch Übernahme der Anlage Einkommensteuer 1, 2, 3 B zur Feststellungserklärung der Klägerin; erklärungsgemäß erfaßte das FA den gesamten Gewinn bei den "Anteilen a) an laufenden Einkünften". Die Spalte "Anteile b) an Veräußerungsgewinnen - an tarifbegünstigten Einkünften i. S. des § 24 Ziff. 1 u. 3 EStG -" blieb ohne Eintrag. Der It. Absendevermerk auf dem Berechnungsbogen am 2. Februar 1971 an den Gesellschafter-Geschäftsführer und Zustellungsvertreter zur Post gegebene Bescheid wurde nicht angefochten.
Im Einspruchsverfahren gegen den Einkommensteuerbescheid 1969 für den Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin und seine Ehefrau machte dieser erstmals geltend, der gewerbliche Gewinn sei teilweise nach §§ 16, 34 EStG begünstigt. Einspruch, Klage zum FG, Antrag beim FG auf Aussetzung der Vollziehung des Einkommensteuerbescheides und Beschwerde zum BFH blieben erfolglos, da die Entscheidung über die Steuerbegünstigung eines Gewinns im Gewinnfeststellungsverfahren zu ergehen habe.
Am 24. Juli 1972 beantragte die Klägerin, gemäß § 216 Abs. 2 AO einen Ergänzungsbescheid über das Vorliegen eines steuerbegünstigten Gewinns zu erlassen. Das FA lehnte diesen Antrag mit dem Hinweis ab, über die Frage sei bereits im Feststellungsbescheid durch den Ausweis des Gewinns bei den laufenden Einkünften entschieden worden. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Erstmals während des Klageverfahrens machte der Gesellschafter-Geschäftsführer mit Schreiben vom 19. Januar 1973 geltend, er habe den Gewinnfeststellungsbescheid vom 2. Februar 1971 nicht erhalten. Ein derartiges Aktenstück sei ihm nicht erinnerlich; weder der Bescheid noch ein entsprechender Aktenvermerk oder Schriftsatz befinde sich in seinen Unterlagen. Das FG hat die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem sinngemäßen Antrag, das FG-Urteil und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und festzustellen, daß ein Betrag für eine Versicherungsentschädigung von 76 115,67 DM begünstigt nach § 34 EStG besteuert werde. Der Feststellungsbescheid sei ihrem Gesellschafter-Geschäftsführer als Zustellungsvertreter nicht zugegangen. In seiner Erklärung habe er zwar aus Rechtsunkenntnis keinen Aufgabegewinn ausgewiesen, bei der persönlichen Abgabe der Feststellungserklärung jedoch dem Sachbearbeiter alle für die begünstigte Besteuerung wesentlichen Umstände umfassend offenbart.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, daß der Feststellungsbescheid vom 2. Februar 1971 dem Zustellungsbevollmächtigten der Klägerin zugegangen ist. Nach § 17 Abs. 2 VwZG hat zwar das FA im Zweifel die Tatsache des Zugangs eines Steuerbescheides nachzuweisen. Dieser Nachweis ist jedoch im Streitfall nach den Regeln für den Beweis des ersten Anscheins als erbracht anzusehen, da der Vertreter und Zustellungsbevollmächtigte der Klägerin den Zugang erstmals im Jahre 1973 bestritten hat, obwohl er im Verlauf der übrigen, die gleiche Streitfrage betreffenden Verfahren wiederholt Anlaß gehabt hätte, den Nichtzugang geltend zu machen. Insoweit wird auf die Ausführungen im BFH-Urteil vom 28. November 1973 I R 66/71 (BFHE 110, 502, BStBl II 1974, 70) Bezug genommen.
2. Die Vorentscheidung begegnet auch insoweit keinen rechtlichen Bedenken, als das FG angenommen hat, das FA habe bereits über die Steuerbegünstigung des Gewinns entschieden.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH ist über die Frage, ob und in welchem Umfang es sich bei einheitlich festzustellenden Einkünften um begünstigte Einkünfte i. S. von § 34 Abs. 2 EStG handelt, im Feststellungsverfahren zu entscheiden. Dies gilt für die Besteuerung von Veräußerungs- oder Aufgabegewinnen (§ 16 EStG; vgl. BFH-Urteile vom 10. September 1957 I 294/56 U, BFHE 65, 468, BStBl III 1957, 414; vom 26. Oktober 1972 I R 229/70, BFHE 107, 265, BStBl II 1973, 121, und vom 28. März 1974 IV B 58/73, BFHE 112, 171, BStBl II 1974, 459) ebenso wie für die Besteuerung von Entschädigungen (§ 24 Nr. 1 EStG; vgl. BFH-Urteile vom 1. Oktober 1959 IV 141/58 U, BFHE 70, 57, BStBl III 1960, 23, und I R 229/70). Der Senat verbleibt bei dieser Rechtsauffassung.
b) Im Streitfall hat das FA über das Vorliegen eines steuerbegünstigten Gewinns entschieden, da es die gesamten gewerblichen Einkünfte dem "laufenden Gewinn" zugewiesen hat. Die Feststellung der Anteile der Gesellschafter am laufenden oder am steuerbegünstigten Gewinn i. S. von § 34 Abs. 2 EStG gehört zum notwendigen und wesentlichen Inhalt eines Feststellungsbescheides. Laufender Gewinn und steuerbegünstigter Gewinn schließen sich gegenseitig aus. Die Gegenüberstellung in der Anlage Einkommensteuer 1, 2, 3 B zur Feststellungserklärung und zum Feststellungsbescheid bringt dies eindeutig zum Ausdruck. Die nachträgliche Feststellung, es handle sich bei einem Teil der Einkünfte um einen begünstigten Gewinn i. S. von § 34 Abs. 2 EStG, würde daher zwangsläufig zu einer Änderung der bereits festgestellten Besteuerungsgrundlage "laufender Gewinn" führen. Eine derartige Berichtigung einer festgestellten Besteuerungsgrundlage ist jedoch grundsätzlich nur bis zur Bestandkraft des Feststellungsbescheides möglich. Aus diesem Grunde vermag sich der erkennende Senat der im Urteil des IV. Senats des BFH IV 141/58 U geäußerten, von Paulick in Hübschmann-Hepp-Spitaler (Kommentar zur Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung und den Nebengesetzen, § 216 AO Anm. 22) übernommenen Rechtsauffassung, die Feststellung über das Vorliegen eines steuerbegünstigten Gewinns sei in Fällen dieser Art unterblieben und könne in einem Ergänzungsbescheid nachgeholt werden (§ 216 Abs. 2 AO), nicht anzuschließen. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Steuerpflichtige einen Antrag auf Feststellung eines steuerbegünstigten Gewinns gestellt hat und aus welchen Gründen das FA die gesamten gewerblichen Einkünfte unter dem laufenden Gewinn ausgewiesen hat. Ein Ergänzungsbescheid könnte selbst dann nicht erlassen werden, wenn - was das FG im Streitfall nicht festgestellt hat-dem FA der die Steuerbegünstigung begründende Sachverhalt gar nicht bekanntgewesen wäre. Der Erlaß eines Ergänzungsbescheides käme nur dann in Frage, wenn das FA den Gesamtgewinn lediglich aufgeteilt hätte, ohne ihn dem laufenden Gewinn zuzuweisen.
Trotz der Abweichung von der Rechtsprechung des IV. Senats des BFH bedarf es einer Anrufung des Großen Senats nach § 11 Abs. 3 FGO nicht, da das Urteil IV 141/58 U nicht gemäß § 64 AO a. F. als sog. S-Urteil veröffentlicht worden ist (§ 184 Abs. 2 Nr. 5 FGO).
Fundstellen
BStBl II 1976, 304 |
BFHE 1976, 539 |