Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld für Pflegekinder: Ausbildungsvergütung des Pflegekindes
Leitsatz (NV)
Zur Berücksichtigung von Pflegekindern, wenn diese Ausbildungsvergütungen beziehen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (EFG 2001, 1453) |
Tatbestand
I. Das im November 1982 geborene Kind N lebt seit 1986 im Haushalt des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger). Der Kläger erhielt für die Betreuung vom zuständigen Jugendamt zunächst ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 1 276 DM. N befindet sich seit dem 1. September 1999 in Berufsausbildung und erhält eine Ausbildungsvergütung von 1 414,08 DM monatlich. Seither bezieht der Kläger monatliches Pflegegeld von 625,83 DM, das sich wie folgt zusammensetzt:
Der Beklagte und Revisionskläger (Beklagter) hob die Festsetzung des Kindergeldes für N mit Bescheid vom 10. November 1999 mit Wirkung vom 1. Dezember 1999 auf. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Mit Bescheid vom 13. Januar 2000 änderte der Beklagte den Bescheid dahin gehend, dass die Festsetzung des Kindergeldes erst mit Wirkung vom 1. Januar 2000 aufgehoben wurde. Er betrachtete den Einspruch des Klägers damit als erledigt. Dem Bescheid war nach der Rechtsbehelfsbelehrung der Hinweis angefügt, dass der Kläger für das Jahr 2000 Kindergeld beantragen könne, falls die Einkünfte der N nach Abzug der Werbungskosten den Regelpflegesatz nicht überstiegen. Auch gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) gab der dagegen gerichteten Klage auf Gewährung von Kindergeld von Januar bis November 2000 mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1453 veröffentlichten Gründen statt.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Er beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hat sich nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―). Der Senat kann nach den Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob dem Kläger Kindergeld für N zusteht.
1. Anspruch auf Kindergeld besteht gemäß §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 EStG für Kinder i.S. des § 32 Abs. 1 EStG in der ab 1996 gültigen Fassung. Gemäß § 32 Abs. 1 EStG sind Kinder im ersten Grad mit dem Steuerpflichtigen verwandte Kinder (§ 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG) sowie Pflegekinder (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Im Streitfall kommt nur die Berücksichtigung der N als Pflegekind in Betracht.
2. Ein Pflegekind ist nach der Legaldefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinem Haushalt aufgenommen hat, das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht und der Steuerpflichtige sie mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhält.
3. Unstreitig hat der Kläger N in seinen Haushalt aufgenommen. Zwischen ihm und N besteht ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band. Auch das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern der N besteht nicht mehr.
4. Der Senat kann jedoch aufgrund der Feststellungen des FG nicht abschließend entscheiden, ob N zu einem nicht unwesentlichen Teil auf Kosten des Klägers unterhalten wurde.
a) Wie der erkennende Senat mit Urteil vom 29. Januar 2003 (VIII R 71/00, BStBl II 2003, 469) im Einzelnen dargelegt hat, bedarf es nach der Neuregelung des Familienleistungsausgleichs ab 1996 für die Berücksichtigung eines Kindes als Pflegekind der Prüfung des Einzelfalls, ob die den Pflegeeltern entstandenen ―und grundsätzlich nur in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen der Pflegeeltern zu berücksichtigenden― Unterhaltskosten (einschließlich der Kosten für die Betreuung, Ausbildung und Erziehung) die Aufwandserstattungen (z.B. Pflegegeld, Pflegesätze) mit der Folge überschreiten, dass die Pflegeeltern zumindest 20 v.H. ―und damit einen nicht unwesentlichen Teil (§ 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG 1996)― der gesamten (angemessenen) Unterhaltskosten des Pflegekindes tragen.
b) Hiervon ist auch im Streitfall auszugehen mit der Folge, dass ―auch mit Rücksicht auf einen etwaigen Betreuungsaufwand― in die erforderliche Vergleichsberechnung lediglich die tatsächlichen Kosten des Klägers einzustellen sind. Zwar hat der Senat im Urteil vom 29. Januar 2003 VIII R 71/00 ausgeführt, dass für die Kalenderjahre 2000 und 2001 ―und damit auch für den im anhängigen Verfahren streitigen Zeitraum― entsprechend der Regelung des § 32 Abs. 6 Satz 1, Halbsatz 2 EStG (in der ab dem Jahr 2000 gültigen Fassung) der aufwandsunabhängige Betreuungsfreibetrag (2 x 1 512 DM = 3 024 DM) dann bei der Berechnung der Kostenbelastung der Pflegeeltern zu berücksichtigen ist, wenn diesen keine höheren Aufwendungen für die Betreuung entstehen. Gleichwohl scheidet der Ansatz eines solchen (kalkulatorischen) Betrags im Streitfall aus, da die im November 1982 geborene N zu Beginn des Jahres 2000 bereits das 16. Lebensjahr vollendet hatte und damit die Voraussetzungen für die Gewährung eines Betreuungsfreibetrags nach § 32 Abs. 6 Satz 1, Halbsatz 2 EStG (2000) nicht mehr erfüllte (zur Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenze vgl. Pust in Littmann/ Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 32 EStG Rz. 133).
c) Soweit das FG den tatsächlichen Unterhaltsaufwendungen des Klägers lediglich das an ihn ausgezahlte, d.h. das um einen Teil der Ausbildungsvergütung gekürzte Pflegegeld in Höhe von monatlich 625,83 DM ―bezogen auf den streitigen Zeitraum von Januar bis November 2000 somit lediglich in Höhe von 11 x 625,83 DM = 6 884,13 DM― gegenübergestellt hat, kann dem nicht beigepflichtet werden. Die Belastung des Klägers mit Unterhaltskosten für N sowie dessen Entlastung durch den Erhalt von Pflegegeld und sonstigen Leistungen (z.B. Zuschüsse, Beihilfen; vgl. § 39 SGB VIII) ist vielmehr in Anlehnung an die normativen Wertungen der §§ 91 ff. SGB VIII über die sog. Heranziehung des (Pflege-)Kindes zu bestimmen.
aa) Hiernach wird von Kindern und Jugendlichen zwar einerseits auch im Falle der Hilfe zur Erziehung nach § 33 SGB VIII (Vollzeitpflege) unter bestimmten Voraussetzungen entsprechend ihrem Einkommen ein Kostenbeitrag erhoben (§§ 93 Abs. 1, 91 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b SGB VIII). Dessen Höhe bemisst sich danach, ob Mittel in Frage stehen, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen (sog. zweckidentische Leistungen, z.B. Waisenrente oder Waisengeld; vgl. den Überblick bei Wiesner in Wiesner/Mörsberger/Oberloskamp/Struck, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar, 2. Aufl., § 93 Rz. 25) und die deshalb in vollem Umfang anzusetzen sind (§ 93 Abs. 5 SGB VIII), oder ob der Jugendliche über sonstiges Einkommen verfügt, das ―wie beispielsweise Ausbildungs- oder Arbeitsvergütungen― nur nach Maßgabe der §§ 79, 84 und 85 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und damit nach Abzug eines angemessenen Selbstbehalts berücksichtigt wird (§ 93 Abs. 3 SGB VIII; dazu Wiesner, a.a.O., § 93 Rz. 10 ff.). Andererseits bleibt der Träger der öffentlichen Jugendhilfe für die in § 92 Abs. 3 SGB VIII genannten Leistungsarten, zu denen auch die Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII gehört, jedoch selbst dann zur "Vorfinanzierung" (Vorausleistung) und somit zur Auszahlung des Pflegegelds sowie Gewährung der weiteren in § 33 SGB VIII genannten Leistungen verpflichtet, wenn dem Pflegekind (Jugendlichen) zuzumuten ist, die hierfür aufgewandten Mittel in voller Höhe im Wege der Heranziehung aufzubringen (Wiesner, a.a.O., § 92 Rz. 12 ff.; Schellhorn, SGB VIII/KJHG, Sozialgesetzbuch Achtes Buch, Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar, 2. Aufl., § 92 Rz. 11).
bb) Verfährt der Träger der Jugendhilfe nach diesen Grundsätzen, so kann kein Zweifel darüber bestehen, dass im Rahmen der Vergleichsberechnung nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG von den der Pflegefamilie tatsächlich entstehenden (angemessenen) Unterhaltsaufwendungen der ungekürzte und in voller Höhe gewährte Leistungsanspruch gemäß § 39 SGB VIII (Kostenerstattungen, z.B. Pflegegeld) abzuziehen ist und somit die Heranziehung des Kindes (Jugendlichen) zu den Aufwendungen für die Familienpflege keinen Einfluss darauf nimmt, ob der Steuerpflichtige i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG die Kosten des Unterhalts des Kindes zu einem nicht unwesentlichen Teil trägt. Nichts anderes kann aber gelten, wenn ―wie im Streitfall geschehen― der Träger der Jugendhilfe das auszuzahlende Pflegegeld um den Heranziehungsbetrag kürzt. Auch in diesem Fall ist ―mit Rücksicht auf die gebotene Gleichbehandlung beider Sachverhalte― die dem gesetzlich vorgesehenen Verfahren der zwingenden Vorausleistung gemäß § 92 Abs. 3 SGB VIII (Wiesner, a.a.O.; Schellhorn, a.a.O.) zugrunde liegende Wertung, nach der die Heranziehung des Kindes lediglich die öffentliche Hand im Wege eines nachgelagerten Kostenbeitrags entlasten soll, zu beachten.
d) Demgemäß wird das FG im zweiten Rechtsgang die Höhe der dem Kläger tatsächlich entstandenen (angemessenen) Unterhaltsaufwendungen festzustellen und hiernach unter Berücksichtigung der nicht gekürzten Leistungsansprüche nach § 39 SGB VIII über das Klagebegehren erneut zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 968327 |
BFH/NV 2003, 1297 |