Leitsatz (amtlich)
Haben die Beteiligten eines Leistungsaustausches im Wege des Gutschriftsverfahrens abgerechnet und sind sie dabei unzutreffend von der Steuerpflicht des Umsatzes ausgegangen, ist der vom Leistungsempfänger (Gutschriftsaussteller) begehrte Vorsteuerabzug ungeachtet seines guten Glaubens an die Richtigkeit der von den Beteiligten eingenommenen Rechtsauffassung zu versagen.
Normenkette
UStG 1967 §§ 14-15; 1. UStDV § 5
Tatbestand
Der Kläger betreibt ein Kiesausbeuteunternehmen. Am 10. Juni 1969 schloß er mit den Bauerseheleuten H einen Vertrag, der ihn zum Abbau eines Kiesvorkommens auf einem Grundstück der Eheleute H gegen Zahlung von 0,70 DM zuzüglich Umsatzsteuer pro cbm abgebautem Kies berechtigte. Der Kläger übernahm die Verpflichtung, nach dem jeweiligen Abbau größerer Flächen den freigewordenen Teil der Kiesgrube auf seine Kosten wieder aufzufüllen sowie mit Humus und Mutterboden zu überdecken. Der Abschluß dieses Vertrages wurde dem Finanzamt (Beklagten) als Anlage zur Gewerbesteuererklärung 1969 am 22. Juli 1970 mitgeteilt.
Im Rahmen der Umsatzsteuererklärungen 1969 mit 1971 machte der Kläger Vorsteuerbeträge i. S. des § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967) geltend, die auf der Annahme steuerpflichtiger Kieslieferungen der Eheleute H an ihn beruhten. Es handelt sich um die Beträge von 887, 15 DM für 1969, von 1 368,95 DM für 1970 und von 1 584,80 DM für 1971. Im Rahmen der endgültigen und bestandskräftigen Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1969 und 1970 wurden die geltend gemachten Vorsteuerbeträge erklärungsgemäß berücksichtigt (Steuerbescheide vom 30. Oktober 1970 und vom 27. Oktober 1971).
Anläßlich der Steuerfestsetzung für das Jahr 1969 fertigte der zuständige Sachbearbeiter des Finanzamts eine Kontrollmitteilung zu den Steuerakten der Eheleute H. Wegen einer Personenverwechslung mit Eheleuten gleichen Namens in derselben Gemeinde konnten die Eheleute H erst am 10. April 1972 zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen aufgefordert werden; diese gingen am 13. November 1972 beim Finanzamt ein. Aus ihnen ergab sich, daß die Eheleute H wegen der Leistungen aus dem Vertrag vom 10. Juni 1969 nicht gemäß § 9 UStG 1967 zur Regelbesteuerung optieren wollten, und daß die Abrechnung zwischen den Vertragspartnern im Wege von Gutschriften i. S. des § 5 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Umsatzsteuergesetzes - Mehrwertsteuer - (1. UStDV) erfolgt war, welche der Kläger ausgestellt hatte.
Auf Grund einer nachfolgenden Umsatzsteuersonderprüfung stellte sich das Finanzamt auf den Standpunkt, die Vertragsparteien hätten einen Kiesausbeutevertrag abgeschlossen, der als Pachtvertrag zu beurteilen sei. Die Eheleute H hätten mithin mangels Option gemäß § 9 UStG 1967 steuerfreie Leistungen i. S. des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 erbracht und seien daher nicht zum gesonderten Steuerausweis berechtigt gewesen. Fehle es an dieser Berechtigung, könne der Leistungsempfänger nicht gemäß § 5 der 1. UStDV im Wege der Gutschrift abrechnen und hierauf bezüglich der in der Gutschrift ausgewiesenen Umsatzsteuer seine Berechtigung zum Vorsteuerabzug stützen.
Durch Berichtigungsbescheide für die Jahre 1969 und 1970, die auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO a. F.) gestützt sind, hat das Finanzamt den Vorsteuerabzug bezüglich der Beträge von 887, 15 DM und 1 368,95 DM versagt. In der erstmaligen Steuerfestsetzung für 1971 ist der Betrag von 1 584,80 DM nicht als gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 abzugsfähig anerkannt worden.
Mit der Klage hat der Kläger begehrt, ihm die Vorsteuerbeträge als abzugsfähig zuzuerkennen. Das Finanzgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt: Die Voraussetzungen einer Berichtigungsveranlagung lägen vor. Dem Finanzamt sei erst nach Durchführung der Veranlagungen für die Jahre 1969 und 1970 bekanntgeworden, daß die Eheleute H nicht gemäß § 9 UStG 1967 bezüglich ihrer von § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 erfaßten Leistungen zur Steuerpflicht optiert hätten. Der Kläger könne sich nicht darauf berufen, daß er das Finanzamt anläßlich der Veranlagung 1969 von dem Verfahren der Gutschriftserteilung unterrichtet haben wolle. Das Finanzamt sei nicht verpflichtet gewesen, auf Grund dieses Hinweises und der eingereichten Steuererklärungen zunächst Nachforschungen bei den Eheleuten H anzustellen. Es sei allein Sache des steuerlich beratenen Klägers gewesen, sich davon zu überzeugen, daß die Eheleute H zur Ausstellung von Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis berechtigt gewesen seien. Das Finanzamt habe darauf vertrauen können, daß die unter Mithilfe eines Steuerberaters gefertigten Steuererklärungen des Klägers den gegebenen Tatsachen entsprechen. Die Steuerfestsetzung 1971 sei als erstmalige Veranlagung von den Einwendungen des Klägers zu § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO a. F. nicht betroffen. Im übrigen hält das Finanzgericht die steuerrechtliche Beurteilung des Finanzamts für zutreffend. Gegen das Urteil richtet sich die Revision des Klägers; er rügt Verletzung des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO a. F.: Das Finanzamt sei über das gehandhabte Abrechnungsverfahren vor Vornahme der Steuerfestsetzungen unterrichtet worden. Er habe dargelegt, daß ihm die steuerlichen Verhältnisse der Eheleute H nicht bekannt seien. Dies habe das Finanzamt zur Fertigung der Kontrollmitteilung veranlaßt. Mithin habe das Finanzamt eine ihm bekannte Tatsache zum Anlaß einer Berichtigungsveranlagung genommen. Es verstoße auch gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, weil es trotz vorheriger Absprache und gegenseitiger Einigung nach mehr als zwei Jahren eine Steuer fordere, die bereits bei der Veranlagung 1969 Grund zur Beanstandung gegeben habe.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Er schließt sich im wesentlichen den Ausführungen des Finanzgerichts an. Zusätzlich führt er aus, eine Zusage, den Vorsteuerabzug auf Grund von Gutschriften anzuerkennen, sei dem Kläger nicht gegeben worden. Umsatzsteuerrechtlich sei es unbeachtlich, wenn der Kläger aus den vertraglichen Vereinbarungen und zusätzlichen Erklärungen der Eheleute H geschlossen habe, daß sie ihre Leistungen der Umsatzsteuer unterwerfen würden.
Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
1. Die vertraglichen Vereinbarungen vom 10. Juni 1969 sind als Kiesausbeutevertrag und damit als Pachtvertrag zu beurteilen (vgl. Eckhardt/Weiß, Umsatzsteuergesetz 1967, § 4 Nr. 12 Tz. 13, und Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz - Mehrwertsteuer -, Kommentar, 6. Aufl., § 4 Nr. 12 Tz. 17, beide mit Nachweis der Rechtsprechung). Die vertraglichen Leistungen der Eheleute H an den Kläger sind somit grundsätzlich von der Steuerfreiheit des § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 erfaßt. Eine Steuerpflicht nach § 24 UStG 1967 scheidet aus, da die Kiesgrube (ein Substanzbetrieb) nur als landwirtschaftlicher Nebenbetrieb i. S. des § 24 Abs. 2 UStG 1967 von dieser Vorschrift erfaßt würde. Das ist jedoch in Anbetracht der alleinigen Ausbeute des Grundstücks durch den Kläger zu verneinen (vgl. § 24 Abs. 3 UStG 1967).
Die Eheleute H haben bezüglich der von § 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1967 erfaßten Leistungen nicht gemäß § 9 UStG 1967 zur Steuerpflicht optiert, so daß es bei der Steuerfreiheit dieser Leistungen verbleibt. Als Unternehmer i. S. des § 24 UStG 1967 (bzw. im Falle einer Option gemäß § 24 Abs. 4 UStG 1967 als Regelversteuerer) waren sie zwar grundsätzlich zum gesonderten Ausweis der Umsatzsteuer berechtigte Unternehmer. Für die an den Kläger erbrachten Leistungen konnten sie jedoch wegen der Steuerfreiheit keine Umsatzsteuer gesondert in Rechnung stellen. Hätten sie dem - was nicht der Fall ist - zuwidergehandelt, so hätten sie die Steuer gemäß § 14 Abs. 2 oder 3 UStG 1967 (was hier unentschieden bleiben kann) geschuldet, da der Kläger als Leistungsempfänger insoweit gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1967 zum Vorsteuerabzug berechtigt gewesen wäre.
2. Die Beteiligten des Leistungsaustausches haben statt des Rechnungsausstellungsverfahrens eine Abrechnung im Wege des sogenannten Gutschriftsverfahrens gewählt. Der Bundesfinanzhof hat § 5 der 1. UStDV, der dieses Verfahren regelt, zwar für rechtsungültig erklärt (Urteil vom 17. Mai 1979 V R 112/74, BFHE 128, 115, BStBl II 1979, 657). Selbst bei Rechtsgültigkeit dieser Vorschrift könnte der Kläger aber aus den von ihm erteilten Gutschriften einen Anspruch auf Vorsteuerabzug nicht herleiten. Denn § 5 Abs. 1 der 1. UStDV setzt voraus, daß der Unternehmer über eine steuerpflichtige Leistung abrechnet. Eine solche liegt hier jedoch nicht vor (vgl. oben Absatz 1).
3. Das Finanzamt war befugt, dem Kläger den zu Unrecht in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug im Wege der auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO a. F. gestützten Berichtigungsveranlagungen zu versagen. Im Zeitpunkt der erstmaligen Steuerfestsetzungen für die jahre 1969 und 1970 war dem Finanzamt nicht bekannt, daß der Kläger über in Wirklichkeit steuerfreie Leistungen der Eheleute H abrechnete. Es liegt im Wesen des von den Beteiligten des Leistungsaustausches gewählten Gutschriftsverfahrens, daß es von einer steuerrechtlichen Beurteilung des Leistungsaustausches durch die Beteiligten getragen wird. Ob diese Beurteilung richtig ist, kann das für den Gutschriftsaussteller zuständige Finanzamt schon deswegen nicht nachprüfen, weil zur steuerrechtlichen Würdigung bezüglich der abgerechneten Leistungen das für den Gutschriftsempfänger (leistenden Unternehmer) zuständige Finanzamt berufen ist. Um diesem die sachliche Prüfung zu ermöglichen oder zu erleichtern, kann es in geeigneter Weise von dem für den Gutschriftsaussteller (Leistungsempfänger) zuständigen Finanzamt informiert werden (z. B. durch Kontrollmitteilungen).
Jedenfalls ist dieses Finanzamt nicht verpflichtet, den steuerlichen Vorgang, auf den der Gutschriftsaussteller mit Hilfe des von ihm ausgestellten Eigenbelegs (Gutschrift) seine Vorsteuerabzugsberechtigung stützt, im Steuerfestsetzungsverfahren des Gutschriftsausstellers vollständig zu klären. Ein solches Verlangen - wie es der Kläger stellt - würde den Rahmen der Ermittlungspflichten, wie sie dem Finanzamt beim Steuerfestsetzungsverfahren obliegen, weit überschreiten und im Ergebnis - abgesehen von der dargestellten Zuständigkeitsverlagerung - Ermittlungsmaßnahmen bedingen, die in den Bereich einer Außenprüfung gehören (§§ 193 ff. der Abgabenordnung - AO 1977 -; früher Betriebsprüfung i. S. des § 162 AO a. F.). Eine Verletzung der Ermittlungspflichten des beklagten Finanzamts in dem Sinne, es hätte die ihm nicht bekannte Tatsache, daß die Eheleute H steuerfreie Leistungen erbracht haben, bei gehöriger Erfüllung seiner Pflichten kennen müssen, ist deshalb zu verneinen.
Der Senat verkennt nicht, daß der Gutschriftsaussteller im Falle ungesicherter rechtlicher Beurteilung von umsatzsteuerrechtlich relevanten Vorgängen ein erhebliches steuerliches Risiko eingeht. Seine steuerliche Behandlung zum Vorsteuerabzug kann sich jedoch nicht nach der rechtlichen Beurteilung richten, die die Beteiligten des Leistungsaustausches bei Vertragsabschluß eingenommen haben. Ein etwaiger guter Glaube an die Richtigkeit dieser Beurteilung ist nicht geschützt, da andernfalls an die Stelle der Besteuerung nach dem Gesetz die Besteuerung nach den Vorstellungen der Beteiligten über den Inhalt des Gesetzes treten würde. Wegen der besonderen und auf dem Wesen des Gutschriftsverfahrens beruhenden erschwerenden Voraussetzungen des Zugangs zum Vorsteuerabzug ist - jedenfalls im Falle von Unklarheiten über die Steuerpflicht der Leistungen - das Rechnungsausstellungsverfahren besser geeignet, einseitige Nachteile für einen Beteiligten aufzufangen. Bei der Wahl des Gutschriftsverfahrens muß es deswegen den Beteiligten überlassen bleiben, zweckmäßigerweise eine abweichende steuerrechtliche Beurteilung durch die Finanzbehörden bei Gestaltung der zivilrechtlichen Vereinbarungen zu berücksichtigen.
Soweit das Vorbringen des Klägers darauf hindeutet, die Steuerpflicht der Leistungen und damit der Vorsteuerabzug des Klägers hätte durch eine Option der Eheleute H gemäß § 9 UStG 1967 sichergestellt werden sollen, führt das hiervon abweichende Verhalten der Eheleute H zu der Frage, ob der Kläger gemäß dem Vertrag den Zuschlag der Umsatzsteuer zum Nettopreis schuldete und damit die Umsatzsteuer wegen des fehlenden Vorsteuerabzugs zu einem echten Kostenbestandteil wurde. Die Klärung dieser Frage nach dem zivilrechtlichen Kaufpreis und die Bedeutung des Umstandes, daß die Bauerseheleute H möglicherweise ihre vertraglichen Pflichten verletzt haben, fällt jedoch in die Zuständigkeit der Zivilgerichte.
Die für die Gewichtigkeit neuer Tatsachen i. S. des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO a. F. vom Bundesfinanzhof aufgestellten Wert- und Betragsgrenzen sind in beiden Jahren erreicht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. Februar. 1962 V 180/59 U, BFHE 74, 610, BStBl III 1962, 225). Es sind keine Gründe ersichtlich, von ihnen im Bereich des neuen Umsatzsteuersystems abzuweichen (vgl. Weiß in Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1974/75 S. 298, 303). Für den Besteuerungszeitraum 1971 hat das Finanzamt erstmalig eine Steuerfestsetzung vorgenommen, bei der es sich, ohne an die Voraussetzungen des § 222 Abs. 1 Nr. 1 AO a. F. gebunden zu sein, auf die Prüfungsfeststellungen stützen konnte.
Fundstellen
BStBl II 1980, 369 |
BFHE 1980, 85 |