Leitsatz (amtlich)
Für die Klage eines Kassenarztes gegen eine Kassenärztliche Vereinigung, mit der erstrebt wird, der Beklagten zu untersagen, einem Mitbewerber des Klägers dessen Abrechnungsunterlagen zur Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit und Plausibilität zu überlassen (§ 83 Abs. 2 Satz 1 SGB V), ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet.
Normenkette
SGG § 51 Abs. 2 S. 1 Nr. 1; GVG § 17a Abs. 4 S. 4; SGB V § 83 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluß des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 20. Juli 1998 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde der Kläger gegen den Beschluß der 9. Kammer für Handelssachen des Landgerichts München I vom 5. Mai 1998 wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Der Beschwerdewert wird auf 200.000,– DM festgesetzt.
Gründe
I. Die Kläger sind in M. niedergelassene Laborärzte und Mikrobiologen. Sie gehören der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, kraft Gesetzes als Mitglieder an. Die Beklagte hat insbesondere die Aufgabe, die Abrechnungen der Kassenärzte im Verhältnis zu den Krankenkassen zu bearbeiten und die von den Krankenkassen gezahlten Honorare an die Kassenärzte zu verteilen.
Nachdem es unter den Mitgliedern der Beklagten im Jahre 1996 zu Verdächtigungen über überhöhte Honorarabrechnungen von Laborärzten gekommen war, setzte die Beklagte im Dezember 1996 eine Arbeitsgruppe zu diesem Problembereich ein. Mit der fachlichen Beratung der Arbeitsgruppe betraute sie im Januar 1997 unter anderem den zu ihren Mitgliedern zählenden Laborarzt Dr. S. in A., der die größte Laborarztpraxis in Bayern betreibt und mit den Klägern im Wettbewerb steht. In einem Rundschreiben an alle niedergelassenen Ärzte in Bayern vom 20. Mai 1997 stellte Dr. S. die Behauptung auf, es gebe „einige hoch abrechnende Laborärzte, die sich über den Punktwertstützungsmechanismus schamlos am Honorartopf der bayerischen Kassenärzte” bedienten.
Nachdem die genannte Arbeitsgruppe „erhebliche Inplausibilitäten bei der Laborabrechnung” festgestellt zu haben glaubte, erteilte die Beklagte ihr am 22. August 1997 den Auftrag zu einer Vorprüfung des Abrechnungsverhaltens im gesamten Laborsektor. Am 2. September 1997 überließ die Beklagte Dr. S. auf Datenträgern gespeicherte Abrechnungsunterlagen der Kläger zur Auswertung im Rahmen des Vorprüfungsauftrags auf seinen eigenen Datenverarbeitungsanlagen.
Dr. S. trat am 16. Oktober 1997 von seiner Beraterposition zurück. Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Kläger wurde ihm jedoch weiterhin die Mitnahme von Abrechnungsunterlagen von Laborärzten – insbesondere auch derjenigen der Kläger – in seine Praxis erlaubt. Im Dezember 1997/Januar 1998 war er jedenfalls noch mit solchen Abrechnungsunterlagen in seiner Praxis befaßt.
Die Kläger haben die generelle Befugnis der Beklagten zur Prüfung der Abrechnungen ihrer Mitglieder nicht in Abrede gestellt. Sie sind der Auffassung, Dr. S. dürfe jedoch nicht mit der Prüfung betraut werden, da er gemäß § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB X vom Verfahren ausgeschlossen sei. Die im Rahmen der Vorprüfung erlangten Kenntnisse über die den Laborärzten erteilten Untersuchungsaufträge und die diese Aufträge erteilenden Arztpraxen ermöglichten es ihm, im Kreis dieser Ärzte, wie bereits im Schreiben vom 20. Mai 1997 geschehen, gezielt für seine Praxis zu werben. Die Beklagte habe Dr. S. gezielt und in der Absicht, dessen Wettbewerb mit den anderen niedergelassenen Laborärzten zu fördern, mit der Vorprüfungstätigkeit betraut und ihm die Abrechnungsunterlagen seiner Mitbewerber überlassen. Damit verstoße sie gegen § 1 UWG.
Die Kläger haben beantragt,
- die Beklagte unter Androhung näher bezeichneter Ordnungsmittel zu verurteilen, es zu unterlassen,
- Überweisungsscheine, kassenärztliche Abrechnungsunterlagen, Abrechnungsdisketten und andere geschäftliche Unterlagen der Kläger, die ihr im Rahmen ihrer dienstlichen Belange zur Verfügung gestellt oder überlassen werden, dem Laborarzt Dr. med. S. im Original oder in Form von Kopien auszuhändigen oder zur Verfügung zu stellen oder ihm Einsicht in diese Unterlagen zu gewähren.
Die Beklagte hat unter Hinweis auf § 51 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGG die Zulässigkeit des Rechtsweges zu den Zivilgerichten gerügt; sie hält die Sozialgerichte für zuständig.
Das Landgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit für unzulässig erachtet und den Rechtsstreit an das Sozialgericht München verwiesen.
Auf die sofortige Beschwerde der Kläger hat das Beschwerdegericht den angefochtenen Beschluß aufgehoben und festgestellt, daß der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet sei.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde.
II. Die zulässige weitere sofortige Beschwerde hat Erfolg.
Das Beschwerdegericht hat angenommen, daß der Rechtsstreit als bürgerlich-rechtliche Streitigkeit gemäß § 13 GVG vor die ordentlichen Gerichte gehört und daß eine spezielle Rechtswegzuweisung nach § 51 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht eingreift. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Dem Beschwerdegericht kann schon nicht darin beigetreten werden, daß es sich bei dem von den Klägern verfolgten Unterlassungsbegehren um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit handelt, für die nach § 13 GVG der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist. Unabhängig davon, daß eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit i.S. von § 51 Abs. 1 SGG gegeben ist, ergibt sich die Zuständigkeit der Sozialgerichte im vorliegenden Fall aus § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGG (in der Fassung des Art. 32 Nr. 3 des Gesundheitsreformgesetzes – GRG – vom 20. Dezember 1988, BGBl. I 2477). Nach dieser Bestimmung entscheiden die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit über Streitigkeiten, die in Angelegenheiten nach dem SGB V aufgrund der Beziehungen zwischen Ärzten und Kassenärztlichen Vereinigungen entstehen. Diese Voraussetzungen sind entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts auch im Streitfall gegeben.
2. Das Beschwerdegericht hat im rechtlichen Ausgangspunkt an sich nicht verkannt, daß es für die Bestimmung des zulässigen Rechtsweges maßgeblich darauf ankommt, ob die in Rede stehende Streitsache nach dem Sachvortrag der Kläger ihren Schwerpunkt in den durch das SGB V begründeten Rechtsbeziehungen der Parteien oder in ihren sonstigen privatrechtlichen Beziehungen zueinander hat (vgl. BGH, Beschl. v. 5.6.1997 - I ZB 3/96, GRUR 1998, 174 = WRP 1998, 55 - Fachhochschuljurist, m.w.N.). Es hat jedoch zu Unrecht angenommen, daß vorliegend letzteres der Fall ist. Die von den Klägern beanstandete Weitergabe von Abrechnungsunterlagen zum Zwecke ihrer Überprüfung auf Rechtmäßigkeit und Plausibilität nach § 83 Abs. 2 Satz 1 SGB V erfolgt aufgrund hoheitlicher Befugnisse der Beklagten. Ein Streit darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, die Abrechnungsunterlagen einem bestimmten Prüfer auszuhändigen, ist daher dem öffentlichen Recht zuzurechnen.
Der Beklagten obliegt im Rahmen ihres öffentlich-rechtlichen Sicherstellungsauftrages (§§ 72, 73 SGB V) nach § 85 Abs. 4 Satz 1 SGB V auch die Verteilung der von den gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung gestellten Gesamtvergütung an die einzelnen Kassenärzte. Gemäß § 83 Abs. 2 Satz 1 SGB V ist sie berechtigt, die von den Kassenärzten eingereichten Abrechnungen auf Rechtmäßigkeit durch Plausibilitätskontrollen zu überprüfen. Der auf einer öffentlich-rechtlichen Norm beruhenden Prüfungsberechtigung der Beklagten steht die ebenfalls dem öffentlichen Recht zuzuordnende Verpflichtung der Kläger gegenüber, an einer von der Beklagten angeordneten Abrechnungsprüfung durch Herausgabe aller dafür erforderlichen Unterlagen mitzuwirken. Das wird von den Klägern grundsätzlich auch nicht in Abrede gestellt.
Nach dem unstreitigen Sachverhalt hat die Beklagte im Dezember 1996 eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die sich insbesondere mit der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der von Laborärzten eingereichten Abrechnungen befassen soll. Mit der fachlichen Beratung der Arbeitsgruppe wurde unter anderem ein Mitbewerber der Kläger, der in A. niedergelassene Laborarzt Dr. S., betraut. Bei der Bestellung der in Rede stehenden Arbeitsgruppe und der Betrauung von Dr. S. mit Prüfertätigkeiten ist die Beklagte hoheitlich tätig geworden, wie sich insbesondere aus § 83 Abs. 2 Satz 1 SGB V i.V. mit § 8 SGB X ergibt.
Dem Vorbringen der Kläger in der Klageschrift ist zu entnehmen, daß sie sich hauptsächlich gegen die Betrauung ihres Mitbewerbers Dr. S. mit der Überprüfung ihrer Abrechnungsunterlagen wenden, weil sie diese Maßnahme der Beklagten für unzulässig halten. Denn sie haben vorgebracht (S. 12 der Klageschrift), bei Dr. S. handele es sich um einen Arzt, der wegen seines eigenen geschäftlichen Auftretens als ausgeschlossen vom Verfahren i.S. von § 16 Abs. 1 Satz 2 SGB X gelten müsse. Dr. S. setze (auch) hoheitliche Befugnisse der Beklagten dazu ein, „seine laborärztlichen Konkurrenten im Wege von öffentlich-rechtlichen – von ihm maßgeblich beeinflußten – Abrechnungsüberprüfungen unter wirtschaftlichen Druck zu setzen” (Klageschrift S. 14). Den Klägern geht es danach im Kern darum, daß Dr. S. nicht mit einer der Beklagten nach § 83 Abs. 2 Satz 1 SGB V obliegenden Prüfungspflicht betraut werden darf, wie sie in der Klageschrift Seite 12 auch selbst eingeräumt haben. Sie beanstanden mithin ein hoheitliches Handeln der Beklagten, das seine Grundlage im SGB V hat. Für eine derartige Streitigkeit ist nach § 51 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGG die Zuständigkeit der Sozialgerichte gegeben. Denn den Klägern geht es auch gerade darum, daß Dr. S. in der Zukunft von der Beklagten nicht erneut mit der Überprüfung ihrer Abrechnungsunterlagen betraut wird.
III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Erdmann, Mees, v. Ungern-Sternberg, Bornkamm, Pokrant
Fundstellen
BB 1999, 1440 |
NJW 1999, 1786 |
GRUR 1999, 520 |
Nachschlagewerk BGH |
ArztR 1999, 167 |
MDR 1999, 886 |
MedR 1999, 220 |
SGb 1999, 320 |
VersR 1999, 1436 |
WRP 1999, 439 |
NJWE-WettbR 1999, 169 |
AusR 1999, 166 |
Breith. 1999, 760 |