Leitsatz (amtlich)
a) Werden im Rahmen der Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe die berufsbedingten Fahrtkosten in Anlehnung an § 3 Abs. 6 Nr. 2 Buchst. a der Durchführungsverordnung zu § 82 SGB XII ermittelt, ist die Begrenzung des Fahrtkostenabzugs auf Fahrtstrecken von bis zu 40 Entfernungskilometern nicht anzuwenden.
b) Die Pauschale von monatlich 5,20 EUR je Entfernungskilometer deckt nur die Betriebskosten einschließlich Steuern ab. Zusätzlich sind konkret nachgewiesene Anschaffungskosten eines für den Weg zur Arbeit erforderlichen Fahrzeugs als besondere Belastung i.S.d. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO zu berücksichtigen (im Anschluss an BGH v. 13.6.2012 - XII ZB 658/11 - juris Rz. 21 m.w.N.).
Normenkette
ZPO § 115; SGB XII § 82
Verfahrensgang
OLG Bamberg (Beschluss vom 11.05.2011; Aktenzeichen 7 WF 137/11) |
AG Bad Kissingen (Entscheidung vom 28.02.2011; Aktenzeichen 1 F 861/10) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Staatskasse des Freistaats Bayern gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats - Familiensenat - des OLG Bamberg vom 11.5.2011 wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Rechtsbeschwerde betrifft die Frage, in welcher Höhe Fahrtkosten für den Weg zur Arbeitsstätte bei der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zu berücksichtigen sind.
Rz. 2
Der Antragsgegner wird von seiner getrennt lebenden Ehefrau auf Kindesunterhalt in Anspruch genommen. Das FamG hat ihm Verfahrenskostenhilfe bewilligt und monatliche Ratenzahlungen i.H.v. 15 EUR angeordnet. Von dem für die Prozessführung einzusetzenden Einkommen hat es Fahrtkosten für den Weg zur 110 km entfernten Arbeitsstätte i.H.v. 916 EUR monatlich abgesetzt, berechnet auf der Grundlage von arbeitstäglich je 0,30 EUR für die ersten 30 km und je 0,20 EUR für die weitere Wegstrecke. Die monatliche Belastung von 115,91 EUR aus dem für die Anschaffung des Pkw aufgenommenen Darlehen hat es nicht zusätzlich abgesetzt.
Rz. 3
Hiergegen hat der Antragsgegner Beschwerde eingelegt, mit der er die Absetzung seiner Darlehensaufwendungen verfolgt hat. Der Bezirksrevisor hat im Abhilfeverfahren Stellung genommen und zugunsten des Antragsgegners ein geringeres Einkommen berücksichtigt sowie höhere Heizkosten und eine Teilkaskoversicherung, zu seinen Lasten jedoch geringere Fahrtkosten zur Arbeitsstätte von nur 5,20 EUR monatlich für je 110 km einfache Wegstrecke abgesetzt. Das OLG hat seiner Entscheidung die Berechnung des Bezirksrevisors zugrunde gelegt mit Ausnahme der Fahrtkosten zur Arbeitsstätte, die es wie das FamG mit 916 EUR monatlich abgesetzt hat, und hat auf dieser Berechnungsgrundlage die Ratenzahlungsanordnung aufgehoben. Hiergegen wendet sich die Staatskasse des Landes mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der sie ihre Rechtsauffassung zum Fahrtkostenabzug weiter verfolgt.
II.
Rz. 4
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (vgl. BGH v. 15.2.2012 - XII ZB 451/11, FamRZ 2012, 619 Rz. 5), da sie zugelassen ist und es um Fragen der persönlichen Voraussetzungen der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe geht (vgl. BGH v. 4.8.2004 - XII ZA 6/04, FamRZ 2004, 1633 [1634]; BGH Beschl. v. 21.11.2002 - V ZB 40/02, FamRZ 2003, 671). Die Staatskasse ist gem. § 127 Abs. 3 ZPO beschwerdebefugt und ordnungsgemäß durch den Präsidenten des LG vertreten, § 114 Abs. 3 Satz 1 und 2 FamFG.
Rz. 5
Die Rechtsbeschwerde ist jedoch im Ergebnis nicht begründet.
Rz. 6
1. Das OLG hat unter Bezugnahme auf eine in FamRZ 2010, 54 veröffentlichte Entscheidung des OLG Celle ausgeführt: Die Kosten für die Fahrten zur Arbeit im Rahmen der Bestimmung des einzusetzenden Einkommens unterschieden sich nicht von denjenigen Fahrtkosten, die gem. Ziff. 10.2.2 der jeweils geltenden Leitlinien der Unterhaltsberechnung zugrunde lägen. Die Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII sei insoweit weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar, da § 115 Abs. 1 ZPO nur Bezug auf § 82 SGB XII nehme, nicht jedoch auf § 96 SGB XII, der die Ermächtigung für den Erlass der Verordnung enthalte. Zudem habe der Gesetzgeber ausdrücklich davon abgesehen, die Gerichte an das abweichend strukturierte Sozialhilferecht zu binden. Maßgeblich seien vielmehr die tatsächlich notwendigen Ausgaben. Gemäß den Süddeutschen Unterhaltsleitlinien seien die Sätze nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG anzuwenden, wonach für die ersten 30 km ein Betrag von 0,30 EUR und für jeden Mehrkilometer ein Betrag von 0,20 EUR abzusetzen sei. Hiernach ergebe sich für den Antragsgegner bei einer einfachen Wegstrecke von 110 km folgender Fahrtkostenabzug: Für die ersten 30 Kilometer: 30 km x 0,30 EUR x 2x 220 Arbeitstage = 3.960 EUR jährlich/12 Monate = 330 EUR monatlich, für die weiteren Kilometer: 80 km x 0,20 EUR x 2x 220 Arbeitstage = 7.040 EUR jährlich/12 Monate = 586 EUR monatlich, insgesamt somit 916 EUR monatlich. Danach verbleibe dem Antragsgegner kein einzusetzendes Einkommen mehr, so dass keine Monatsraten festzusetzen seien.
Rz. 7
2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
Rz. 8
a) Gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1, 2 ZPO hat ein Beteiligter, der um Verfahrenskostenhilfe nachsucht, sein Einkommen einzusetzen. Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert.
Rz. 9
Die Definition des Einkommensbegriffs in § 115 ZPO stimmt wörtlich mit der einleitenden Begriffsbestimmung des § 82 Abs. 1 SGB XII überein. Auch hinsichtlich der vom Einkommen vorzunehmenden Abzüge wird in § 115 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf § 82 Abs. 2 SGB XII verwiesen. Daraus wird deutlich, dass der Einkommensbegriff des § 115 Abs. 1 ZPO an denjenigen des Sozialhilferechts anknüpft. Dies erklärt sich daraus, dass Prozesskostenhilfe eine Form der Sozialhilfe im Bereich der Rechtspflege darstellt (vgl. BVerfGE 35, 348 = NJW 1974, 229, 230; BGH v. 26.1.2005 - XII ZB 234/03, FamRZ 2005, 605).
Rz. 10
b) Wie der Senat in einem ähnlich gelagerten Fall bereits entschieden hat (BGH v. 13.6.2012 - XII ZB 658/11 - juris Rz. 19 ff.), können die in den unterhaltsrechtlichen Leitlinien zum Ausdruck kommenden familienrechtlichen Grundsätze nicht unbesehen auf den sozialrechtlichen Einkommensbegriff übertragen werden, da das Unterhaltsrecht auf den Einkommensbegriff des Bürgerlichen Gesetzbuchs abstellt.
Rz. 11
Hingegen ist es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn die Fahrtkosten in Anlehnung an § 3 Abs. 6 Nr. 2a der Verordnung zur Durchführung des § 82 SGB XII (im Folgenden: DVO) ermittelt werden. Hiernach können - sofern keine öffentlichen Verkehrsmittel verfügbar sind - pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstätte monatlich 5,20 EUR abgesetzt werden (BGH v. 13.6.2012 - XII ZB 658/11 - juris Rz. 19 ff.).
Rz. 12
c) Entgegen einer in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Auffassung (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2008, 158; OLG Zweibrücken FamRZ 2006, 799; OLGReport Stuttgart 2008, 36; Motzer in MünchKomm/ZPO, 3. Aufl., § 115 Rz. 28) ist allerdings die in § 3 Abs. 6 Nr. 2a DVO weiter enthaltene Begrenzung des Fahrtkostenabzugs auf Fahrtstrecken von bis zu 40 Entfernungskilometern bei der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe nicht anzuwenden. Vielmehr ist grundsätzlich auch für darüber hinausgehende Strecken der Pauschbetrag von 5,20 EUR je km abzusetzen.
Rz. 13
Die im Sozialhilferecht verankerte Beschränkung auf maximal 40 Entfernungskilometer Wegstrecke zur Arbeit findet ihre Rechtfertigung darin, dass einem Beschäftigten, der mehr als 40 km von der Arbeitsstätte entfernt wohnt, grundsätzlich angesonnen werden kann, eine näher zur Arbeitsstätte gelegene Wohnung zu nehmen und dadurch unnötige Fahrtaufwendungen zu ersparen. Kommt er dem nicht nach, fallen ihm die Mehraufwendungen selbst zur Last.
Rz. 14
Anders liegt der Fall bei der Gewährung einer punktuellen Unterstützung wie der Prozess- und Verfahrenskostenhilfe (vgl. bereits OLG Dresden FamRZ 2011, 911, 912). Im Hinblick darauf wäre es unverhältnismäßig, einem Beschäftigten, der die über 40 Entfernungskilometer hinausgehenden Fahrtaufwendungen bereits auf Kosten seines Lebensunterhalts auf sich nimmt, diesen Abzug bei der Berechnung seiner Bedürftigkeit im Rahmen der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe zu verwehren. Ein Verlangen, anlässlich der anstehenden Prozess- oder Verfahrensführung eine näher zur Arbeitsstätte gelegene Wohnung zu nehmen, um für die Verfahrenskosten selbst aufkommen zu können, wäre im Hinblick auf den Zweck der Verfahrenskostenhilfe, den Zugang zu den Gerichten jedermann in gleicher Weise zu eröffnen, nicht angemessen (vgl. auch LAG Baden-Württemberg Beschl. v. 2.9.2009 - 4 Ta 7/09 - juris Rz. 23; LAG Köln Beschl. v. 3.11.2010 - 3 Ta 257/10 - juris Rz. 6; vgl. auch OLG Karlsruhe FamRZ 2009, 1424).
Rz. 15
d) Allerdings deckt die Pauschale von monatlich 5,20 EUR je Entfernungskilometer nur die Betriebskosten einschließlich Steuern ab. Zusätzlich sind konkret nachgewiesene Anschaffungskosten als besondere Belastung i.S.d. § 115 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 ZPO zu berücksichtigen (BGH v. 13.6.2012 - XII ZB 658/11 - juris Rz. 21 m.w.N.). Daher sind die vom Antragsgegner nachgewiesenen Darlehensraten von monatlich 115,91 EUR für die Anschaffung eines Opel Corsa im Jahre 2010 zusätzlich abzusetzen. Dass die Anschaffung des für den Weg zur Arbeit erforderlichen Fahrzeugs unnötig gewesen sei und im Hinblick auf den bereits abzusehenden Rechtsstreit hätte zurückgestellt werden können, ist nicht ersichtlich.
Rz. 16
4. Unter Berücksichtigung der im Übrigen unstreitigen Einkommens- und Abzugspositionen verbleibt damit kein einzusetzendes Einkommen, so dass das OLG im Ergebnis zu Recht keine Ratenzahlung angeordnet hat.
Fundstellen
Haufe-Index 3289210 |
EBE/BGH 2012 |
FamRZ 2012, 1629 |
FuR 2012, 650 |
NJW-RR 2012, 1282 |
JurBüro 2012, 657 |
JZ 2012, 665 |
MDR 2012, 1182 |
ZfS 2012, 710 |
FF 2012, 423 |
FamFR 2012, 476 |
FamRB 2012, 375 |
RVGreport 2012, 438 |