Leitsatz (amtlich)
Ein Richter kann nicht wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn er die anwaltlich vertretenen Parteien zur Erläuterung eines Vergleichsvorschlags auf eine Veränderung des rechtlichen Gesichtspunkts und – als eine der sich daraus ergebenden Folgen – auf die Verjährung hinweist.
Normenkette
ZPO § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
OLG Koblenz (Entscheidung vom 12.06.1996; Aktenzeichen 7 U 627/95) |
LG Koblenz (Entscheidung vom 30.03.1995; Aktenzeichen 5 O 365/94) |
Tenor
Das Ablehnungsgesuch der Klägerin gegen den Richter am Bundesgerichtshof R. wird für unbegründet erklärt.
Gründe
Die Klägerin verlangt die Rückzahlung überzahlter Versorgungsbezüge aus den Jahren 1988 bis 1993. Die Vorinstanzen haben der Klage auf der Grundlage von §§ 812 ff. BGB stattgegeben. Der Senat hat die Revision des Beklagten angenommen und den Berichterstatter mit einem Güteversuch beauftragt. Dieser hat den Parteien mitgeteilt, der Senat neige dazu, auch im vorliegenden Fall die in drei näher bezeichneten Urteilen entwickelten Grundsätze anzuwenden. Aus den in Bezug genommenen Entscheidungen ergibt sich, daß nicht Bereicherungs-, sondern dem Versicherungsvertragsgesetz unterliegendes Vertragsrecht anzuwenden sei. Wie schon die den Entscheidungen vorangestellten Leitsätze ausweisen, war damit jeweils weiterer Kernpunkt des Rechtsstreits, daß nur noch die zweijährige Verjährungsfrist des § 12 Abs. 1 VVG Anwendung zu finden hatte. Dementsprechend findet sich im Schreiben des Berichterstatters folgender Satz:
„Danach kommt eine teilweise Verjährung des etwaigen Anspruchs der Klägerin in Betracht.”
Anschließend hat der Berichterstatter den Betrag errechnet, der „bei Annahme der Verjährung” zugunsten der Klägerin verbliebe. Das ist der Ausgangspunkt seines Vergleichsvorschlags, bei dem weiterhin der ungewisse Ausgang einer nach Zurückverweisung der Sache erforderlichen Beweisaufnahme berücksichtigt worden ist.
Die Klägerin hat den Berichterstatter als befangen abgelehnt, weil die Einrede der Verjährung bisher nicht erhoben worden war.
Das Ablehnungsgesuch ist nicht begründet.
Ob ein richterlicher Hinweis auf die Verjährungseinrede überhaupt geeignet ist, Mißtrauen gegen seine Unparteilichkeit und damit die Besorgnis der Befangenheit i.S.v. § 42 Abs. 2 ZPO zu rechtfertigen, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten; eine herrschende Meinung läßt sich heute kaum noch ausmachen (Stein/Jonas/Bork, ZPO 21. Aufl. § 42 Rdn. 11 Fn. 58; vgl. auch Zöller/Vollkommer, ZPO 20. Aufl. § 42 Rdn. 27; MünchKomm/Feiber, ZPO § 42 Rdn. 33; alle m.w.N.). Der Bundesgerichtshof hat sich bisher lediglich zu der – oft im Zusammenhang mit § 42 ZPO erörterten und ähnlich kontroversen, von der Befangenheit aber zu unterscheidenden – Frage geäußert, ob der Richter gemäß § 139 ZPO verpflichtet ist, auf eine von der Partei nicht erhobene Einrede hinzuweisen, und dies für das Zurückbehaltungsrecht verneint (Urteil vom 18. November 1968 – II ZR 152/67 – NJW 1969, 691, 693 unter III).
Zwar spricht viel dafür, der richterliche Hinweis auf die Verjährungseinrede müsse als heute zumindest vertretbare, jedenfalls nicht unsachliche oder willkürliche Anwendung von § 139 ZPO angesehen werden (allgemein zu für unrichtig gehaltenen Rechtsauffassungen des abgelehnten Richters BGH, Beschluß vom 29. November 1995 – XII ZR 140/94 – BGHR ZPO § 42 Abs. 2, Rechtsauffassung 1). Der vorliegende Fall nötigt aber nicht zu einer grundsätzlichen Entscheidung der Streitfrage. Die von den Vertretern der Unzulässigkeit eines solchen Hinweises angeführten Gesichtspunkte greifen hier nicht ein.
a) Geltend gemacht wird, aus der maßgeblichen Sicht der ablehnenden Partei gebe ein richterlicher Hinweis auf die Verjährungseinrede einen auch objektiv vernünftigen Grund zu der Befürchtung, der Richter mache sich zum Sachwalter der Gegenpartei und wolle sie begünstigen; dies gelte insbesondere, wenn die Gegenpartei anwaltlich vertreten und damit rechtlich beraten sei (so etwa OLG Bremen NJW 1986, 999; OLG Hamburg NJW 1984, 2710).
b) Hier liegt der Fall anders. Gemäß § 278 Abs. 3 ZPO mußten die Parteien auf die drei bereits angesprochenen Senatsurteile von dem Revisionsgericht hingewiesen werden. Aus diesen Urteilen folgt unübersehbar die Anwendbarkeit des § 12 Abs. 1 VVG. Da der Beklagte anwaltlich vertreten war und sich bislang insbesondere mit § 818 Abs. 3 BGB verteidigt hatte, konnte auch die Klägerin vernünftigerweise nicht erwarten, daß er die Möglichkeit ungenutzt lassen würde, die Einrede der gemäß § 12 Abs. 1 VVG dann für Teile des eingeklagten Anspruches greifenden Verjährung anstelle der Berufung auf den Bereicherungswegfall zu erheben.
c) Hinzu kommt, daß § 279 Abs. 1 ZPO, wonach das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung bedacht sein soll, es hier erforderlich machte, den Parteien die voraussichtliche weitere Entwicklung des Falles aufzuzeigen. Falls sich der Senat in einem Urteil entschließen würde, die Sache zur Prüfung auf neuer rechtlicher Grundlage zurückzuverweisen, hätten die Parteien Gelegenheit, neu vorzutragen und auch neue Verteidigungsmöglichkeiten wahrzunehmen. Diese Entwicklung konnte im vorliegenden Fall nicht sachgerecht für einen Vergleichsvorschlag abgeschätzt werden, wenn man die Erhebung der Verjährungseinrede außer Betracht gelassen hätte. Dann aber hätte es die Verständlichkeit des Vergleichsvorschlags zumindest mindern und seine Überzeugungskraft schwächen können, wenn ein für den Vergleichsbetrag so wesentlicher Rechnungsfaktor nicht offengelegt worden wäre. Danach rechtfertigt der Vergleichsvorschlag des Berichterstatters auch vom Standpunkt der Klägerin aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit nicht.
Unterschriften
Dr. Schmitz, Dr. Ritter, Dr. Schlichting, Terno, Seiffert
Fundstellen
Haufe-Index 1127383 |
HFR 1998, 685 |
NJW 1998, 612 |
DRiZ 1998, 509 |
JR 1998, 202 |
JurBüro 1998, 333 |
Nachschlagewerk BGH |
ZAP 1998, 16 |
AP, 0 |
FPR 2000, 161 |
MDR 1998, 303 |
SGb 1998, 270 |
SGb 1999, 133 |
VersR 1998, 1437 |