Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (KVB) als Bestandsschutz für Altersversicherungsverträge § 193
Leitsatz (amtlich)
Eine Mitgliedschaft in der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (KVB) fällt unter den Bestandsschutz für Altversicherungsverträge nach § 193 Abs. 3 Satz 3 VVG und genügt den Anforderungen an die Versicherungspflicht.
Normenkette
VVG § 193 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil der 23. Zivilkammer des LG Köln vom 11.5.2011 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Kläger mit Ausnahme der Kosten der Streithilfe, die der Streithelfer zu tragen hat.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Der Kläger begehrt von der Beklagten den Abschluss einer ergänzenden privaten Krankenversicherung zum Basistarif.
Rz. 2
Er ist als Ruhestandsbeamter der Deutschen Bundesbahn Mitglied der Krankenversorgung der Bundesbahnbeamten (im Folgenden: KVB). Nach den für ihn geltenden Tarifbedingungen der KVB werden u.a. stationäre sowie ein Teil der ambulanten ärztlichen Behandlungen zu 100 %, die übrigen ambulanten Behandlungen zu 90 % erstattet. Beförderungskosten werden ebenfalls zu 90 %, Zahnbehandlungen, -vorsorge und -ersatz sowie Kieferorthopädie werden zu 85 %, Arzneimittel schließlich teilweise zu 90 % und teilweise zu 100 % übernommen. Der Landrat des R.-Kreises, der dem Rechtsstreit als Streithelfer des Klägers beigetreten ist, gewährte dem Kläger zunächst ab dem 26.2.2009 Krankenhilfe nach § 19 Abs. 3 i.V.m. § 48 SGB XII hinsichtlich der nicht zu 100 % erstatteten Krankheitskosten. Im Mai 2009 forderte er den Kläger auf, einen Antrag auf Abschluss eines ergänzenden Basistarifs bei einem Versicherer zu stellen. Der Antrag auf Aufnahme in einen Tarif, der eine Versicherung der Restkosten für KVB-Versorgte aufgrund des Basistarifs enthält, lehnte die Beklagte im Juli 2009 ab. Zum 31.10.2009 stellte der Streithelfer die Krankenhilfegewährung für den Kläger ein.
Rz. 3
Mit der Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, mit ihm einen Krankenversicherungsvertrag nach § 193 Abs. 5 VVG i.V.m. § 12 Abs. 1a VAG im Umfang der durch die Krankenversicherung der Bundesbahnbeamten nicht zu erstattenden Krankenkosten abzuschließen. Das AG hat die Klage abgewiesen. Das LG hat die Berufung zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich der Kläger und der Streithelfer mit der Revision, mit der sie das Klagebegehren weiterverfolgen.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die Revision hat keinen Erfolg.
Rz. 5
I. Das Berufungsgericht - dessen Urteil in juris veröffentlicht ist - hat es dahinstehen lassen, ob der Kläger durch die zu seinen Gunsten bei der KVB bestehende Krankheitskostenversicherung als Beihilfeberechtigter anzusehen ist oder einen vergleichbaren Anspruch hat. Denn jedenfalls fehle es an der für den Kontrahierungszwang der Beklagten nach § 193 Abs. 5 Nr. 3 VVG normierten Voraussetzung, dass er zur Erfüllung der Pflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG ergänzenden Versicherungsschutz benötige. Das Gesetz verlange keine 100 %ige Abdeckung der Krankheitskosten. Auch Versicherungen, die einen absoluten oder prozentualen Selbstbehalt vorsähen, seien grundsätzlich geeignet, der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG zu genügen, solange sich der Selbstbehalt nicht über einen Betrag von 5.000 EUR kalenderjährlich auswirke. Es handele sich hier um eine Vollversicherung mit einem prozentualen Selbstbehalt für bestimmte Arten der Behandlung.
Rz. 6
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Ergebnis stand.
Rz. 7
1. Das Berufungsgericht hat zutreffend einen Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Versicherungsvertrages zum Basistarif nach § 193 Abs. 5 Nr. 3 i.V.m. § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG abgelehnt.
Rz. 8
Grundsätzlich hat nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG seit dem 1.1.2008 jede Person mit Wohnsitz im Inland die Pflicht zur Grundabsicherung in einer Krankheitskostenversicherung bei einem in Deutschland zugelassenen Versicherungsunternehmen. Ein Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Versicherungsvertrages zum Basistarif besteht aber schon deshalb nicht, weil die Sonderregelung für Altverträge nach § 193 Abs. 3 Satz 3 VVG Anwendung findet. Danach genügt ein vor dem 1.4.2007, d.h. vor Inkrafttreten des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (Art. 46 Abs. 1) vereinbarter Krankheitskostenversicherungsvertrag den Anforderungen des Satzes 1.
Rz. 9
a) Die KVB ist zwar weder der gesetzlichen (§ 21 Abs. 2 SGB I, §§ 143 ff. SGB V) noch der privaten Krankenversicherung zuzuordnen, letzteres nicht wegen ihres Status als öffentlich-rechtlicher Körperschaft (BSGE 107, 177 Rz. 20 ff.), sondern sie ist ein mitgliedschaftlich organisierter rechtsfähiger Verband öffentlichen Rechts. Die Ansprüche ihrer Mitglieder auf Gewährung von Leistungen nach ihrem Tarif sind aber gleichwohl privatrechtlicher Art. Sie sind durch Satzung und Tarif den Ansprüchen eines Versicherungsnehmers einer privaten Krankenversicherung nachgebildet und gehen über diejenigen öffentlich-rechtlichen Ansprüche hinaus, die Beamten nach den Beihilfevorschriften zustehen. Es besteht keine Zwangsmitgliedschaft, sondern Beiträge werden nur aufgrund der auf Antrag erworbenen Mitgliedschaft an die KVB entrichtet. Die Beiträge sind nicht primär risikobezogen, aber auch nicht unmittelbar prozentual einkommensabhängig; es werden besoldungsmäßig einander zugehörige Versichertengruppen entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zusammengefasst. Die KVB kennt daher auch keinen einheitlichen Erstattungssatz (vgl. grundlegend BGH, Urt. v. 5.2.1981 - IVa ZR 50/80, BGHZ 79, 320 unter I; v. 29.10.2003 - IV ZR 38/03, VersR 2004, 58 unter 1). Zwischen den Mitgliedern - damit auch dem Kläger - und der KVB besteht nach alledem ein privatrechtliches Verhältnis, das ein besonderes Krankenversorgungssystem zum Gegenstand hat und der Regelung des § 193 Abs. 3 Satz 3 VVG unterfällt.
Rz. 10
b) Die Vorschrift gilt für jeden vor dem 1.4.2007 abgeschlossenen Krankheitskostenversicherungsvertrag, und zwar unabhängig von dessen Inhalt. Altversicherungsverträge genügen den Anforderungen an die Versicherungspflicht auch dann, wie der Gesetzesbegründung unmissverständlich zu entnehmen ist, wenn sie den in § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG beschriebenen Mindestumfang des Versicherungsschutzes nicht erfüllen. Einer entsprechenden Anpassung an den gesetzlichen Mindeststandard bedarf es nicht. Der Gesetzgeber wollte damit den Bestandsschutz dieser Verträge gewährleisten (BT-Drucks. 16/4247, 67; so auch: Boetius, Private Krankenversicherung § 193 Rz. 110, 111; Brömmelmeyer in Schwintowski/Brömmelmeyer, PK-VVG 2. Aufl., § 193 Rz. 29; MünchKomm/VVG/Kalis, § 193 Rz. 20 f.; Marko, Private Krankenversicherung 2. Aufl. B 14 ff.; Voit in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl., § 193 Rz. 15). Es kommt danach nicht darauf an, ob die tariflichen Leistungen, welche die KVB dem Kläger gewährt, den gesetzlichen Mindestumfang abdecken. Der Altvertrag wird auf jeden Fall von der Bestandsschutzregelung erfasst.
Rz. 11
2. Unabhängig davon ist bei den tariflichen Leistungen, welche die KVB dem Kläger gewährt, eine Umgehung der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG nicht anzunehmen. Für ab dem 1.4.2007 geschlossene Verträge, d.h. für Neuverträge, ordnet § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG an, dass der Vertrag "mindestens eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung" umfassen muss. Ergänzend ist § 192 Abs. 1 VVG heranzuziehen. Gefordert wird insoweit nur eine Kostenerstattung für "medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen". Bei der Frage nach dem Umfang der Versicherungspflicht ist vom Ziel des Gesetzgebers auszugehen, dass jeder Bürger vor einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz bei Krankheit geschützt werden soll. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass ausreichend eine Absicherung in Tarifen ist, die eine Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung vorsehen (BT-Drucks. 16/4247, 67). Der Basistarif soll nach Art, Höhe und Umfang der gesetzlichen Krankenversicherung vergleichbar sein (§ 12 Abs. 1a Satz 1 VAG). Der Gesetzgeber hat explizit auch die Möglichkeit der Vereinbarung von (absoluten und prozentualen) tariflichen Selbstbehalten bis zu einer betragsmäßigen Auswirkung von 5.000 EUR geschaffen (§ 193 Abs. 3 Satz 1 VVG). Dass diese sinngemäß anzuwendende Regelung (vgl. Brömmelmeyer, a.a.O., Rz. 25) hier in unzulässiger Weise überschritten würde, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Um der Versicherungspflicht zu genügen, ist keine Absicherung zu 100 % geboten.
Fundstellen
Haufe-Index 2971348 |
EBE/BGH 2012, 171 |
NJW-RR 2012, 994 |
MDR 2012, 710 |
VersR 2012, 752 |
VuR 2012, 417 |
r+s 2012, 346 |
r+s 2014, 395 |