Leitsatz (amtlich)
Es ist an der Rechtsprechung festzuhalten, wonach in Anlehnung an § 67 Abs. 2 VVG der Sozialversicherungsträger weder gegen einen mit dem Verletzten in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen noch auch gegen dessen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer ein Rückgriffsrecht hat (Ergänzung zu BGHZ 41, 79, 84).
Normenkette
RVO § 1542 Abs. 1; VVG § 67 Abs. 2; PflVG 1965 § 3 Nr. 1
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 08.11.1977) |
LG Lübeck |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Schleswig vom 8. November 1977 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 17. September 1975 wurde Frau N. als Insassin des Kraftfahrzeuges ihres Ehemannes bei einem von diesem verschuldeten Verkehrsunfall verletzt. Die Klägerin als gesetzlicher Krankenversicherer der Frau N., nimmt, gestützt auf § 1542 RVO, die Beklagte, den Haftpflichtversicherer für das Kraftfahrzeug des N., auf Ersatz ihrer Aufwendungen für Heilbehandlung in Höhe von 5.143,64 DM in Anspruch. Im Hinblick auf eigenen Arbeitsverdienst der Frau N. könne die Beklagte, so trägt sie vor, sich nicht auf den Haftungsausschluß des § 11 Nr. 4 AKB a.F. berufen. Vor allem hält sie eine entsprechende Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG im Falle der Direktklage gegen den Haftpflichtversicherer nicht für zulässig.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie dagegen abgewiesen. Mit der (zugelassenen) Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Das Berufungsgericht führt unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zunächst aus, daß der Ehemann N. sich nicht mit Erfolg auf den milderen Haftungsmaßstab des § 1359 BGB berufen könne. Es erwägt sodann, daß die Beklagte im gegebenen Fall nicht den Risikoausschluß des § 11 Nr. 4 AKB a.F. geltend machen könne, weil die verletzte Ehefrau bei einem eigenen Monats – Verdienst von 960 DM gegenüber einem solchen ihres Ehemanns von 2.000 DM monatlich nicht als dessen Unterhaltsempfängerin angesehen werden könne. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats hält es die Klage jedoch deswegen für unbegründet, weil ein Übergang des Schadensersatzanspruches der verletzten Ehefrau gegen ihren Ehemann auf die Klägerin (§ 1542 RVO) in entsprechender Anwendung des § 67 Abs. 2 VVG ausgeschlossen sei.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat für seine Ansicht zutreffend die Rechtsprechung des Senats zum Ausschluß des Rückgriffs eines Sozialversicherungsträgers herangezogen, wenn der Schädiger einen mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen verletzt hat (BGHZ 41, 79; 54, 256; 66, 104, 111; zuletzt Senatsurteil vom 21. September 1976 – VI ZR 210/75 – VersR 1977, 149 ff, jeweils m. w. Nachw.). Hieran hält der Senat auch gegenüber den von der Revision vorgetragenen Bedenken fest.
1. Wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, ist die in § 67 Abs. 2 VVG bestimmte Beschränkung des Rückgriffes des privaten Schadensversicherers Ausdruck einer allgemeinen Wertung, die es erst recht dem Sozialversicherer verbietet, im Regreßwege Ersatzansprüche gegen einen in häuslicher Gemeinschaft mit dem Verletzten lebenden Familienangehörigen geltend zu machen. Dem liegt sowohl der Gedanke der Sicherung des Familienfriedens, wie auch der des Schutzes des Verletzten davor zugrunde, durch den Rückgriff gegen den zur Familie gehörenden Schädiger, mit dem er in häuslicher Gemeinschaft lebt, in Mitleidenschaft gezogen zu werden.
2. An dieser Wertung ändert der Umstand, daß der als Schädiger in Anspruch genommene Familienangehörige haftpflichtversichert ist, nichts. Dabei muß im Auge behalten werden, daß sich das Problem nur bei der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung stellt, weil, worauf Frhr. Marschall v. Bieberstein in SGb 1978, 178 mit Recht aufmerksam macht, bei allen anderen Haftpflichtversicherungen solche Ersatzansprüche nicht gedeckt werden (§ 4 II 2 AHB).
a) Freilich beeinträchtigt in dem Umfang, in dem Deckungsschutz besteht, ein etwaiger Streit zwischen dem Sozialversicherer und dem Versicherer über die Ersatzpflicht in der Regel den Familienfrieden nicht unzumutbar, weil er durchweg nur formell den Schädiger mit einbezieht. Die Belästigung, die in der Anspruchnahme als Auskunftsperson, insbesondere als solche im Prozeß, liegen könnte, kann und muß vielleicht hingenommen werden, zumal meist Zeugnisverweigerungsrechte bestehen und ohnehin Vernehmungen im häufig vorausgehenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren notwendig werden (so zu diesem Punkte schon relativierend Senatsurteil vom 21. September 1976 aaO). Indessen widerspricht jedenfalls die Inanspruchnahme des mit dem Verletzten in häuslicher Gemeinschaft lebenden, zur Familie gehörenden Schädigers auf das, was der Sozialversicherer dem Angehörigen auf der anderen Seite zum Ausgleich gewähren muß, der durch die Sozialversicherung gerade bezweckten Übernahme des finanziellen Risikos bei Krankheiten, Verletzungen und Todesfällen. Soweit für den Schädiger der Haftpflichtversicherer einzutreten hat (was für das hier allein interessierende Innenverhältnis nicht immer der Fall zu sein braucht, etwa weil das Versicherungsverhältnis „krank” ist), nimmt dieser ihm zwar das Risiko auch gegenüber dem Regreßanspruch des Sozialversicherers ab; insofern ist es richtig, daß sowohl er als auch der verletzte Familienangehörige letztlich in solchen Fällen keines besonderen Schutzes bedürfen, weil der Familiengemeinschaft im Ergebnis die Leistungen des Sozialversicherers erhalten bleiben. Daraus kann jedoch nicht gefolgert werden, daß der Schutzgedanke des § 67 Abs. 2 VVG in diesen Fällen nicht zum Zuge kommt. Eine solche Auffassung verkennt das Wesen der Haftpflichtversicherung. Der Haftpflichtversicherer hat nur einzutreten, wenn der Versicherungsnehmer (Versicherte) seinerseits haftet. Dessen Haftung kann selbstverständlich nicht mit dem Umstand begründet werden, der Schädiger sei haftpflichtversichert und deshalb leistungsfähig; seine Vermögensverhältnisse spielen dafür – wie in der Regel auch sonst – keine Rolle (vgl. Senatsurteil vom 13. Juni 1958 – VI ZR 109/57 – VersR 1958, 485). Sie können wohl für die Bemessung der Höhe im Rahmen der Billigkeitshaftung nach § 829 BGB (vgl. BGHZ 23, 90, 100) oder des Schmerzensgeldes nach § 847 BGB (BGHZ 18, 149, 165) von Bedeutung sein. Der Regelung des § 67 Abs. 2 VVG liegt aber der Gedanke zugrunde, daß der Verletzte den mit ihm zusammenlebenden Angehörigen, mag ihm rechtlich auch ein Ersatzanspruch zustehen, nicht in Anspruch genommen haben würde, so daß dessen Haftpflichtversicherer nicht einzutreten braucht (vgl. Senatsurteil vom 21. September 1976 – VI ZR 210/75 – VersR 1977, 149, 151); mit diesem Gedanken wäre es aber (entgegen Voigt FamRZ 1976, 605, 606) unvereinbar, wenn der Haftpflichtversicherer dann doch eintreten müßte, falls der Verletzte seinen privaten Krankenversicherer oder seinen Sozialversicherer in Anspruch genommen hat.
b) Für dieses Ergebnis, den Ausschluß des Regresses des Sozialversicherers gegen den Haftpflichtversicherer, dürfte allerdings der Umstand kaum ins Gewicht fallen, daß bei einer Inanspruchnahme des Haftpflichtversicherers der Versicherungsnehmer in die Gefahr gerät, infolge der Rückstufung in eine schlechtere Schadensklasse mehr Prämien zahlen zu müssen; denn diese Folge hat nichts mit der eigentlichen Schadenswiedergutmachtung zu tun (anders Hirschberg, JuS 1977, 439, 443). Nach Wegfall der sog. Angehörigenklausel des § 11 Nr. 4 AKB a.F., die dem Versicherten den Deckungsschutz gegenüber Ansprüchen der durch ihn verletzten unterhaltsberechtigten Familienangehörigen versagte, ist auch die Gefahr eines Rückgriffs des Haftpflichtversicherers gegen den Schädiger auf die Fälle der sog. „kranken” Versicherungsverhältnisse mit den dort inzwischen geltenden Höchstbeträgen begrenzt, und ein Schutz des Schädigers und damit mittelbar des zur Familiengemeinschaft gehörenden Geschädigten davor mag nicht mehr sehr dringlich sein. Entscheidend ist vielmehr, daß für die Belastung der Familiengemeinschaft und damit mittelbar des Verletzten durch etwaige Regreßforderungen billigerweise von dem Bestehen der Haftpflichtversicherung abgesehen werden muß, die die Familiengemeinschaft durch besondere Leistungen erst erkauft hat (BGHZ 41, 79, 84), Dabei kann es auch keine Rolle spielen, ob es sich um eine Pflichtversicherung oder um eine freiwillige Versicherung handelt, und ob der Versicherungsschutz auf Leistungen des Schädigers selbst oder eines anderen beruht. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats (zuletzt wieder das Senatsurteil vom 21. September 1976 aaO m. w. Nachw.), an der er festhält; wenn er in seinen Urteilen mehrfach davon gesprochen hat, der Deckungsschutz einer „privaten” Haftpflichtversicherung sei erkauft worden, so hat er damit nicht den Unterschied zu der seit 1939 eingeführten Zwangshaftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge gemeint, sondern diese Privatversicherung der Sozialversicherung gegenübergestellt. Daß dem Halter eines Kraftfahrzeugs nicht überlassen ist, ob er sich insoweit gegen Haftpflicht versichert oder nicht, ändert nichts daran, daß er sich diesen Haftpflichtschutz durch Prämienzahlungen, die der gemeinsamen Familienkasse entnommen werden müssen, erkauft. Wenn damit in solchen Fällen der Sozialversicherungsträger im Verhältnis zum Haftpflichtversicherer derjenige ist, der den Schaden auszugleichen hat, so steht letztlich allein das mit der Zweckbestimmung von Versicherungsleistungen nach der Reichsversicherungsordnung im Einklang, weil es sich bei ihnen um eine Familienversicherung handelt (BGHZ 41, 79, 82), deren Zielen nicht nur der Rückgriff auf ihre Mitglieder, sondern auch auf deren Haftpflichtversicherung eher zuwiderläuft (zu Unrecht anders wieder Hebmüller VersR 1972, 515).
3. Zutreffend ist auch die Ansicht des Berufungsgerichts, daß sich an dieser Beurteilung durch die Einführung des Direktanspruches des Verletzten gegen den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer nach § 3 Nr. 1 PflVG nichts geändert hat (so schon Senatsurteil vom 14. Juli 1970 – VI ZR 179/68 – VersR 1970, 950, 952, insoweit in BGHZ 54, 256 nicht mit abgedruckt; BGHZ 66, 104, 111; Müller-Vorwerk VersR 1969, 688).
Das im Jahre 1965 neu gefaßte Pflichtversicherungsgesetz hat dem Geschädigten lediglich den Zugriff auf den Versicherer des Schädigers als einen zusätzlichen Gesamtschuldner ermöglicht, dient also (im Zuge der europäischen Rechtsvereinheitlichung) der Verstärkung des Schutzes für den Geschädigten (vgl. Senatsurteil vom 7. November 1978 – VI ZR 86/77 – demnächst in VersR). Die Entstehung dieses Direktanspruches ist indessen abhängig von der Begründung des Haftpflichtanspruches gegen den Versicherten. Solche Ansprüche hat jedoch der Verletzte selbst, wenn die Eintrittspflicht des Sozialversicherungsträgers nach § 1542 RVO eingreift, nicht, weil die jeweiligen Ansprüche sofort in dessen Person entstehen (BGHZ 48, 181). Da aber der, wie ausgeführt, auch hier anwendbare Gedanke des § 67 Abs. 2 VVG einem Übergang auf den Sozialversicherer gerade entgegensteht, erwirbt dieser insoweit nichts, was er dem Schädiger gegenüber geltend machen könnte. Er erhält auch nicht wenigstens den Direktanspruch gegen den Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer; denn dieser Anspruch hat keine selbständige Bedeutung, sondern dient als ein akzessorisches Recht der Sicherung der Forderung des Verletzten und ist insoweit in seinem Bestand von dem Haftpflichtanspruch abhängig (so zutreffend Sieg in Bruck/Möller, VVG 8. Aufl. § 67 Rdn. 109 und in ZVersWiss. 1973, 339 ff; 1965, 357, 380; unrichtig daher Wussow WJ 1977, 33/34). Geht der Haftpflichtanspruch auf einen neuen Gläubiger über, so geht entsprechend § 401 BGB auch der ihn sichernde Direktanspruch über (vgl. BGH Urteil vom 24. November 1971 – IV ZR 71/70 – VersR 1972, 194); geht gemäß § 67 Abs. 2 VVG der Haftpflichtanspruch nicht über, so geht auch der Direktanspruch nicht über.
Unterschriften
Dr. Weber, Dunz, Scheffen, Dr. Steffen, Dr. Ankermann
Fundstellen
Haufe-Index 892341 |
JR 1979, 286 |
Nachschlagewerk BGH |