Entscheidungsstichwort (Thema)

Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit nach einem Verkehrsunfall

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Berechnung des Forderungsübergangs auf den Sozialversicherungsträger im Hinblick auf die zeitliche Kongruenz, wenn sich die Ersatzpflicht des Schädigers nur auf einen Teil des von der Versicherungsleistung umfaßten (hier: monatlichen) Zeitraums bezieht.

 

Normenkette

RVO § 1542

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 1. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht in Schleswig vom 29. Juni 1971 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Revision fallen der Klägerin zur Last.

 

Tatbestand

Die klagende Landesversicherungsanstalt gewährte und gewährt einem bei ihr versicherten Bäcker u.a. seit Januar 1967 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit, die auf die Folgen eines Verkehrsunfalls zurückzuführen ist, den der Bäcker am 25. Februar 1962 erlitten hat; für den hierbei entstandenen Schaden hat der Beklagte mit dem sich aus § 1542 RVO ergebenden Übergangsvorbehalt zu 3/5 aufzukommen, wie in einem zwischen dem Geschädigten und dem Beklagten geführten Rechtsstreit rechtskräftig festgestellt worden ist.

Der Verunglückte hatte vor dem Unfall als Bäcker und Konditor in einem Café gearbeitet. Im Jahre 1965 trat eine Verschlimmerung der Unfallfolgen ein, die letztlich zum Rentenantrag und zur Feststellung der Berufsunfähigkeit führte. Im Jahre 1968 machte der Verunglückte noch einmal den Versuch, unter erleichterten Arbeitsbedingungen in seinem Beruf als Bäcker und Konditor tätig zu sein. Vom 16. Juni bis 17. September 1968 arbeitete er gegen ein monatliches Nettoentgelt von 870 DM in seiner früheren Stellung; insgesamt erhielt er dort 2.610 DM.

Die Klägerin hat in dem Jahr 1968 für den Verunglückten Leistungen in Höhe von 3.274,80 DM erbracht, die sie von dem Beklagten in vollem Umfang ersetzt verlangt hat. Sie ist bei ihrer Berechnung von 5.760 DM ausgegangen; diesen Betrag müsse der Beklagte im Umfang der Haftungsquote von 60 v.H. dem Verunglückten ersetzen. Da dieser ein Arbeitseinkommen von nur 2.610 DM erzielt habe, verbleibe ein übergangsfähiger Schaden in Höhe von 3.247,80 DM.

Das Landgericht hat der Klägerin antragsgemäß die für die Jahre 1967 und 1968 erbrachten Leistungen im Gesamtbetrag von 6.471,75 DM nebst Zinsen zugesprochen und die begehrte Feststellung der Ersatzpflicht des Zukunftsschadens getroffen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen, soweit der Anspruch 6.000,45 DM nebst Zinsen übersteigt, im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.

Mit der hinsichtlich des abgewiesenen Teiles des bezifferten Klageantrages zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von weiteren 471,30 DM.

 

Entscheidungsgründe

I.

Der Streit der Parteien geht nur noch darum, ob der Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin für im Jahre 1968 erbrachte Leistungen weitere 471,30 DM zu zahlen. Das hängt nur von der Frage der Gleichzeitigkeit (zeitliche Kongruenz) der Leistungen der Klägerin ab.

II.

1.

Nach den Feststellungen des Berufungsurteils hätte der Verletzte ohne den Unfall im Jahre 1968 ein Monatseinkommen von 1.063 DM erzielt. Tatsächlich hat er nur in der Zeit vom 16. Juni bis 17. September 1968 (= etwa 3 Monate) durchwährend dieses Zeitraums ununterbrochene Arbeit ein Monatseinkommen von 870,00 DM erzielt, für den Rest des Jahres war er ohne Erwerbseinkommen. Die klagende Landesversicherungsanstalt hat dem Verletzten für dieses Jahr 1968 einen Rentenbetrag von 3.274,80 DM geleistet, zahlbar (§ 1297 RVO) in monatlich im Voraus zu entrichtenden Beträgen von 272,90 DM. Unter den Parteien besteht kein Streit darüber, daß der Beklagte dem Verletzten nur für 60 % des Schadens haftet.

Das Berufungsgericht erwägt hierzu, daß die Klägerin über § 1542 RVO keine besseren Rechte erlangen konnte, als sie der Verletzte selbst hatte. Es zieht ferner in Betracht, daß nach der herrschenden Rechtsprechung ein Anspruchsübergang nur in Frage kommt, soweit sich die Zeitabschnitte, für welche Versicherungsleistungen erbracht werden, mit denjenigen decken, für welche Schadensersatzansprüche des Versicherten erwachsen (zeitliche Kongruenz). Dabei ist das Berufungsgericht der Ansicht, es komme für die zeitliche Kongruenz nicht darauf an, wie die Berufsunfähigkeitsrente errechnet, sondern darauf, für welche Zeiträume dem geschädigten Arbeitnehmer Lohn und Gehalt gezahlt worden sei.

Auf dieser Grundlage führt das Berufungsgericht weiter aus:

Der Schadensersatzanspruch, der beim Verletzten erwachsen sei, belaufe sich ohne Ersatzeinkommen monatlich auf 637,80 DM (= 60 % von 1.063,00 DM). Er liege für die Zeit vom 1. Januar 1968 bis 15. Juni 1968 und vom 18. September 1968 bis 31. Dezember 1968 (insgesamt 9 Monate) Über der für diesen Zeitraum gezahlten Rente von insgesamt 2.456,10 DM. Insoweit sei also der Schadensersatzanspruch auf die Klägerin übergegangen. Während der übrigen drei Monate habe der Verdienstausfall des Verletzten monatlich nur 193,00 DM (= 1.063 DM abzüglich 870 DM), der Ersatzanspruch bei einer Quote von 60 % also monatlich nur 115,80 DM betragen; nur in diesem Umfang habe er auch auf die Klägerin übergehen können.

2.

Die Revision möchte dagegen das von dem Verletzten vorübergehend erzielte Ersatzeinkommen auf das ganze Kalenderjahr verrechnet wissen und kommt damit zu einem übergangsfähigen Ersatzanspruch, der in jedem Monat die Leistungen der Klägerin übersteigt. Damit hat die Revision keinen Erfolg. Vielmehr halten die Erwägungen des Berufungsgerichts jedenfalls im Ergebnis der rechtlichen Prüfung stand.

a)

Zutreffend, auch von der Revision nicht angegriffen, ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daß jeder Anspruchsübergang auf die Klägerin durch den Umfang der Ansprüche begrenzt wird, die zunächst bei dem Versicherten entstanden sind.

Das Berufungsgericht geht auch zutreffend davon aus, daß der Forderungsübergang nach § 1542 RVO neben der sachlichen auch eine zeitliche Kongruenz zwischen den Leistungen des Sozialversicherungsträgers und den Ansprüchen des Geschädigten voraussetzt. Damit ist gesagt, daß die Leistung des Sozialversicherungsträgers nicht nur denselben Zwecken dienen, sondern sich auch auf dieselben Zeiträume beziehen muß wie der von dem Schädiger zu leistende Schadensersatz. Das hat schon das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung gefordert (RG JW 37, 2366, 2367 mit zustimmender Anm. Carl; RG DR 41, 2245, 2247 mit Anm. Wussow). Auch der Bundesgerichtshof hat - allerdings nur beiläufig - wiederholt auf dieses Erfordernis hingewiesen (Urt. v. 20. Mai 1958 - VI ZR 130/57 = LM RVO § 1542 Nr. 20; Urt.v. 30. Januar 1962 - VI ZR 75/61 = LM RVO § 1266 Nr. 1; Urt. v. 19. Februar 1962 - III ZR 217/60 = VersR 62, 475, 476). Im Schrifttum hat diese Rechtsprechung allgemein Zustimmung gefunden (vgl. insbes. Wussow, Unfallhaftpflichtrecht, 11. Aufl., Tz 1495; Geigel, Haftpflichtprozeß, 14. Aufl., Kap. 30 Rdnr. 95; Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl., § 1542 RVO Rdnr. 38 a.E.; Gunkel/Hebmüller, Ersatzansprüche nach § 1542 RVO 3. Aufl. I 69-71; Seitz, Ersatzansprüche der Sozialversicherungsträger nach §§ 640 und 1542 RVO, 2. Aufl., S. 133/134). Von dieser Auffassung abzugehen besteht kein Anlaß.

b)

Mit diesem Grundsatz der zeitlichen Kongruenz ist die von der Revision erstrebte jährliche Verrechnungsweise nicht vereinbar. Zwar wird die Höhe der Rentenleistung nach Jahresbeträgen bemessen (§ 1253 RVO). Ihre Zahlung erfolgt aber jeweils zu Beginn eines Kalendermonats und im Grundsatz auch nur, soweit die Voraussetzungen für die Rentenleistung dann noch bestehen (§ 1286 RVO). Daraus ergibt sich für die Frage der zeitlichen Kongruenz schon aus der Zweckbestimmung der einzelnen Versicherungsleistung, daß sie den Unterhalt des Empfängers gerade im folgenden Monat sichern soll. Deshalb ist es unzulässig, beim Anspruchsübergang nach § 1542 RVO Schadensersatzansprüche heranzuziehen, die dem Versicherten für einen Erwerbsausfall zustehen, der außerhalb des von der Versicherungsleistung gedeckten Monats liegt. Das verstieße gegen den dem Kongruenzgebot zugrunde liegenden Satz, daß dem Versicherten für einen bestimmten Zeitraum nicht mehr an die Stelle eines entgangenen Erwerbs getretene Ersatzansprüche entzogen werden dürfen, als ihm für denselben Zeitraum Versicherungsleistungen zufließen. Es erscheint denkbar, daß dieser Grundsatz allerdings nur scheinbare Ausnahmen dann erleiden kann, wenn infolge einer besonderen Gestaltung der Verhältnisse der entgangene Arbeitserwerb des Versicherten ganz oder teilweise zur Unterhaltsdeckung außerhalb des Zeitraumes seines Anfalls bestimmt gewesen wäre; hierauf näher einzugehen geben jedoch die im vorliegenden Fall getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts keinen Anlaß.

c)

Das Berufungsgericht hat nun allerdings nicht, wie seine Ausführungen zunächst erwarten lassen, jeweils für einen Kalendermonat die Versicherungsleistung dem für diesen Zeitraum entstandenen Schadensersatzanspruch gegenübergestellt. Wäre es so verfahren, dann hätte auch für die Monate Juni und September der Versicherungsleistung eine Schadensersatzpflicht des Beklagten gegenübergestanden, die den Aufwand jeweils voll deckte (1063 DM abzüglich 870 DM: 2 = 435 DM = 628 DM, davon 60 % = je 376,80 DM Schadensersatzforderung für Juni und September 1968 gegenüber Leistungen der Klägerin in Höhe von je 272,90 DM); die Entscheidung hätte also für die Klägerin günstiger ausfallen müssen. Tatsächlich hat das Berufungsgericht für einen von Mitte Juni bis Mitte September bemessenen Zeitraum von 3 Monaten einheitlich eine verringerte monatliche Ersatzpflicht des Beklagten errechnet und den Ersatzanspruch für einen Monat je einer Monatsleistung der Klägerin gegenübergestellt. Darüber ob der Versicherte nach Wochen, nach Monaten, ab Arbeitsaufnahme oder nach Kalendermonaten entlohnt worden ist, hat es keine Feststellung getroffen; seine über die Bedeutung der Lohnzahlungsweise angestellten Erwägungen haben auf das Ergebnis der Entscheidung ersichtlich keinen Einfluß gewonnen.

aa)

Auch insoweit erweist sich das Vorgehen des Berufungsgerichts im Ergebnis als richtig.

Die Frage nach der zeitlichen Übereinstimmung von Ersatzanspruch und Versicherungsleistung ist nicht schon abschließend beantwortet, wenn feststeht, daß sich die Ersatzpflicht wenigstens auf einen Teil des Zeitraums bezieht, für den die Versicherungsleistung gewährt wird. Vielmehr können sich daraus, daß sich die Ersatzpflicht nur auf den Erwerbsausfall für einen Teil des von der Versicherungsleistung umfaßten monatlichen Zeitraums bezieht, weitere durch das Kongruenzgebot bedingte Einschränkungen für den Anspruchsübergang ergeben.

Das ist hier der Fall. Der Versicherte hat Mitte Juni 1968 eine nachhaltige, wenngleich der früheren nicht ganz gleichwertige Erwerbstätigkeit gefunden und diese Mitte September wieder verloren. Beide Ereignisse haben mit ihrem Eintritt den Erwerbsschaden des Versicherten und damit auch die Ersatzpflicht des Beklagten entscheidend beeinflußt, indem der zu ersetzende laufende Erwerbsschaden zunächst auf einen Teil des früheren Umfangs absank und nach einem Vierteljahr wieder die alte Höhe erreichte. Der tatsächliche Erwerb des Versicherten in der zweiten Hälfte des Juni und in der ersten Hälfte des September verminderte für diese Zeiträume seinen Erwerbsschaden, während dieser in der ersten Hälfte des Juni und der zweiten Hälfte des September mangels Ersatzerwerbs unverändert blieb. Damit bezog sich die Ersatzpflicht des Beklagten im Monat Juni im wesentlichen auf die erste Monatshälfte, im Monat September überwiegend auf die zweite Monatshälfte. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, entspricht vielmehr dem Grundsatz der zeitlichen Übereinstimmung, wenn das Berufungsgericht im Ergebnis die Monatsleistung der Klägerin im Hinblick auf die Obergangsfähigkeit von Ersatzansprüchen in zwei durch eine verschiedene Schadenslage beim Versicherten getrennte Abschnitte aufgeteilt hat. Bei der Prüfung unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Kongruenz ist demnach der Ersatzforderung des Versicherten der Teil der Aufwendungen der Klägerin für Juni/September gegenüberzustellen, der für den jeweiligen Zeitabschnitt bestimmt war, hier also der Schadensersatzforderung des Versicherten für die zweite Hälfte des Juni (und für die erste Hälfte des September) jeweils der Teil der (hier: monatlichen) Aufwendungen der Klägerin, der für diese Zeiträume bestimmt war. Entsprechendes gilt für die anderen Hälften. Dabei ist es allerdings entgegen den durchweg nicht eindeutigen Erwägungen des Berufungsgerichts unerheblich, daß sich im zu entscheidenden Fall die beiden Monatsbruchteile zu einem weiteren vollen Monat ergänzen; man hätte genau so vorgehen müssen, wenn sich die schadensmindernde Tätigkeit etwa auf insgesamt 2 1/2 oder 3 1/3 Monate erstreckt hätte.

Daraus folgt rechnerisch für den vorliegenden Sachverhalt das Ergebnis, zu dem auch das Berufungsgericht gelangt ist:

In der zweiten Hälfte des Juni und der ersten Hälfte des September betrug der Erwerbsschaden des Versicherten (1.063 DM: 2 =) 531,50 DM abzüglich des tatsächlichen Ersatzerwerbs von (870 DM: 2 =) 435 DM = 96,50 DM, wovon im Hinblick auf die Haftungsquote von 60 % vom Beklagten 57,90 DM zu ersetzen sind. Nur in dieser Höhe ist die Forderung auf die Klägerin übergegangen.

Dagegen betrug in der ersten Hälfte des Juni und der zweiten Hälfte des September der Erwerbsschaden (1.063 DM: 2 =) 531,50 DM, wovon bei der Haftungsquote von 60 % ein Betrag von 318,90 DM zu ersetzen war. Zeitlich kongruent sind die Aufwendungen der Klägerin, die auf diesen Zeitraum (1/2 Monat) entfallen, also ein Betrag von (272,90 DM: 2 =) 136,45 DM . Insoweit ist die Ersatzforderung auf die Klägerin übergegangen.

Damit sind übergegangen für die erste Hälfte Juni und die zweite Hälfte September je 136,45 DM, also 2 × 272,90 DM und somit ein Betrag gleicher Höhe wie in den Monaten Januar bis Mai und Oktober bis Dezember, und für die zweite Hälfte Juni und die erste Hälfte September je 57,90 DM, also 2 × = 115,80 DM und somit ein Betrag gleicher Höhe wie in den Monaten Juli und August. So trifft im Ergebnis die Berechnung des Berufungsgerichts zu, das einen Betrag von 272,90 DM für 9 Monate und einen solchen von 115,80 DM für 3 Monate zugrunde gelegt hat.

bb)

Diese Auffassung führt in der Praxis nicht zu nur schwer zu bewältigenden Schwierigkeiten. Die Aufteilung einer monatlichen Versicherungsleistung im Verhältnis von zwei durch eine nachhaltige Änderung der Schadenslage getrennten Zeitabschnitten bietet solche Schwierigkeiten nicht. Ist es allerdings so, daß die ersatzweise Erwerbstätigkeit etwa aus Gesundheitsgründen nur halbtägig oder als Gelegenheitsarbeit nur an einzelnen Tagen stattfindet, dann wird sich das Gesamtergebnis solcher Tätigkeit bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise auf den ganzen durch eine Versicherungsleistung gedeckten Zeitabschnitt beziehen lassen, weil sich der zeitlich unregelmäßige Erwerb gleichwohl als laufendes Arbeitseinkommen darstellt; der vorliegende Fall gibt dem Senat indes keinen Anlaß, diese Fragen - die gegebenenfalls dem Ermessen des Tatrichters weiten Spielraum lassen müßten - zu vertiefen.

3.

Nach allem bleibt die Revision ohne Erfolg.

 

Unterschriften

Nüßgens

Dr. Arndt

Sonnabend

Dunz

Scheffen

 

Fundstellen

Haufe-Index 1456253

JZ 1973, 428

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