Leitsatz (amtlich)
Werden die der pfändungsfreien Teile mehrerer Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch abgetreten, so konnten die Parteien des Abtretungsvertrages jedenfalls bis zum Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 13. Juni 1994 (BGBl. I 1229) allein nicht bindend vereinbaren, daß sich der Umfang der Abtretung nach den zusammengerechneten Ansprüchen bemißt.
Normenkette
SGB I § 53 Abs. 3; ZPO § 850e Nr. 2a
Verfahrensgang
OLG Bamberg (Urteil vom 19.09.1996) |
LG Aschaffenburg (Urteil vom 04.12.1995) |
Tenor
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden die Urteile des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 19. September 1996 und der 3. Zivilkammer des Landgerichts Aschaffenburg vom 4. Dezember 1995 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 21.002,67 DM nebst 10,14 % Zinsen seit dem 16. Mai 1995 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits fallen der Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Parteien, zwei Kreditinstitute, streiten als Gläubiger eines gemeinsamen Schuldners um die Verteilung von Rentenleistungen, welche die Beklagte vereinnahmt hat.
Der Schuldner bezog von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) eine Versichertenrente von 1.797,93 DM und eine Hinterbliebenenrente von 935,44 DM sowie von der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zwei Versorgungsrenten von insgesamt 1.290,22 DM im Monat.
Mit Formularvertrag vom 26. Januar 1994 trat der Schuldner zur Sicherung aller bestehenden und künftigen Forderungen seine gegenwärtigen und künftigen Ansprüche gegen BfA und VBL an die Beklagte ab. In Ziff. 1 des Vertrages heißt es:
„Die Abtretung erfolgt mit sofortiger Wirkung. Sie beschränkt sich auf den jeweils pfändbaren Teil der Ansprüche. Zur Berechnung des pfändbaren Teiles der Gesamteinkünfte werden die abgetretenen Einkünfte des Sicherungsgebers entsprechend § 850 e Nr. 2, 2 a ZPO zusammengerechnet. Der nach den so festgestellten Gesamteinkünften unpfändbare Betrag ist in erster Linie dem höchsten Einkommen zu entnehmen.”
Am 10. März 1994 ließ die Klägerin die jeweils pfändbaren Teile der Ansprüche des Schuldners gegen BfA und VBL gemäß §§ 850 ff, 850 c ZPO pfänden und sich zur Einziehung überweisen. Gleichzeitig ordnete das Vollstreckungsgericht an, daß die Bezüge des Schuldners analog § 850 e Ziff. 2 a ZPO zusammengerechnet werden; der pfändbare Betrag sollte in erster Linie der BfA-Rente entnommen werden.
Der pfändbare Betrag betrug infolge der Zusammenrechnung monatlich 1.987,29 DM. Diesen führte die BfA von Mai 1994 bis Mai 1995 in voller Höhe an die Beklagte ab. Ohne die Zusammenrechnung hätten der Beklagten nur 371,70 DM im Monat zugestanden.
Die Klägerin hält die Zusammenrechnung zugunsten der Beklagten für rechtswidrig und beansprucht den Unterschiedsbetrag von 13 × 1.615,59 DM = 21.002,67 DM für sich. Ihre Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit ihrer – zugelassenen – Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Rechtsmittel der Klägerin führen zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.
I.
Das Berufungsgericht hat die Abtretung der Rentenansprüche an die Beklagte in voller Höhe für wirksam gehalten. Nach § 53 Abs. 3 SGB I könnten, so hat es ausgeführt,. Rentenansprüche übertragen werden, soweit sie den für Arbeitseinkommen geltenden unpfändbaren Betrag überstiegen. Dieser unpfändbare Betrag könne – falls mehrere Rentenansprüche gleichzeitig abgetreten würden – durch Zusammenrechnung entsprechend § 850 e Nr. 2 a ZPO ermittelt werden, wenn der Rentenberechtigte (Zedent) und der Zessionar dies vereinbart hätten. Von dieser Befugnis habe die BfA im vorliegenden Fall Gebrauch gemacht.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Die Klägerin kann den streitigen Betrag nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 BGB) von der Beklagten herausverlangen. Diese hat den Betrag auf Kosten der Klägerin ohne rechtlichen Grund erlangt. Die Abtretung vom 26. Januar 1994 war insoweit unwirksam (§ 134 BGB). Die entsprechende Forderung des Schuldners konnte nicht abgetreten werden (§ 400 BGB), weil sie der Pfändung nicht unterworfen war. Eine wirksame Erhöhung des nach § 850 c ZPO pfändbaren Betrags durch Zusammenrechnung der Renten (§ 850 e Nr. 2 a ZPO) hat nicht stattgefunden.
1. Das Gesetz sieht eine Zusammenrechnung von mehreren Ansprüchen auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch nur im Falle der Pfändung vor (§ 850 e Nr. 2 a ZPO). Hier obliegt die Zusammenrechnung dem Vollstreckungsgericht. Ob mehrere derartige Ansprüche auch im Falle der Abtretung zusammengerechnet werden können und wie dies zu geschehen hat, ist umstritten. Im vorliegenden Fall braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob eine Zusammenrechnung bei der Abtretung möglich ist (so BSGE 61, 274, 277 f = MDR 1987, 1053; AG Leck MDR 1968, 57; Zweng/Scheerer/Buschmann, Handbuch der Rentenversicherung 2. Aufl. § 53 SGB I Anm. V 1 C a; Peters/Hommel, SGB I § 53 Anm. 9; Wannagat/Thieme, SGB I § 53 Rn. 12; Grunsky ZIP 1983, 908, 909 f; wohl auch Denck MDR 1979, 450, 452) oder nicht (so LG Flensburg MDR 1968, 58 [Anmerkung der Schriftleitung zu AG Leck]; Stein/Jonas/Brehm, ZPO 21. Aufl. § 850 e Rdnr. 44; MünchKomm-ZPO/Smid, § 850 e Rdnr. 18; Stöber, Forderungspfändung 11. Aufl. Rdnr. 1149; Heinze, in: Bochumer Kommentar zum SGB I 1979 § 53 Rdnr. 31; von Maydell, in: GK-SGB I 3. Aufl. § 53 Rdnr. 32; Mrozynski, SGB I 2. Aufl. § 53 Rdnr. 37; derselbe SGb 1989, 374, 382; Kamprad SozVers 1987, 291 ff).
2. Selbst wenn man die Möglichkeit einer Zusammenrechnung auch bei der Abtretung unterstellt, nützt dies der Beklagten nichts, weil die Zusammenrechnung im vorliegenden Fall nicht wirksam vorgenommen worden ist.
a) Die Befürworter der Möglichkeit, die abgetretenen Ansprüche zusammenzurechnen, sind sich ihrerseits nicht einig darin, wer in diesem Falle die Zusammenrechnung vorzunehmen hat. Die einen sind der Ansicht, dies sei Aufgabe des Vollstreckungsgerichts (AG Leck a.a.O.; Grunsky a.a.O.). Das Bundessozialgericht ist der Meinung, der Sozialleistungsträger (= Drittschuldner) habe die Frage der Zusammenrechnung zu prüfen und zu entscheiden (BSGE 61, 274, 278). Wieder andere bestreiten dem Sozialleistungsträger die Kompetenz, anstelle des Vollstreckungsgerichts die Zusammenrechnung anzuordnen; sie halten ihn aber für verpflichtet, eine von den Parteien bei der Abtretung vereinbarte Zusammenrechnung zu beachten (Zweng/Scheerer/Buschmann, a.a.O.).
b) Jedenfalls nach der Gesetzeslage, von der die BfA ausgehen mußte, als sie mit der Abtretung befaßt wurde, kann der zuletzt genannten Ansicht nicht gefolgt werden. Bis zum Inkrafttreten des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 13. Juni 1994 (BGBl. I 1229, 1251) war bei der Zusammenrechnung gemäß § 850 e Nr. 2 a ZPO eine Billigkeitsprüfung erforderlich. Zusammenzurechnen waren Anspruchs, „soweit nach den Umständen des Falles, insbesondere nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Leistungsberechtigten, der Art des beizutreibenden Anspruches sowie der Höhe und der Zweckbestimmung der Geldleistung, die Zusammenrechnung der Billigkeit” entsprach (§ 850 e Nr. 2 a ZPO i.d.F. des SGB Art. II § 15, BGBl. 1975 I 3015, 3028). Diese Billigkeitsprüfung – mit der der Gesetzgeber sozialpolitische Zwecke verfolgte – war nicht deshalb überflüssig, weil sich die Parteien des Abtretungsvertrages über die Zusammenrechnung einig waren (zutreffend Kamprad SozVers 1987, 291, 292 f). Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Ein abweichender Standpunkt wird von den Parteien in der Revisionsinstanz nicht vertreten.
c) Die Frage, ob die Billigkeitsprüfung gemäß § 850 e Nr. 2 a ZPO a.F. nur vom Vollstreckungsgericht oder auch vom Sozialleistungsträger durchgeführt werden konnte – davon hängt unter anderem ab, welche der beiden verbleibenden Meinungen den Vorzug verdient –, braucht der Senat wiederum nicht zu vertiefen. Denn es liegt weder vom Vollstreckungsgericht noch von einem Sozialleistungsträger eine entsprechende Entscheidung vor.
Hatte die Instanz, der die Zusammenrechnung oblag, dabei eine Billigkeitsprüfung vorzunehmen, so mußte das Ergebnis dieser Prüfung in einer Entscheidung zum Ausdruck kommen. Wurde das Vollstreckungsgericht tätig, mußte ein Beschluß ergehen; war ein Sozialleistungsträger mit der Sache befaßt, mußte die Prüfung in einen Verwaltungsakt münden (Mrozinsky SGb 1989, 374, 382; Seewald, in: Kasseler Kommentar § 53 SG I Rdnr. 27; vgl. auch Hauck, § 53 SGb I Rdnr. 8 a.E. und Fn. 8 a; Dörr SGb 1988, 8, 10; Tannen DRV 1988, 101 ff). Hierüber sind sich auch die Prozeßparteien einig.
Da das Vollstreckungsgericht nicht angerufen worden ist – wobei offenbleiben kann, ob es mit Aussicht auf Erfolg hätte angerufen werden können –, kommt hier nur in Betracht, daß die Zusammenrechnung, nach entsprechender Prüfung, von der BfA verfügt worden ist. Diese Möglichkeit hat das Berufungsgericht zu Unrecht für gegeben erachtet.
Das Schreiben der BfA an die Klägerin vom 5. Mai 1994, auf das sich das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang – ohne näher darauf einzugehen – bezogen hat, war von vornherein ungeeignet, hinsichtlich des streitigen Betrages der Beklagten den Vorrang vor der Klägerin zu verschaffen. Falls dieses Schreiben die Entscheidung über die Zusammenrechnung enthielt, kam es zu spät (vgl. BGH, Urt. v. 29. Juni 1989 – VII ZR 211/88, WM 1989, 1470, 1472). Denn inzwischen war bereits der die Zusammenrechnung der gepfändeten Forderungen aussprechende Pfändungs- und Überweisungsbeschluß zugunsten der Klägerin ergangen und zugestellt worden. Damit war der Teil der Forderungen, der nur wegen der Zusammenrechnung pfändbar war – er entspricht der Klagesumme –, am 5. Mai 1994 bereits zugunsten der Klägerin beschlagnahmt.
Im übrigen kann das genannte Schreiben auch nicht in dem Sinne ausgelegt werden, wie das Berufungsgericht es verstanden hat. Bei der Beantwortung der Frage, ob die von einer Behörde errichtete Urkunde einen Verwaltungsakt darstellt und welchen Inhalt dieser Verwaltungsakt gegebenenfalls hat, ist das Revisionsgericht in der Beurteilung der Sachlage frei und nicht an die Auffassung des Berufungsgerichts gebunden (BGHZ 69, 73; 86, 104, 110; BGH, Urt. v. 16. Juni 1994 – IX ZR 94/93, WM 1994, 1775, 1776).
Abgesehen davon, daß eine Entscheidung über die Zusammenrechnung bei der Abtretung wohl gegenüber den Parteien des Abtretungsvertrages – und nicht gegenüber der daran nicht beteiligten Klägerin – hätte verlautbart werden müssen, ergibt die Auslegung des Schreibens, daß die BfA selbst keine Entscheidung nach § 53 Abs. 3 SGB I i.V.m. § 850 e Nr. 2 a ZPO getroffen hat, sondern der Auffassung war, die in der Abtretungsvereinbarung zwischen der Beklagten und dem Schuldner festgelegte Zusammenrechnung sei für sie verbindlich. In dem genannten Schreiben heißt es zwar:
„Zugunsten des vorrangigen Abtretungsvertrages ist verfügt worden, daß dort ebenfalls die Zusammenrechnung der Renten erfolgen soll …”.
Damit war aber keine Verfügung der BfA gemeint. Dies ergibt sich aus dem Schreiben, das die BfA am gleichen Tage an die Beklagte gerichtet hat. Darin hat die BfA ausgeführt:
„Aufgrund der Verfügung Ihres Kreditnehmers über die Zusammenrechnung überweisen wir Ihnen vom nächstmöglichen Zeitpunkt an den pfändbaren Betrag …”
Daß die BfA die Rechtslage seinerzeit nicht zutreffend beurteilt hat, wird bestätigt durch ein weiteres Schreiben, das am 8. Juni 1994 bei der Klägerin eingegangen ist. Darin heißt es:
„Wir stimmen mit Ihnen überein, daß eine vorgelegte Abtretung nicht zwangsläufig die Zusammenrechnung von Einkünften nach sich zieht. Im vorliegenden Fall jedoch ist die Zusammenrechnung zwischen dem Schuldner und der vorrangigen Gläubigerin (Sparkasse) vertraglich geregelt worden … Die Abtretung nach §§ 398 ff BGB wird mit Abschluß des Vertrages wirksam und der Zahlungsanspruch geht ganz oder teilweise auf den Abtretungsempfänger in dem Umfang über, wie er vereinbart wurde.”
d) Vor Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses hat die BfA nicht entschieden, daß die an die Beklagte abgetretenen Forderungen zur Errechnung des der Pfändung unterworfenen Betrages zusammenzurechnen seien. Dies ergibt sich aus ihrer Drittschuldnererklärung vom 11. April 1994. Hiermit hat die BfA folgendes erklärt:
„Auf den für die Pfändung maßgeblichen Zahlbetrag von … bestehen bereits vorrangig zu erfüllende Forderungen (Abtretungsvertrag zugunsten der … [Beklagte] … mit einer monatlichen Tilgung von 371,70 DM).
…
Der Betrag von 371,70 DM ergibt sich daraus, daß bei der Abtretung keine Zusammenrechnung erfolgt.
Dieser Betrag wird ab Mai 1994 monatlich überwiesen.”
III.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO). Da der Rechtsstreit auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts zur Entscheidung reif ist, kann der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
Der von der Beklagten aufgrund der teilweise unwirksamen Abtretung vereinnahmte Betrag ist der Klägerin zuzusprechen. Der Zinsanspruch ist aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 291 BGB gerechtfertigt.
Unterschriften
Brandes, Kirchhof, Fischer, Zugehör, Ganter
Fundstellen
Haufe-Index 1398930 |
NJW 1997, 2823 |
Nachschlagewerk BGH |
MDR 1997, 877 |