Entscheidungsstichwort (Thema)

Mutwillen

 

Leitsatz (amtlich)

Die Einleitung eines Umgangsverfahrens ist auch dann nicht mutwillig, wenn das Jugendamt vor der Inanspruchnahme des Gerichts nicht eingeschaltet wurde.

 

Normenkette

ZPO § 114

 

Verfahrensgang

AG Luckenwalde (Beschluss vom 14.05.2012; Aktenzeichen 31 F 497/11)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das AG zurückverwiesen.

Kosten werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Unter dem 16.11.2011 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Regelung des Umgangs mit ihrem beim Antragsgegner lebenden Kind gestellt und zugleich die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten beantragt. Im Anhörungstermin vom 6.12.2011 hat das AG mitgeteilt, dass über den Verfahrenskostenhilfeantrag außerhalb der mündlichen Verhandlung nach Eingang angeforderter Unterlagen entschieden werde. In diesem Termin ist ausweislich des Sitzungsprotokolls zwischen den Eltern eine Vereinbarung geschlossen worden, der die Vertreterin des Jugendamtes ausdrücklich zugestimmt hat. Durch Beschluss vom 9.12.2011 hat das AG unter Hinweis auf die getroffene Vereinbarung das Umgangsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt. Im Hinblick auf den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe hat es unter dem 29.12.2011 von der Antragstellerin eine Kopie des Mietvertrages angefordert. Dieser Auflage ist der Antragstellerin unter dem 1.2.2012 nachgekommen.

Durch den angefochtenen Beschluss vom 14.5.2012 hat das AG den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Rechtsverfolgung sei jedenfalls mutwillig, weil die Antragstellerin die Möglichkeit der kostenlosen Vermittlung in der Umgangsauseinandersetzung durch das Jugendamt nicht genutzt habe.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde. Sie macht geltend, es habe Einigungsversuche, vermittelt über das Jugendamt, hinsichtlich des telefonischen Kontakts und hinsichtlich der Treffen mit dem Kind in L ... gegeben. An diese Vereinbarungen und Regelungen habe sich der Antragsgegner nicht gehalten. So habe er auch Umgangskontakte in L ... abgelehnt. Die fehlende Mitwirkungsbereitschaft des Antragsgegners zeige sich ferner darin, dass er auf ein weiteres außergerichtliches Schreiben durch ihre Verfahrensbevollmächtigte nicht reagiert habe, in der eine Umgangsregelung vorgeschlagen worden sei. Ihr sei daher nichts anderes übrig geblieben, als das gerichtliche Verfahren einzuleiten.

Durch Beschluss vom 19.6.2012 hat das AG der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Es hat bereits Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit des Rechtsmittels geäußert, da dieses möglicherweise verspätet eingegangen sei. Jedenfalls sei die sofortige Beschwerde unbegründet, zumal das Vorbringen der Antragstellerin hinsichtlich der Bemühungen beim Jugendamt weiterhin unkonkret bleibe.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde, über die der Senat nach Übertragung durch den Einzelrichter gem. §§ 76 Abs. 2 FamFG, 568 Satz 2 ZPO in der im Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung entscheidet, führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung.

1. Die sofortige Beschwerde ist ungeachtet der vom AG in der Nichtabhilfeentscheidung geäußerten Zweifel gem. §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2, 567 ff. ZPO zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdefrist von einem Monat, § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO, gewahrt.

Ausweislich des bei den Akten befindlichen Empfangsbekenntnisses ist der angefochtene Beschluss den Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin am 16.5.2012 zugestellt worden. Die Monatsfrist lief daher an sich am 16.6.2012 ab. Hierbei handelte es sich aber um einen Samstag, so dass die Beschwerdeeinlegung am Montag, dem 18.6.2012, wie geschehen, ausreichend war, § 222 Abs. 2 ZPO.

2. Das Rechtsmittel führt zur aus der Beschlussformel ersichtlichen Entscheidung. Der Antragstellerin kann Verfahrenskostenhilfe nicht aus den vom AG angegebenen Gründen versagt werden.

a) Entgegen der Auffassung des AG war die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht mutwillig, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO.

Mutwillen ist gegeben, wenn ein verständiger Beteiligter ohne Verfahrenskostenhilfe sein Recht nicht in gleicher Weise verfolgen würde (BGH NJW 2010, 3522 Tz. 6; Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, 33. Aufl., § 114 Rz. 7; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, 2. Aufl., § 1 Rz. 182).

aa) Streitig ist die Frage, wann Mutwillen anzunehmen ist, wenn ein Umgangsverfahren ohne vorherige Einschaltung des Jugendamtes eingeleitet wird. Zum Teil wird angenommen, dass vor der Inanspruchnahme des Gerichts regelmäßig der Versuch einer außergerichtlichen Klärung mit Hilfe des Jugendamtes erfolgen müsse, sofern diese nicht ausnahmsweise aussichtslos bzw. als bloße Förmelei erscheine, da der vernünftige bemittelte Beteiligte zuerst die ihm eröffneten Möglichkeiten einer kostenlose...

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