Leitsatz (amtlich)
1. Der Unterhaltsbedarf eines volljährigen behinderten Kindes mit eigenem Hausstand entspricht dem notwendigen Selbstbehalt eines erwerbstätigen bzw. nichterwerbstätigen Unterhaltsschuldners. Er deckt sich nicht mit dem Bedarf nach dem Grundsicherungsgesetz.
2. Entgelt, das ein Behinderter im Arbeitsbereich einer Behindertenwerkstatt erzielt, ist unterhaltsrechtlich anrechenbares Arbeitseinkommen.
3. Allein tatsächlich geleisteter Kindesunterhalt ist regelmäßig auf die Grundsicherung anzurechnen (Zuflussprinzip). Anders ist es dann, wenn der Unterhaltsschuldner auf die über den Grundsicherungsbedarf hinausgehende Unterhaltsspitze leistet.
Verfahrensgang
AG Eisenhüttenstadt (Urteil vom 14.07.2003; Aktenzeichen 7 F 222/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des AG E. vom 14. 7. 2003 unter Zurückweisung seines weiter gehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt neu gefasst.
Die Urkunde des Landratsamts G. - Kreisjugendamt - Außenstelle G. vom 29.11.1995 (Urk.-Reg.-Nr. ...) wird dahin gehend abgeändert, dass der Kläger an die Beklagte eine monatliche Unterhaltsrente von
- 182,00 Euro vom 8. August bis Oktober 2002,
- 154,00 Euro für November und Dezember 2002,
- 120,00 Euro für Januar 2003,
- 169,00 Euro von Februar 2003 bis Januar 2004 und
- 41,20 Euro ab Februar 2004
zu zahlen hat.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Die Beklagte darf die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
A. Die Parteien streiten im Rahmen einer Abänderungsklage über die Herabsetzung von Volljährigenunterhalt ab 8.8.2002.
Die am 31.7.1979 geborene Beklagte ist die Tochter des am 1.3.1953 geborenen Klägers aus seiner im Jahr 1988 geschiedenen Ehe mit der Mutter der Beklagten. Der Kläger ist wieder verheiratet und lebt in Süddeutschland.
Die Beklagte, die ohne eine Berufsausbildung ist, steht seit 1998 unter Betreuung. Nach ihrem Schwerbehindertenausweis liegt ein Körperschaden von 100 % wegen einer frühkindlichen Hirnschädigung mit Anfallsleiden sowie eine Funktionseinschränkung der Kniegelenke vor. Ferner ist das Merkzeichen "G" (Beeinträchtigung der Gehfähigkeit im Straßenverkehr) eingetragen. Seit April 2002 lebt die Beklagte in einer eigenen Wohnung in E. Am 18.9.2003 brachte sie eine Tochter, V.A., zur Welt.
Bis zu ihrer Entbindung war die Beklagte in den Lebenshilfe O.-N.-Werkstätten in E., einer Werkstatt für behinderte Menschen, beschäftigt. Auf ihren Antrag hin wurden der Beklagten mit Bescheid des Landkreises O.-S., Sozialamt, vom 25.3.2003 erstmalig Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz ab 1. 1. 2003 bewilligt. Die Bewilligung erfolgte unter Anrechnung von Unterhaltszahlungen ihres Vaters. Seit dem 23.1.2004 nimmt die Beklagte Elternzeit nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz in Anspruch. Für ihre Tochter bezieht sie Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
Der Kläger hat sich durch Urkunde des Landratsamts G. - Kreisjugendamt - Außenstelle G. vom 29.11.1995 verpflichtet, an die Beklagte ab Januar 1996 eine Unterhaltsrente von monatlich 536 DM, umgerechnet 274,05 Euro, zu zahlen.
Eine bereits im Jahr 1999 eingereichte Abänderungsklage des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der vorliegenden Klage macht der Kläger im Wege der Abänderungsklage erneut die Herabsetzung des Unterhalts und den Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung geltend. Das AG hat der Klage teilweise stattgegeben und den vom Kläger zu leistenden Unterhalt auf monatlich
- 182 Euro vom 8. August bis Oktober 2002,
- 154 Euro für November und Dezember 2002,
- 120 Euro für Januar 2003 und
- 169 Euro ab Februar 2003
herabgesetzt. Dabei ist es von einem Unterhaltsbedarf der Beklagten von monatlich 555 Euro ausgegangen und hat darauf ihre Eigeneinkünfte bedarfsmindernd angerechnet.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers, der sich weiterhin auf einen Wegfall seiner Unterhaltsverpflichtung beruft. Zur Begründung macht er vor allem geltend:
- Das AG habe das eigene Einkommen der Beklagten unzutreffend in die Unterhaltsberechnung einbezogen.
- Die Beklagte hätte bereits seit Beginn des Abänderungszeitraums bedarfsdeckende Leistungen nach dem Grundsicherungsgesetz erhalten können. Da das Sozialamt diese zu Unrecht unter Einbeziehung ihres in der Jugendamtsurkunde titulierten Unterhaltsanspruchs berechnet habe, sei sie bzw. ihre Betreuerin verpflichtet gewesen, ein Rechtsmittel gegen den Bewilligungsbescheid vom 25.3.2003 einzulegen. Das sei pflichtwidrig nicht geschehen, sodass sich die Beklagte eine fiktive Grundsicherung in bedarfsdeckender Höhe zurechnen lassen müsse.
- Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, sich um Arbeit zu bemühen. Da das nicht geschehen sei, müsse sie sich ein fiktives Erwerbseinkommen von monatlich mindestens 350 Euro zurechnen lassen.
- Weiterhin sei der Unterhaltsanspruch der Beklagten ...