Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Nichtzulassungsbeschwerde. Ablauf der Berufungsfrist. Einlieferungsbeleg. Verfahrensmangel. Verletzung des rechtlichen Gehörs. verhindertes Vorbringen
Orientierungssatz
1. Ist die Berufung ausweislich des Eingangsstempels nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist gem § 151 Abs 1 SGG beim LSG eingegangen, vermag der vom Beschwerdeführer vorgelegte Einlieferungsbeleg die Richtigkeit des Eingangsdatums beim LSG nicht zu entkräften, wenn dieser zwar das Datum ausweist, aber Adressat und Anschrift handschriftlich nachgetragen sind, sodass keineswegs der Nachweis erbracht ist, dass es sich bei der eingelieferten Sendung um die Berufungsschrift gehandelt hat, die am Tag des Fristablaufs abgesandt wurde und auch am gleichen Tage bei dem LSG eingegangen ist.
2. Der Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) ist dann nicht hinreichend bezeichnet iS von § 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG, wenn nicht angegeben wird, welchen erheblichen Vortrag das Gericht nicht zur Kenntnis genommen hat oder welches Vorbringen verhindert worden ist und inwiefern die angefochtene Entscheidung darauf beruhen kann (vgl BSG vom 18.2.1980 - 10 BV 109/79 = SozR 1500 § 160a Nr 36 und vom 16.10.1991 - 11 RAr 23/91 = BSGE 69, 280 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5). Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge ist darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG vom 5.10.1998 - B 13 RJ 285/97 B).
Normenkette
SGG § 160a Abs. 2 S. 3, § 160 Abs. 2 Nr. 3, § 151 Abs. 1, § 62; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 15.04.2011; Aktenzeichen L 13 AS 382/10) |
SG Lüneburg (Gerichtsbescheid vom 20.10.2010; Aktenzeichen S 25 AS 595/10) |
Tenor
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 15. April 2011 zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, wird abgelehnt.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem zuvor benannten Urteil wird als unzulässig verworfen.
Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Im Streit stehen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Der Beklagte hat die Bewilligung von Alg II für den Kläger und seine Angehörigen wegen ausreichender Bedarfsdeckung durch Einkommen abgelehnt. Das SG Lüneburg hat durch Gerichtsbescheid vom 20.10.2010 die hiergegen gerichtete Klage des Klägers abgewiesen. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 26.10.2010 (Datum Zustellungsurkunde) zugestellt worden. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid ist am 29.11.2010 beim LSG eingegangen. Auf dem Briefumschlag ist ein Poststempel aufgebracht, der das Datum "27.11.2010" und die Uhrzeit "16:00 Uhr" ausweist. Der 13. Senat des LSG hat daraufhin nach Anhörung der Beteiligten, unter Hinweis auf die Unzulässigkeit der Berufung, durch Beschluss vom 17.2.2011 die Entscheidung über die Berufung des Klägers dem Berichterstatter übertragen. Aufgrund mündlicher Verhandlung hat dieser unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter die Berufung durch Urteil vom 15.4.2011 als unzulässig verworfen. Die Revision hat das LSG nicht zugelassen.
Mit seiner Beschwerde hiergegen sowie dem Antrag, ihm für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens PKH zu bewilligen und einen Rechtsanwalt beizuordnen, macht der Kläger geltend: Er habe die Berufungsschrift am 26.11.2010 per Einschreiben zur Post aufgegeben. Zum Beweis hat er einen Einlieferungsbeleg beigefügt. Zudem bemängelt er, nicht persönlich zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG geladen worden zu sein. Zudem verweist er auf medizinische Unterlagen aus dem Jahre 1999.
Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von PKH und der damit verbundene Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen. Gemäß § 73a Abs 1 SGG iVm § 114 ZPO kann PKH nur bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier.
Es sind unter Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers sowie des Akteninhalts keine Gründe für eine Zulassung der Revision ersichtlich. Die Revision ist nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), wenn das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).
Eine grundsätzliche Bedeutung der Sache ist nicht gegeben.
Grundsätzliche Bedeutung hat die Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Das LSG hat ein Prozessurteil verkündet und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Art stellt sich hierbei nicht.
Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) sind nicht gegeben.
Es ist auch nicht erkennbar, dass ein Prozessbevollmächtigter in der Lage sein könnte, einen Verfahrensfehler des LSG (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) darzulegen. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
Es ist nicht erkennbar, dass das LSG bei seiner Entscheidung durch Prozessurteil verfahrensfehlerhaft gehandelt haben könnte.
Die Berufung ist ausweislich des Eingangsstempels nach Ablauf der einmonatigen Berufungsfrist (§ 151 Abs 1 SGG) beim LSG eingegangen. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger am 26.10.2010 zugestellt worden. Die Berufungsfrist lief mithin am Freitag, den 26.11.2010 - 24:00 Uhr ab. Der von dem Kläger vorgelegte Einlieferungsbeleg vermag die Richtigkeit des Eingangsdatums beim LSG am 29.11.2010 nicht zu entkräften. Der Einlieferungsbeleg weist zwar das Datum des 26.11.2010 aus. Abgesehen davon, dass Adressat und Anschrift handschriftlich nachgetragen sind, sodass keineswegs der Nachweis erbracht ist, dass es sich bei der eingelieferten Sendung um die Berufungsschrift des Klägers gehandelt hat, mag sie zwar am 26.11.2010 abgesandt worden sein, dieses besagt jedoch nicht, dass sie auch noch an diesem Tage bei dem LSG eingegangen sei. Dieses gilt um so mehr, als die Uhrzeit der Einlieferung mit 17:32 Uhr ausgewiesen ist.
Dem Kläger ist auch nicht unter Hinweis auf die Einlieferung am 26.10.2010 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG zu gewähren. Er konnte nicht davon ausgehen, dass die am 26.10.2010 um 17:32 Uhr aufgegebene Postsendung das LSG bis 24:00 Uhr desselben Tages erreichen werde.
Soweit der Kläger ferner vorbringt, nicht ordnungsgemäß zum Termin zur mündlichen Verhandlung geladen worden zu sein, weil sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet gewesen sei, verkennt er, dass die Anordnung des persönlichen Erscheinens eines Beteiligten im Ermessen des Gerichts steht (§ 111 Abs 1 SGG) und für eine ordnungsgemäße Ladung nach § 110 SGG nicht erforderlich ist.
Es ist insoweit auch nicht erkennbar, dass das LSG den Kläger in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör durch die Nichtanordnung des persönlichen Erscheinens verletzt haben könnte. Wird ein Gehörsverstoß gerügt, muss vorgetragen werden, welchen erheblichen Vortrag das Gericht nicht zur Kenntnis genommen hat oder welches Vorbringen von ihm verhindert worden ist und inwiefern das Urteil darauf beruhen kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 36; BSGE 69, 280, 284 = SozR 3-4100 § 128a Nr 5). Voraussetzung für den Erfolg einer solchen Rüge ist darüber hinaus, dass der Beschwerdeführer darlegt, seinerseits alles Zumutbare getan zu haben, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (vgl BSG vom 5.10.1998 - B 13 RJ 285/97 B; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 62 RdNr 11c). Zumindest Letzteres war hier nicht der Fall. Der Kläger hat sich bis zur mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht zu dem Hinweis der möglichen Unzulässigkeit der Berufung geäußert. Das LSG hatte mithin keine Veranlassung, ihn persönlich hierzu zu hören.
Da dem Kläger PKH nicht zusteht, kommt auch die Beiordnung eines Rechtsanwalts gemäß § 73a SGG iVm § 121 ZPO nicht in Betracht.
Die Nichtzulassungsbeschwerde war ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger insoweit nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) vertreten war (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen