Leitsatz (amtlich)
1. § 78 des Berliner Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes ist nicht revisibles Recht.
2. Zur Frage der Erfordernisse einer wirksamen "Feststellung der Entschädigung" im Sinne des § 608 RVO.
3. Art 6 § 2 S 1 FANG enthält eine dem § 17 Abs 6 S 1 FremdRG vergleichbare Besitzstandsklausel.
Normenkette
SGG § 162; RVO § 608 Fassung: 1924-12-15; FANG Art. 6 § 2 S. 1; FRG § 17 Abs. 6 S. 1
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 30. Oktober 1958 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger zog sich am 22. Januar 1938 als Schiffsführer im Betriebe der O GmbH S einen doppelten Unterschenkelbruch links zu. Der Unfall ereignete sich im Stadthafen von Breslau beim Verladen von Saatgut. Aus diesem Anlaß gewährte die Norddeutsche Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft dem Kläger durch Bescheid vom 20. Dezember 1938 eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von zunächst 100 v.H. und später 50 v.H. Nachdem sie am 24. Mai 1939 die Rente weiter auf 33 1/3 v.H. der Vollrente herabgesetzt hatte, stellte sie durch Bescheid vom 25. Januar 1940 die Dauerrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente fest. Zur Rechtfertigung der Herabsetzung führte sie aus: Es sei durch zunehmende Gewöhnung eine wesentliche Besserung eingetreten; diese komme in dem freien Gang und einer weitgehenden Beweglichkeit des Knie- und Fußgelenks zum Ausdruck. Der Kläger bezog die Rente bis zum Zusammenbruch des Deutschen Reiches im Jahre 1945.
Im Dezember 1950 beantragte er bei der Versicherungsanstalt B (VAB) die Wiedergewährung der Rente. In dem daraufhin von der VAB eingeholten Gutachten des Facharztes für Chirurgie Dr. R vom 5. Juli 1951 sind eine Verkürzung des verletzten Beines um 2 bis 3 cm, mehrere teils druckempfindliche Narben, eine Einschränkung der Beweglichkeit des linken Fußgelenks um etwa die Hälfte und arthrotische Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule festgestellt. Die MdE gab Dr. R mit 25 v.H. an. Die VAB entsprach dem Antrag des Klägers auf Wiedergewährung der Rente mit einem Schreiben vom 7. August 1951, das folgenden Wortlaut trägt:
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"Versicherungsanstalt B Hauptabteilung Unfallversicherung |
B, den 7.8.1951 |
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W Straße ... |
Herrn R L |
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B |
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Rstr. ... |
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Nach dem Gesetz zur Anpassung des Rechts der Sozialversicherung in Berlin an das in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht vom 3.12.1950 richten sich mit Wirkung vom 1. Januar 1951 an die Rentenansprüche aus Anlaß von Arbeitsunfällen nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung. Mit dem gleichen Zeitpunkt findet § 61 Abs. 4 der Satzung der Versicherungsanstalt Berlin vom 20.9.1946 über das Ruhen der Verletztenrente wegen des Bezuges von Arbeitseinkommen keine Anwendung mehr.
Auf Grund des Bescheides der Norddeutschen Binnenschiffahrts-BG. vom 25.1.40 haben Sie aus Anlaß des Arbeitsunfalls vom 22.1.38 Anspruch auf eine Rente von 20 vom Hundert der Vollrente in Höhe von monatlich DM 32.30.
Sie haben daher zu beanspruchen:
vom 1.1.1951 bis 30.9.51 9 x DM 32.30 = DM 290,70
Erhalten haben Sie: -
Dieser Betrag und die laufende Rente vom 1.10.1951 an werden Ihnen durch das für Ihre Wohnung zuständige Zahlpostamt bei Vorlage der Ihnen von der Post zugehenden Ausweiskarte (Nummernkarte) ausgezahlt.
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Versicherungsanstalt |
Im Auftrag |
B |
gez. |
(Stempel) |
beglaubigt" |
Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin (UZG) vom 29. April 1952 ging die Entschädigungspflicht von der VAB auf die Beklagte über, die bereits im Jahre 1942 durch Fusion Rechtsnachfolgerin der Norddeutschen Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft geworden war. Die Beklagte holte am 3. August 1953 ein zweites Rentengutachten von Dr. R ein. Danach bestand noch eine Muskelatrophie am linken Unterschenkel; die Fußbeweglichkeit war beim Senken des Fußes um etwa 2/3, im übrigen geringgradig eingeschränkt. Den Befund an der Halswirbelsäule bezog Dr. R in seine Beurteilung ein, nahm insoweit aber eine Besserung an. Die auf die Unfallfolgen am linken Bein zurückzuführende MdE bewertete er mit 20 v.H.
Am 25. Juli 1955 erstattete der Facharzt für Chirurgie Prof. Dr. S im Auftrage der Beklagten ein Gutachten über die Unfallfolgen. Er stellte nur noch eine geringe Muskelatrophie am linken Bein und eine geringe Behinderung der Fußbewegungen beim Einwärtsdrehen und beim Senken fest. Die MdE schätzte er wegen der Besserung der Beweglichkeit im Fuß, die beim Senken nur noch um ein Drittel eingeschränkt sei, und wegen weitgehender Gewöhnung an die Unfallfolgen auf 10 v.H.
Daraufhin entzog die Beklagte dem Kläger die Rente durch Bescheid vom 27. August 1955 mit Wirkung vom 1. Oktober 1955 an.
Diesen Bescheid hat der Kläger mit der Klage angefochten. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat ein Gutachten des Chefarztes der chirurgischen Abteilung des M-Krankenhauses in B, Prof. Dr. D, eingeholt und außerdem in der mündlichen Verhandlung den Oberregierungs- und Medizinalrat Dr. W gutachtlich gehört. Durch Urteil vom 14. Mai 1956 hat es den Entziehungsbescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 30. September 1955 hinaus die Unfallrente in Höhe von 20 v.H. der Vollrente weiterzuzahlen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt: Der Entziehungsbescheid ließe sich nur rechtfertigen, wenn in den für die frühere Feststellung maßgebenden Verhältnissen eine wesentliche Änderung eingetreten wäre (§ 608 der Reichsversicherungsordnung - RVO -). Eine wesentliche Besserung gegenüber dem Befund vom 5. Juli 1951, der als Grundlage für den Übernahmebescheid der VAB vom 7. August 1951 gedient habe, sei jedoch nicht festzustellen. Dies folgere die Kammer aus dem Gutachten des Dr. W. Die von Prof. Dr. S und Prof. Dr. D beschriebene höhere Beweglichkeit des Fußgelenks sei so geringfügig, daß sie nicht als wesentlich zu bezeichnen sei. Nach 13 Jahren könne auch nicht mehr von einer weiteren Gewöhnung die Rede sein.
Im Berufungsverfahren hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin noch ein Gutachten von der Orthopädischen Klinik und Poliklinik des O-Heims in B (Prof. Dr. W/Oberarzt Dr. H) erstatten lassen. Darin ist im wesentlichen ausgeführt: Die Unterschenkelfraktur sei ideal ausgeheilt. Im oberen Sprunggelenk bestehe noch eine die Funktion nicht wesentlich behindernde Einschränkung der Beweglichkeit. Die Verkürzung des Beines von 2 cm sei belanglos. Dr. R habe die unfallbedingte MdE des Klägers im Jahre 1951 mit 25 v.H. zu hoch bemessen; sie habe höchstens 10 v.H. betragen. Auch heute sei die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch Unfallfolgen um 10 v.H. gemindert. Gegenüber dem Gutachten vom 5. Juli 1951 sei keine Besserung der Gehleistung eingetreten, was insbesondere daraus zu schließen sei, daß der Unfall damals bereits 13 Jahre zurückgelegen habe.
Das LSG hat die Berufung der Beklagten durch Urteil vom 30. Oktober 1958 mit folgender Begründung zurückgewiesen: Das Schreiben der VAB vom 7. August 1951 sei als Bescheid aufzufassen, der eine Neufeststellung der Rente zum Gegenstand habe. Durch § 40 des Berliner Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes (BSVAG) sei eine solche Neufeststellung vorgeschrieben gewesen. Die VAB habe sie auch treffen wollen; denn sie habe kurz vorher eine ärztliche Begutachtung durch Dr. R veranlaßt. Für eine bloße Übernahme einer alten Verpflichtung hätte der noch im Original vorliegende Bescheid der Norddeutschen Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft vom 25. Januar 1940 genügt. Die Erwähnung des alten Bescheides im Schreiben vom 7. August 1951 deute nicht auf eine bloße Übernahme hin, sie sei vielmehr dahin zu verstehen, daß mit dem alten Bescheid die übrigen Voraussetzungen für einen Unfallrentenanspruch grundsätzlich als erwiesen angesehen werden sollten und es somit nur der Prüfung bedurfte, ob bei der Antragstellung noch eine MdE rentenberechtigenden Grades bestanden habe. Erst nach Durchführung dieser Prüfung sei der Bescheid vom 7. August 1951 erlassen worden. Gegen eine Neufeststellung spreche auch nicht, daß die Rente gegenüber 1940 nicht um 5 v.H. erhöht worden sei; diese geringfügige Abweichung habe eine Erhöhung nicht gerechtfertigt. Unschädlich sei, daß der Bescheid vom 7. August 1951 nicht in der Form der §§ 1583 ff. RVO ergangen sei. Es könne nicht dem Versicherungsträger überlassen bleiben, durch Umgehung der angeführten Formvorschriften die Folgen eines Verwaltungsakts, zu dessen Erlaß es verpflichtet sei, willkürlich zu gestalten. Das SG habe mit Recht die Voraussetzungen des § 608 RVO verneint. Für die Beeinträchtigung der MdE des Klägers komme es praktisch nur auf dessen Gang- und Stehleistung an. In dieser Hinsicht sei bei dem Kläger seit 1951 keine ins Gewicht fallende Änderung eingetreten. Dies ergebe sich aus dem Gutachten der Orthopädischen Klinik des O-Heims. - Das LSG hat die Revision zugelassen.
Das Urteil ist der Beklagten am 6. Dezember 1958 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 27. Dezember 1958 Revision eingelegt und diese in der Revisionsschrift und mit Schriftsatz vom 20. Januar 1959, der am 23. Januar 1959 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen ist, begründet. Die Revision führt aus: Entgegen der Auffassung des LSG sei in dem Schreiben der VAB vom 7. August 1951 kein Bescheid über eine Neufeststellung der Entschädigung zu sehen. Dies ergebe sich schon daraus, daß der Rentenausschuß nicht mitgewirkt habe und daß keine Rechtsmittelbelehrung erteilt worden sei. Die VAB habe, obwohl sie unmittelbar vorher ein ärztliches Gutachten über das Ausmaß der Unfallfolgen eingeholt habe, nicht die Absicht gehabt, die Rente neu festzustellen; sie habe lediglich auf Grund des Bescheides vom 25. Januar 1940 die Rente von 20 v.H. der Vollrente unverändert weitergewähren wollen. Anderenfalls hätte sie nicht 20 v.H., sondern - wie Dr. R vorgeschlagen habe - 25 v.H. gewährt. Daß nach § 40 BSVAG eine Verpflichtung zur Feststellung bestanden habe, sei unerheblich. Demnach müsse der Gesundheitszustand des Klägers im Zeitpunkt der Rentenentziehung mit den Verhältnissen vom 25. Januar 1940 verglichen werden. Gegenüber diesem Zeitpunkt sei eine wesentliche Besserung eingetreten, welche die Entziehung der den tatsächlichen Verhältnissen schon lange nicht mehr entsprechenden Teilrente rechtfertige.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er führt aus: Der Bescheid der VAB vom 7. August 1951 sei auf Grund des § 40 Abs. 1 BSVAG und gemäß den Bestimmungen der Satzung der VAB ergangen. Beide - das BSVAG und die Satzung - seien irreversible Rechtsvorschriften. Die Wirksamkeit des Bescheides könne daher in der Revisionsinstanz nicht nachgeprüft werden. Die Revision sei aber auch deshalb unbegründet, weil der Sachverhalt von den Vorinstanzen rechtlich richtig gewürdigt worden sei. Angesichts der Verpflichtung der Beklagten zur Neufeststellung der Rente gemäß § 40 Abs. 1 BSVAG und den Vorschriften der Satzung lasse sich die Auffassung der Revision nicht halten, es sei keine Neufeststellung gewollt gewesen. Dies zeige auch § 17 Abs. 6 Satz 1 des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FremdRG), der ebenfalls von einer Neufeststellung der Leistung ausgehe. Auch ein Vergleich des § 40 Abs. 1 BSVAG mit § 17 UZG ergebe, daß § 40 BSVAG eine Neufestsetzung vorschreibe (Begründung einer Schuld), während § 17 UZG lediglich eine Übernahme der von der VAB bereits festgesetzten Leistung durch einen neuen Träger der Unfallversicherung vorsehe (Schuldnerwechsel). Etwaige formelle Mängel des Bescheides könnten seine Rechtsnatur nicht ändern; es widerspreche auch Treu und Glauben, sich auf solche Mängel zu berufen. Im übrigen wäre die Entziehung der Rente auch dann nicht gerechtfertigt, wenn man den Bescheid vom 25. Januar 1940 als den letzten maßgeblichen Bescheid ansehen wollte; denn auch gegenüber diesem Zeitpunkt sei eine wesentliche Besserung im Zustand des Klägers nicht eingetreten.
II
Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, also zulässig. Sie hatte jedoch keinen Erfolg.
Das LSG hat die VAB nach dem BSVAG für verpflichtet gehalten, dem Kläger Leistungen aus Anlaß des Unfalls vom 22. Januar 1938 zu gewähren und die ihm zustehende Rente festzustellen. Für eine Prüfung, ob dies zutrifft, ist im Revisionsverfahren kein Raum, weil die - im übrigen von der Revision nicht angegriffene - Rechtsauffassung des LSG insoweit auf der Anwendung irreversiblen Rechts beruht. Die hier in Betracht kommenden §§ 37 ff. BSVAG sind Berliner Landesrecht, und ihr Geltungsbereich erstreckt sich nicht über den Bezirk des LSG Berlin hinaus (§ 162 Abs. 2 SGG - vgl. zu § 47 BSVAG: BSG 8 S. 101 (107)).
Das LSG hat in Übereinstimmung mit dem SG den mit der Klage angefochtenen Rentenentziehungsbescheid der Beklagten vom 27. August 1955 als rechtswidrig angesehen, weil eine Neufeststellung nur unter den Voraussetzungen des § 608 RVO zulässig gewesen wäre, diese Voraussetzungen aber insofern nicht vorlägen, als in den für die Feststellung der Entschädigung maßgebenden Verhältnissen des Jahres 1951 keine wesentliche Änderung eingetreten sei. Diese Auffassung läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen.
Das LSG hat in dem Schreiben der VAB vom 7. August 1951 zutreffend eine "Feststellung der Entschädigung" im Sinne des § 608 RVO gesehen. Maßgebend für die Auslegung dieses Schreibens sind sein Wortlaut und die Umstände seiner Entstehung. Dem Kläger, der sechs Jahre lang keine Rente bezogen hatte, ist von der Beklagten mitgeteilt worden, nach dem vom 1. Januar 1951 an für Berlin geltenden Recht seien Rentenansprüche aus Anlaß von Arbeitsunfällen nach den Vorschriften der RVO zu beurteilen. Im Anschluß daran heißt es, er habe wegen des Arbeitsunfalls vom 22. Januar 1938 eine Rente von 20 v.H. der Vollrente, nämlich monatlich 32,30 DM, zu beanspruchen. Diese Erklärungen sind als verbindliche Feststellung der Rente zu werten. Die Beklagte hat allerdings die Mitteilung über die Anspruchsberechtigung des Klägers im zweiten Absatz ihres Schreibens mit dem Zusatz erläutert "Auf Grund des Bescheides der Norddeutschen Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft vom 25.1.40 ... haben Sie zu beanspruchen:". Dieser Zusatz beeinträchtigt jedoch im Hinblick auf den vorangegangenen Absatz nach der Auffassung des Senats nicht den verbindlichen Charakter der abgegebenen Erklärung, stellt sich vielmehr als Übernahme des begründenden Inhalts des früheren Bescheides in die Feststellung vom 7. August 1951 dar. Für eine verbindliche Feststellung der Rente durch die VAB hat das LSG mit Recht auch den Umstand gewertet, daß die Feststellung auf Grund eines neuen Gutachtens über das Ausmaß der Unfallfolgen getroffen worden ist. Dem steht nach der Auffassung des Senats nicht entgegen, daß es die VAB bei dem früheren Grad der MdE von 20 v.H. beließ, obwohl Dr. R. in seinem Gutachten vom 5. Juli 1951 die MdE mit 25 v.H. angegeben hatte. Das Zurückbleiben um 5 v.H. hinter der ärztlichen Bemessung kann mannigfache Gründe haben: Die VAB kann es z.B. als unangebracht angesehen haben, eine so geringfügige Erhöhung vorzunehmen; sie kann auch hiervon abgesehen haben, weil ihr die Beurteilung durch Dr. R. als sehr wohlwollend erschien; endlich kann sie von der Erwägung geleitet worden sein, es dem Kläger zu überlassen, sich auf eine Verschlimmerung der Unfallfolgen zu berufen. Jedenfalls zwingt das Zurückbleiben hinter der ärztlichen Beurteilung nicht zu dem Schluß, als hätte die VAB nur die im Jahre 1940 festgestellte Rente auszahlen, nicht aber eine eigene verbindliche Feststellung vornehmen wollen.
Soweit die Revision die Wirksamkeit der Feststellung vom 7. August 1951 mit dem Hinweis in Zweifel zieht, es fehle an der Mitwirkung des Rentenausschusses, verkennt sie, daß die Förmlichkeiten der Feststellung im vorliegenden Falle nicht nach dem Recht der RVO, sondern nach Berliner Landesrecht zu beurteilen sind. Nach § 37 Abs. 1 BSVAG richten sich lediglich Umfang und Gegenstand der Unfallversicherung nach dem Dritten Buche der RVO, während das Feststellungsverfahren in den § 75 ff. BSVAG eine besondere Regelung gefunden hat. Nach § 78 Abs. 1 ist über die Leistungen der Unfall- und Rentenversicherung sowie über Änderung, Entziehung, Rückforderung und Ruhen von Renten ein schriftlicher Bescheid zu erteilen. Nach § 78 Abs. 2 gelten zwar einige Verfahrensvorschriften des Sechsten Buches der RVO entsprechend, nicht aber der von der Revision angeführte, den schriftlichen Bescheid behandelnde § 1583 RVO, der in Verbindung mit §§ 1568 bis 1570 RVO vorschreibt, welches Feststellungsorgan den Bescheid zu erteilen hat. Die Frage, ob das Schreiben der VAB vom 7. August 1951 die an einen Rentenfeststellungsbescheid zu stellenden Anforderungen erfüllt, war daher nach § 78 BSVAG - und gegebenenfalls nach der Satzung der VAB -, also nach irreversiblem, weil nur für den Bezirk des Berufungsgerichts geltendem Berliner Landesrecht zu beurteilen. An die Auffassung des LSG, das Schreiben der VAB vom 7. August 1951 sei als wirksamer Rentenbescheid anzusehen, ist das BSG somit gebunden. Das angeführte Schreiben entbehrt auch nicht schon deshalb - wie die Revision meint - der Eigenschaft eines Rentenbescheides, weil es keine Rechtsbehelfsbelehrung enthält. Das Fehlen einer solchen Belehrung hatte sowohl nach dem früheren Recht der RVO als auch nach § 78 Abs. 3 BSVAG und nach dem jetzigen Verfahrensrecht der Sozialgerichtsbarkeit nur die Bedeutung, daß die regelmäßige Anfechtungsfrist nicht in Lauf gesetzt wird, dagegen berührt es die Wirksamkeit des Bescheides selbst nicht (vgl. BSG 3 S. 251 (254)). Infolgedessen konnte dahingestellt bleiben, ob und inwieweit auch diese letztere Rüge der Revision auf die Nachprüfung irreversiblen Rechts abzielt.
Hiernach hätte die Beklagte die Teilrente von 20 v.H. der Vollrente nur entziehen dürfen, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung vom 7. August 1951 maßgebend waren, eine wesentliche Änderung eingetreten wäre. Das LSG hat dies verneint. Die von ihm insoweit getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind von der Revision nicht mit zulässigen und begründeten Revisionsgründen angegriffen worden; sie sind daher für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG). Dem LSG ist auch in der Anwendung des Begriffs der "wesentlichen Änderung" kein Rechtsirrtum unterlaufen. Aus § 608 RVO läßt sich der Entziehungsbescheid somit nicht rechtfertigen.
Der Senat hat weiter geprüft, ob das Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetz vom 25. Februar 1960 (BGBl I S. 93 - FANG) für die Zeit nach seinem Inkrafttreten (1. Januar 1959 - Art. 7 § 3 Abs. 1 FANG) dem Anspruch des Klägers auf Weiterzahlung der Rente entgegensteht. Diese Frage hat er verneint. Der Kläger wird von dem FremdRG in der Fassung des Art. 1 FANG betroffen. Er gehört zwar nicht zu dem berechtigten Personenkreis des § 1 FremdRG; sein Anspruch fällt aber unter § 5 Abs. 1 Nr. 1 FremdRG, weil ein außerhalb des Geltungsbereichs des FremdRG, nämlich in Breslau, eingetretener Arbeitsunfall vorliegt und der Kläger damals bei einem deutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, nämlich der Norddeutschen Binnenschiffahrts-Berufsgenossenschaft, versichert war. Er ist daher nach § 5 Abs. 4 FremdRG und Art. 6 § 3 FANG leistungsberechtigt. Leistungsverpflichtet ist auch nach der Neuregelung die Beklagte; sie ist nach der Art des Unternehmens, in dem sich der Arbeitsunfall ereignet hat, der zuständige Versicherungsträger (§ 9 Abs. 1 FremdRG). Würde das FremdRG eine originäre Verpflichtung der Beklagten in dem Sinne begründen, daß diese an die Rentenfeststellung der VAB vom 7. August 1951 nicht gebunden wäre, so könnte sie sich für die Zeit nach dem 1. Januar 1951 darauf berufen, die Erwerbsfähigkeit des Klägers sei nicht mehr um ein Fünftel gemindert (§ 559 a Abs. 2 RVO). Die hier zu entscheidende Frage ist im Gesetz nicht mit der wünschenswerten Eindeutigkeit beantwortet; denn Art. 6 § 2 FANG schreibt lediglich vor, daß, wenn ein Träger der gesetzlichen Unfallversicherung im Geltungsbereich des Gesetzes nach dem 8. Mai 1945 eine Leistung wegen eines Arbeitsunfalls im Sinne des § 5 FremdRG bindend festgestellt (oder abgelehnt) hat, auf Antrag zu prüfen ist, ob die Vorschriften des FANG günstiger sind. Demgegenüber bestimmte § 17 Abs. 6 FremdRG vom 7. August 1953 auch, daß eine von einem Versicherungsträger im Bundesgebiet rechtskräftig festgestellte Leistung als eine solche im Sinne des FremdRG zu gelten habe. Die angeführte Vorschrift des FremdRG von 1953 wahrte also denjenigen Verletzten, für die bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes Versicherungsleistungen festgestellt worden waren, den einmal erlangten Besitzstand (vgl. BSG 8 S. 57 (59) mit Nachweisen aus dem Schrifttum). Nach der Auffassung des Senats enthält Art. 6 § 2 Satz 1 FANG trotz der von § 17 Abs. 6 Satz 1 FremdRG abweichenden Fassung eine dieser Vorschrift entsprechende Besitzstandsklausel. Es wäre schlechthin unverständlich, wenn man annehmen wollte, der Gesetzgeber des FANG habe nicht ebensowohl, wenn nicht gar in höherem Maße, Veranlassung gehabt, auf die Wahrung des Besitzstandes der Berechtigten Bedacht zu nehmen, wie der Gesetzgeber des FremdRG. Je länger ein Besitzstand währt, um so eher verdient er die Festigung durch das Gesetz. Infolgedessen muß angenommen werden, daß Art. 6 § 2 FANG - ebenso wie dies für § 17 Abs. 6 FremdRG galt - den Zweck verfolgt, Fälle, in denen bereits auf Grund des bisherigen Rechts eine verbindliche Festlegung vorlag, in das neue Recht überzuleiten, und daß deshalb der Versicherungsträger an eine solche Feststellung gebunden bleibt (vgl. Jantz-Zweng-Eicher, Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, S.208 Anm. 1 zu § 2). Mit dem Wortlaut des Gesetzes läßt sich die Auffassung des Senats vereinbaren, zumal da Art. 6 § 2 FANG nicht von der Feststellung einer Leistung "auf Grund" des § 5 FremdRG spricht, sondern von einer Leistung wegen eines Arbeitsunfalls "im Sinne" des § 5 FremdRG. Es steht also nichts im Wege, die Vorschrift auch auf Feststellungen beispielsweise aus dem Jahre 1951 zu beziehen.
Nach alledem war die Beklagte zur Entziehung der Rente nicht berechtigt. Ihre Revision mußte daher als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht in Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen